IV - 4: Alte Geschichten

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„Der Bus wäre dannsoweit!", ruft Akiko den anderen zu, „In zwanzig Minuten sind wiram Stadtrand."

Merlany und Spyke steigen bereits ein,während Skid Mikes beschwerte Jacke am Boden entlangschleift undMike sich damit quält, eine stählerne Werkzeugkiste hinter sich herzu ziehen.

„Skid, was zur Hölle ist da drin?!",krächzt er atemlos, während er den Eisenblock an einem Griff zusich zerrt.

„Alles was ich an Werkzeug habe...Nurhalt in einem komprimierten Raum", antwortet dieser ebenso atemlosvon der massiven Jacke.

„Und wie viel wiegt der Spaß? Dakann doch irgendwas nicht stimmen", murrt der Lederjackenkumpaneangestrengt.

„Keine Ahnung... Etwa ein bis zweiTonnen. Ich habe doch gesagt das Zeug ist komprimiert."

Anstatt irgendeine Antwort zu geben,beißt Mike die Zähne zusammen und wuchtet die Kiste weiter hintersich her.

„Yo Skid, der Bus trägt dieseRiesenkiste nicht. Die kannst du gleich wieder aufräumen", erklärtSpyke nüchtern, als Mike den Bus nach einer geeigneten Ladeflächeabsucht. Diese Worte lassen Mike die Haare zu Berge stehen und reißenihm sinnbildlich die Augen aus dem Kopf.

„Keine Sorge Spyke, dafür habe ichja den Antischwertkraft-Fluxgenerator unten an die Kiste gebaut. Soist die Kiste...", entgegnet ihm Skid, als Mikes durchbohrenderBlick ihn plötzlich zum stottern bringt. Er presst die Zähne so argzusammen, dass es kein Wunder wäre, wenn jetzt einige herausbrächen,während er Skid beäugt.

„Ähhhh... Nun ja... So ist siepraktisch... schwerelos."

„Ladies und Gentlemen, das Kind mitdem IQ von fast 300!", faucht Mike.

Reflexartig zuckt Skid in Erwartungeiner Nackenschelle zusammen. Jedoch geschieht nichts, außer dassMike die nun federleichte Kiste in den Kofferraum des Minivanswuchtet.

„Entspann dich mal, hast du 'nenGeist gesehen oder sowas?", fragt Merlany erstaunt über dieseltsame Haltung des jungen Genies. Statt eine Antwort zu gebenlächelt dieser nur etwas verlegen, bevor Mike ihm die Jacke abnimmt.

„Chill mal Skid, oder denkst du, ichwürde dir eine knallen, weil du irgendso ein Ding vergessen hast?",flüstert er kühl und ernst, während er sich die Jacke über dieSchulter wirft, „Ich weiß ja nicht, was die Gauntlets soangestellt haben, aber du bist jetzt bei uns."

Verlegen, aber ein Stück weiterleichtert, sieht Skid zu Boden. Seit er Dinge für Bradford gebaut,musste er bei jedem kleinsten Fehler mit Gewalt rechnen. Natürlichwussten Bradford und seine Leute, wie fest sie zuschlagen konnten,ohne, dass Skid zu große Schäden davonträgt. Sein Vater hatte ihnzwar stets getröstet und ihm neuen Mut gemacht, doch das früheLeben mit den Gauntlets war kein leichtes. Die Situation ändert sichschlagartig, als der erste PALADIN fertiggestellt wurde. Eine Waffe,die keinerlei nennenswerte Schwächen hat. Doch zu dem Zeitpunkt warder Schaden schon angerichtet. Sein neuer Kampfgeist ist erstentfacht, als er gesehen hat, dass zwei Fremde Bradford tatsächlichdie Stirn bieten wollten. Diese Fremden waren zunächst Zweckpartner,doch jetzt sind sie seine Freunde. Ein für ihn noch ziemlich fremdesGefühl.

Wortlos stiegen alle in den Bus.Neugierig sieht der Knirps zu seinen neuen Gefährten.

„Mike, Merlany, woher kennt ihrbeiden euch eigentlich. Ihr wirkt auf mich, als würdet ihr euchdeutlich länger kennen, als ihr hier in der Stadt seid."

„Wir kennen uns schon aus unseremHeimatdorf. Ist 'ne lange Geschichte", antwortet Merlany kurz undtrocken. Sie wirft Mike einen eiskalten Blick zu. Er soll keinfalsches Wort sagen!

„Die Details erzählen wir dir einander Mal. Merlany redet nicht gern darüber", ergänzt Mike miteinem freundlichen Grinsen, „Aber lass dir so viel gesagt sein, eswar für niemanden eine leichte Zeit."

Skid nickt verständnisvoll. Er selbstkennt das Gefühl nur zu gut, nicht über die Vergangenheit reden zuwollen. Er lehnt sich entspannt in seinen Sitz zurück, grübelt überdas, was jetzt auf sie warten würde.

Merlanys Blick verfinstert sich undrichtet sich starr in die leere Stadt, an ihnen vorbeizieht.Erinnerungen, vor denen sie zu fliehen versucht. Ohne Erfolg.

Mike betrachtet seine Reflexion in derFensterscheibe. Auch für ihn ist es kein leichtes über damals zureden. Allein der Gedanke daran jagt ihm einen kalten Schauer überden Rücken.

Er erinnert sich bis heute daran, wieer sie in der siebten Klasse der Schule kennenlernte, dasdunkelhaarige Mädchen, das immer schwieg, und immer diesen seltsamenDinge mit sich führte. Genauso erinnert er sich daran, wie er ihrenersten Ausbruch erlebt hat. Es war das erste Mal, dass er Angst umsein Leben hatte und gleichzeitig das erste Mal, dass er bereit war,dagegen anzukämpfen.

Vorsichtig legte er seinen Arm umMerlanys Schulter, welche ihn zunächst von sich stößt, aber sichschließlich doch zu ihm lehnt.

„Ich weiß, dass du darübernachdenkst. Das ist doch schon lange vorbei", meint Mike mit einembreiten Grinsen im Gesicht. Sie gibt ihm keine Antwort, doch sieschmiegt sich weiter an ihn.

Skid betrachtet die beiden ziemlicheindringlich. Das ist es was in dieser Stadt fehlt. Das einzige wasdie Leute hier tun, ist zu kämpfen. Jeder steht dauernd nur unterenormer Spannung. Doch er spürt auch, dass er jetzt ein Teil voneiner Gruppe ist, die sich umeinander kümmert.

In einiger Entfernung ist bereits dieAußenmauer der Bolts zu sehen. Akiko und Spyke lassen die drei aneinem Parkplatz vor der Stadt aussteigen. Skid öffnet seine Tür nurlangsam, um den schwarzen Sportwagen, der nebenan geparkt hatte,nicht zu schrammen. Nach kurzem Abschied fahren sie schließlichzurück zu den anderen Red Flames.

Die Leute am Eingang heißen die dreisofort herzlich willkommen zurück. Auch Biz und SG sind innerhalbkürzester Zeit da.

„Hey Leute, wir sind wieder da",ruft Mike ihnen freudig entgegen.

Biz kann sich bei ihrem Anblick vorLachen kaum halten. Was die drei angestellt haben, hat sich bereitsüberall herumgesprochen.

„Willkommen zurück, Bezwinger derGauntlets! Ihr Größenwahnsinnigen habt es tatsächlich getan."

„Hi", grüßt Merlany nur kurz.

„Mann Kinder, die halbe Stadt hat voneurem Auftritt mitbekommen", erklärt SG ebenso amüsiert wie Biz.

„Wen habt ihr da eigentlichmitgebracht? Das Dickerchen kenne ich noch gar nicht", wirft Bizplötzlich ein, „Ist das ein Freund oder ein Gefangener?"

Skids Kopf läuft sofort knallrot an.Er weiß nicht, was er diesem Kerl als Antwort geben soll, bekommtjedoch ein kleinen Schubser von Mike.

„Hallo. Ich...Ich bin Skid. Ich habeMike und Merlany in Factory Town geholfen", stellt sich Skid etwasverlegen vor.

„Geholfen? Es war sein Plan, seineMassenvernichtungswaffe und seine Idee!", schreit Mike Bizregelrecht zu.

Skid versucht peinlichen Augenkontaktzu vermeiden.

„Ist alles schön und gut... aberMike war es, der Bradford KO geschlagen hat. Allein wäre ichgescheitert", ergänzt der Junge leise, dem die Situation immernoch unwohl ist.

„Mach dich doch nicht so klein. Duhast alles erst ermöglicht", fügt der Lederjackenkerl hinzu.

Trotz seines gewaltigen Vokabularsfällt dem jungen Genie keine passende Antwort ein. Biz und SGhingegen scheinen komplett aus den Socken gehauen worden zu sein.Mike hat Bradford besiegt. Damit hatte nun wirklich keiner gerechnet.

Einige Schritte nähern sich vomEingang der Bolt-Siedlung. Dieser Person muss der schwarze Wagen aufdem Parkplatz gehören. Eine tiefe, einschüchternde Stimme schalltihnen entgegen. Mike, Merlany und Skid drehen sich sofort um. ZweiPolizeibeamte stehen vor ihnen. Ein streng wirkender Mann mitmilitärischem Kurzhaarschnitt und eine junge Frau.

„Ich bin Bereichsleiter Raymond Lightder Polizeiabteilung der Südstadt. Ich werte das soeben gesagte alsGeständnis."



Chaos City - Staffel 1Where stories live. Discover now