II - 12: Große Worte

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Bradford richtet eineneiskalten Blick auf Mike. Ein überlegenes Grinsen schleicht sich insein Gesicht.

„Bilde dir ja nichts aufeinen Glückstreffer ein, du Spinner", knurrt Bradford amüsiert.

„Als ob ich Angst vordir hätte. Muskelprotze wie du bestehen sowieso zu 80% aus heißerLuft!", faucht Mike energisch zurück. Sofort spannt er kampfbereitden ganzen Körper an.

„Du verstehst die Lage,in der du dich befindet wohl überhaupt nicht. Du bist nur ein Kind,dass sich aufspielt, und ich, ich habe bereits trainiert, gekämpftund getötet, bevor du überhaupt deine erste Windel vollgeschissenhast. Was glaubst du eigentlich, wie man Anführer einen Gruppedieser Größe wird? Luft in den Armen?!"

Nun begibt sich auchBradford in Kampfhaltung. Aus seinem engen Tanktop pressen sich seineBauch- und Brustmuskeln hervor. Seine Arme besitzen nun knapp dendoppelten Umfang von Mikes Beinen. Er geht einige Schritte auf Mikezu. Seine dunklen Augen funkeln über den Augenringen. Mike weichtkeinen Schritt zurück. Er starrt den Anführer der Gauntlets ernstan.

„Es ist mir egal, wer dusein glaubst, Bradford! Ich werde definitiv nicht zulassen, dass duauf meine Freunde losgehst. Ich werde Merlany und Skid nicht einfachhier zurücklassen! Und was du mit den Leuten hier machst, lasse ichdir auch nicht durchgehen. Leute wie du kotzen mich echt an!"

Bradfords Grinsen wirdbreiter.


„Deine Loyalität unddein Bravado ist beeindruckend. Deine Augen sind kalt wie die einesSoldaten. Nur leider stehst du damit auf der falschen Seite. Wenn dunicht verantwortlich dafür wärst, dass der Don uns alle umlegt,hättest vielleicht einer von uns werden können."

„Kein Interesse an euremDeppenverein. Als ob ich eure Tyrannei unterstützen würde."

Skid beobachtet das Gesprächaufmerksam. Zwischen den beiden herrscht eine feste Spannung. Einefalsche Bewegung würde den Faden zum Reißen bringen. Doch eineSache sticht Skid ins Auge. Etwas, dass durch die bloße Kraft, diedie beiden ausstrahlen, ganz offensichtlich in der Luft liegt. Mikehat keine Chance. Wie sollte er auch mit Bradford fertig werden, wenner kaum mit dem „Stahlsturm" Rogers klar kommt. Skid kennt Mikeund Merlany zwar noch nicht so lange, doch trotzdem rinnt ihm vorAnspannung Schweiß die Stirn hinunter. Vielleicht liegt es daran,dass er nie wirkliche Freunde in Factory Town, aber ihm ist, vorallem, Mike irgendwie wichtig geworden. Und doch kriegt er inBradfords Gegenwart kein Wort mehr heraus. Er sieht auf seinKontrollarmband, welches den Status des Lance Drivers anzeigt.

Arme zerstört - einigeSchwierigkeiten in der Kontrolleinheit - Brennstoffzelle intakt"

Bradfords Pupillen ziehen an Mikevorbei, um sich auf Skid zu richten.

„Denk' gar nicht dran, dieses Dingwieder auf mich richten!", befiehlt Bradford Skid herrisch.

Dieser weicht sofort zurück. Schnellrast Mike in diesem Augenblick der Unaufmerksamkeit auf Bradford zu.Mike holt mit der Faust zu einem kräftigen Schlag aus, schmettertdiese mit Wucht auf seinen Feind zu, doch Bradford fängt diesespielend mit der Hand ab, und wirft Mike wuchtig aus der Bewegungheraus von Skid weg. Mike fliegt erst vollkommen orientierungslosdurch die Luft, bevor er hart auf dem Asphalt aufschlägt. SämtlicheLuft wird in einem gepeinigten Krächzen aus seiner Lunge gepresst.Skids Augen zittern bei dem Anblick, dass Mike und Merlany sichsolchen Schmerzen aussetzen. Bradford sieht Mike spöttisch an. Vonseinem Sieg überzeugt wendet er sich von dem besiegten Mike ab, umsich wieder Skid zu zu wenden. Doch dieser rappelt sich unbeeindrucktwieder auf die Beine.

„Ich bin noch nicht fertig mit dir,du dicker Bastard!", schreit Mike mit aller verbliebenen Luft.Bradford würdigt Mike keines Blickes und schreitet weiter auf Skidzu. Mike knurrt energisch. So hat er keine Chance. Er braucht eineStrategie.

Man merkt es Mike zwar nicht an, docher ist überdurchschnittlich intelligent. Doch er lehnt dieseIntelligenz ab, er lehnt es ab, sein Leben so zu führen, wie es dieGesellschaft um ihn herum verlangt. Bildung, Gehorsam und Konformitätsind Dinge, die ihm seit seiner Kindheit gegen den Strich gehen. DieLangeweile, die Routine und die Ausweglosigkeit eines geordnetenLebens haben Mike schon immer abgeschreckt. Es ist nicht seine Welt. Er hasst das ganze Konzept davon, dass es Mensch „nützlich"sein muss. Es ist der Grund, wieso er dem Leben in den Dörfernabgesagt hat. Vielleicht war er nicht so anders, wie Merlany, dieseit ihrer Kindheit mit ihren übernatürlichen Fähigkeitenaufgefallen ist, aber in seinem inneren war er mindestens genau sofehl am Platz. Doch egal, wie sehr er versucht, nicht zu sein, wie esandere von ihm erwarten, er kommt im Endeffekt nicht vor seinerPersönlichkeit davon. Mike ist ein Chaot, weil er einer sein will.

Die Gedanken schwirren ihm durch denKopf, doch ein Plan kommt ihm dennoch nicht in den Sinn. Es gibt nurnoch einen Weg, Skid zu beschützen - mit dem Kopf durch die Wand!Mike rennt vollkommen angespannt auf Bradford zu, doch dieser drehtsich in einer schnellen Bewegung um, und rammt Mike dabei aus derDrehung heraus die Faust in die Magengrube. Mike spuckt unwillkürlichauf und segelt erneut durch die Luft.

„Was glaubst du, damit zu bezwecken.Ich bin stärker, schneller und erfahrener als du. Vielleicht wirstdu mit den Laufburschen fertig, aber von einem richtigen Gegner bistdu noch weit entfernt", erklärt Bradford in strengem,militärischen Ton.

Seine Worte brennen in Mikes Seele. Erwar immer anders als andere, doch hier, in der großen Stadt, ist erein Niemand, nicht besser als die unauffälligen Schergen imHintergrund. Wolf, sein Schüler, Biz oder auch Bradford - sogarMerlany - sie alle lassen ihn weit hinter sich.

Langsam rappelt er sich erneut auf. Soleicht lässt er sich nicht unterkriegen. Bradford wirkt sichtlichüberrascht.

„Du Schwächling stehst wieder auf?Willst du unbedingt sterben? Jeder meiner Schläge trifft dich wieein Auto, und trotzdem machst du weiter! Das ist reine Dummheit!Manchmal muss man seine Niederlage akzeptieren", erklärt derGauntlet ziemlich ungläubig. Doch Mikes Gesichtsausdruck wirddadurch nur noch verbissener.

„Ich bin hier in diese Stadtgekommen, um zu leben! Um anders zu sein als andere! Um jemand zusein, der neue Horizonte erreicht! Wo wäre denn da der Spaß, wennich bei der ersten Hürde aufgeben würde. Wenn es mir nicht ernstwäre, dann wäre ich nicht hier", entgegnet Mike ihm ehrgeizig,mit herausforderndem Ton, „Und eine Sache über mich weißt duvermutlich auch nicht: Ich kann mehr einstecken, als gut für michist!"


Chaos City - Staffel 1Where stories live. Discover now