I - 6: Aufbruch

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Wieder sitzen sie an dem altenKüchentisch, und grübeln schweigend, was jetzt wohl die besteVorgehensweise wäre. Defensiv bleiben, und abwarten, um den nächstenAngriff wieder abzuwehren? Eine überaggressive Racheaktion, um mitvoller Kraft ein Exempel zu statuieren? Oder einen kleinenVergeltungsschlag, um zu zeigen, dass die Black Bolts es ebenso ernstmeinen? Merlany sieht allen in die Augen, wobei das stechende Funkelnin ihrem Blick genau zeigt, was sie nun sagen wird.

„Wir können das nicht auf uns sitzenlassen. Wenn ihr nichts tun wollt, werde ich alleine gehen, sovielsteht fest. Die bekommen ihre Abreibung noch."

SG sieht sie etwas verdutzt an.

„Und wie stellst du dir das vor. Wirsind zu fünft, während die Gauntlets reihenweise Gruppenführer wieRogers haben. Hast du dir das gut überlegt, Mädel?"

Nico steht ins Gesicht geschrieben, wieungern er SG zustimmt, jedoch muss auch er von einer derartigenAktion abraten.

„Diese Leute haben alle Stahlwerkeund Technologiezentren der Umgebung. Wir haben nur unsereSchrottschmelze. Die sind uns zahlenmäßig und waffentechnischüberlegen."

Mike steht auf, und wirft einenprüfenden Blick in die Runde.

„Also ich werde mit Merlany gehen.Diese Typen sind doch ein Witz für uns. Biz hat einen derGruppenführer nicht nur geschlagen, sondern blamiert. Die könnenuns dutzende von denen Vorsetzen, und es würde keinen Unterschiedmachen. Die haben meine Lebensretter angegriffen und meine besteFreundin ausgeraubt. Damit ist es etwas persönliches. Außerdemkommt mir das grade recht. Ich wollte in der Stadt eh Ärscheaufreißen. Ich werde auf jeden Fall nicht hier warten bis die unsüberrennen."

SG und Nico beginnen zu protestieren,doch Biz setzt nur ein verwegenes Grinsen auf.

„Na schön, wenn ihr es so wollt."

Er sieht Merlany und Mike jeweilsstockernst in die Augen.

„Dann sollt ihr meinetwegen dareinlaufen. Die Gauntlets haben ihr Gebiet eingezäunt und nennen esdie Fabrikstadt ‚Factory Town'. Wenn ihr der alten Straße in dieRichtung folgt, aus der die Angreifer kamen, dann landet ihrirgendwann dort. Wir bleiben hier, und beschützen die Stadt."

Mike nickt Biz zustimmend zu, währendMerlany ihn etwas skeptisch anstarrt.

„Aber, ich brauche hier nicht nochmehr Stress. Wenn ihr die Gauntlets angreift, dann seid ihr keineBlack Bolts mehr. Dann seid ihr beide auf euch gestellt."

Merlany bleibt immer noch ernst,während Nico und SG wild herumargumentieren, wie überstürzt dasalles ist.

„Dann soll es so sein", entgegnetihm Mike entschlossen. Biz lächelt herausfordernd.

„Bevor ihr geht, schlaft ihr euchaber noch aus."

Dieses Angebot nehmen die beidenselbstverständlich an.

Am nächsten Morgen packen sie bereitsihren Krempel. Viel ist es ja nicht. Auf zwei Koffer verteilt: einigeMännerklammotten für Mike, nicht wirklich mehr an Damenbekleidungfür Merlany. Die beiden vollen Koffer lässt Merlany in ihrem Umhangverschwinden.

„Und du kriegst das Zeug da auchwieder raus?", fragt Mike etwas verwundert.

„Klar. Mit dem Umhang kann ichGegenstände in einen magischen Raum verschwinden lassen und wiederrausholen. Funktioniert aber nicht mit Lebewesen."

Mike ist sichtlich erstaunt.

„Kann man da drin auch Essen lagern?"

„Ja klar, wieso auch nicht?"

So wie Merlany ihm die Fragebeantwortet hat, plündert Mike einige Lebensmittelvorräte. Zusammenschreiten sie zur Haustür.

„Merlany, Mike, ich habe hier nochein paar Kleinigkeiten für euch. Als Abschiedsgeschenk."

Die beiden wenden sich Biz zu. Er wirftMerlany ein Armband und Mike eine Lederjacke zu.

„Das Armband ist ein Andenken vonNico. Es soll dir helfen dein Mana besser zu steuern."

Merlany nickt dankend.

„Und die Jacke hat SG für dichgemacht. Der Typ kann besser nähen als man es von einemScharfschützen erwartet. Sie ist mit einigen Legierungsplattenverstärkt. Das bietet dir mehr Schutz, und das zusätzliche Gewichthilft dir passiv Kraft aufzubauen, nur indem du sie trägst."

Mike probiert sie sofort an. Sie sitztwie angegossen, und wirkt durch die Nähte, unter denen die Plattenliegen, auch noch ziemlich gut designt.

„Das... das wäre echt nicht nötiggewesen."

Mike ist überrascht, wie viel Müheman sich für ihn gegeben hat.

„SG wollte es so. Er hat die halbeNacht daran gesessen. Aber genug davon, jetzt macht, dass ihr hierrauskommt, und für das kämpft, was ihr für richtig haltet."

„Also, bis irgendwann Biz, undnochmal Danke für alles", verabschiedet sich Merlany.

„Wenn du mal was von uns brauchst,sag bescheid. Bis irgendwann mal", setzt Mike nach.

„Mach' ich, und ihr beide, vergessteines nicht, es ist nie was Schlechtes sich hier Freunde zu machen.Bis bald mal."

Die beiden nicken nochmals undverlassen das Haus. Geradewegs gehen sie zum Ausgang, umrunden dieMauer bis sie an der alten Hauptstraße ankommen und wandern inRichtung der Factory Town.

Auf dem Weg bemerken sie, wie sich dieGebäude verändern, je weiter sie gehen. Häuser werden immer höher,mehr Metall wird verbaut, es tauchen immer mehr vereinzelteStraßenlaternen auf. Rauchende Schornsteine und Dampftürme ragenüber entfernte Hallen. Die Straßen werden härter und dunkler. Aufden Dächern befinden sich teilweise Antennen und Stromkabel spannensich über die Häuser. Mit jedem Schritt verwandelt sich diebeschauliche Vorstadtatmosphäre in ein metallisch-leblosesIndustrie-Klima. Die Luft wird stickiger, je aufwendiger die Bautenwerden. Dabei stehen sie erst am äußeren Rand, und sind noch nichtmal im inneren der Fabrikstadt. Auf einige Distanz ist auch schon derhohe Metallzaun sichtbar, hinter dem man einige Autos fahren hörenkann, und das Quietschen von Eisenbahnschienen schallt. Es ist alswäre man in einer ganz anderen Welt, obwohl man nur einige Kilometergelaufen ist. Dass die Stadt sich durch ihre Bewohner formt, ist keinleerer Spruch. Auf sicherer Distanz umkreisen Mike und Merlany dieStadt, auf der Suche nach einem Eingang, was sich als ziemlichschwierig herausstellt, da über den hohen Zaun Stacheldrahtgewickelt ist, und mehrere bewaffnete Drohnen den Luftraumüberwachen. Rüberfliegen oder -klettern ist keine Option, ebensowenig wie der von zwei schwer gepanzerten Soldaten bewachte, und miteinem Sicherheitstor verschlossene Haupteingang.

„Es muss doch einen Weg hineingeben."

Ein schwaches Surren reißt Mike ausseinem Gedanken. Eine Überwachungsdrohne schwebt hinter ihm. Diesefliegt bei Sichtkontakt sofort weg. Unauffällig, um keine Wachen derGauntlets zu alarmieren, folgen die beiden ihr. Einige Minuten spätersehen sie, wie diese langsamer wird und sinkt. Dabei beobachten sie,wie die Drohne durch ein hineingeschweißtes Loch im Zaun in dasinnere der Stadt gelangt.

„Ein ungeschützter Eingang...",flüstert Merlany etwas skeptisch.

„Könnte eine Falle sein."

Mike sieht ihr lächelnd ins Gesicht.

„Wenn dieses Ding uns verpfeifenhätte wollen, wäre doch ein Alarm losgegangen und man hätte unserschießen lassen."

Merlany wird leicht rot im Gesicht.

„Also, rein da!"

Zögernd nickt sie. Schnell schleichensie zu besagtem Loch im Zaun.

Chaos City - Staffel 1Where stories live. Discover now