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„Ihr lügt" Claudias Beine waren zu weich um darauf zu stehen, sie sank auf eine der Bänke in Markus' Speisezimmer und zitterte.

Stunden hatte sie in der Kälte vor der Villa gefroren und auf Neuigkeiten gewartet. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit war ein Soldat zu ihr gekommen und hatte sie herein gebeten. Dann hatte er ihr in die Augen geschaut und in aller Ruhe die Büchse der Pandora geöffnet.

„Sie möchte Euch sehen", sagte der Soldat behutsam. In diesem Ton sprach man sonst nur mit Verletzten, die nicht mehr lange zu leben hatten. "Werdet Ihr zu ihr gehen?"

Sie nickte mechanisch. Er stützte sie, während er sie die Treppe hinauf führte. Hinter der Tür am Ende des Gangs lagen die Gemächer der Hausherrin.

Veronika erwartete sie schon. Aufrecht, die Hände im Schoß gefaltet saß sie vor dem geöffneten Fenster und sah auf den Garten. Sie schien einen Vogel zu beobachten, der draußen von einem kahlen Ast zum anderen hüpfte.

Der Soldat schloss die Tür hinter ihnen und ließ sie allein.

Ihre Schwester schaute auf. „Danke, dass du gekommen bist."

„Hör auf damit!" Claudia machte einen Schritt vor und schüttelte den Kopf. "Komm, du musst aufstehen. Wir gehen nach unten und reden nochmal mit Markus. Das alles hier ist doch nur Theater..."

„Claudia..."

„Nein! Was soll das sein, das können die doch nicht ernst meinen, du kannst doch nicht..."

„Es ist zu spät", sagte Veronika leise.

Claudia riss die Augen auf. „Aber-"

„Ich werde sterben. Der Kaiser hat das Urteil gefällt. Er wird seine Meinung nicht mehr ändern. Und ich auch nicht."

Als hätten ihre Worte einen Hebel umgelegt, verlor Claudia sämtliche Körperspannung. Eines ihrer Knie wollte wegknicken, rasch tat Veronika auf sie zu und fasste sie an den Armen.

„Warum tust du uns das an?", fragte sie und gegen ihren Willen klang sie weinerlich, Claudia konnte die Tränen nicht zurückhalten. „Hast du mal an Mutter und Vater gedacht? An mich? Ich brauche dich, du bist meine einzige Schwester!"

„Nein", sagte Veronika und kurz huschte ein Lächeln über ihre Lippen. „Du brauchst mich nicht. Du wirst geliebt. Von deinem Mann, von Lucius. Du wirst nie alleine sein."

„Warum kannst du dich nicht einfach beugen?" Ihre Hände krallten sich in die Unterarme ihrer Schwester, zur Trauer kam die Wut. „Wir haben so viele Götter! Wieso konntest du dir nicht einen von denen aussuchen? Jupiter, Neptun-"

„Wäre Jupiter für mich gestoben? Für mich und die Sünden der Menschen?", fragte Veronika sachte.

„Nein. Aber er hätte auch nicht erwartet, dass du dein Leben für ihn opferst! Hast du überhaupt keine Angst?"

„Du kennst mich besser als jeder andere. Ich hatte immer Angst. Vor allem. Menschen, Reisen, dem Unbekannten...Es ist merkwürdig." Veronika lächelte und eine Träne glitzerte in ihrem Augenwinkel. „Das Schlimmste, was mir passieren konnte, ist passiert. Ich sterbe. Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich wirklich keine Angst."

Claudia schloss die Augen, Tränen liefen ihr die Wangen hinunter.

„Ich erwarte nicht, dass du mich verstehst. Aber ich würde gern versöhnt aus der Welt gehen. Sag Vater, dass ich ihm verzeihe. Und Titus. Und Markus. Sag ihnen allen, dass ich sie liebe."

„Selbst Markus?" Claudia biss sich auf die Unterlippe.

„Selbst Markus. Und ich hoffe...ich hoffe, dass auch du mir verzeihst. Für die schlechte Schwester, die ich dir gewesen bin."

„Hör auf." Claudia trat auf sie zu und schloss sie in die Arme. Sie hielten einander, den Kopf an die Schulter der anderen gelehnt, ein Gewirr aus Tränen, Haaren und Atem.

„Ich möchte nicht verbrannt werden", flüsterte Veronika in ihr Ohr. „Begrabt mich bei meinen Brüdern und Schwestern in den Nekropolen unter dem Vatikanum. Versprichst du mir das?"

Claudia nickte. Sie konnte nichts mehr sagen. Mit aller Kraft, die sie noch hatte hielt sie ihre Schwester fest und drückte sie an sich.

Nach einer Weile kehrten die Soldaten zurück, Claudia spürte ihre Blicke im Nacken, doch es kümmerte sie nicht. Was wollten sie tun, wenn sie sich weigerte, Veronika herzugeben? Zwei Unschuldige töten? Sie würde ihre Schwester nicht gehen lassen... würde einfach nicht von ihrer Seite weichen...

„Claudia? Du musst mich jetzt loslassen." Veronikas Stimme war sachte und genauso behutsam löste sie sich von ihr. Zum letzten Mal schaute sie ihrer Schwester in die Augen.
„Danke", flüsterte Veronika.

Claudia konnte nur mehr nicken.

VeronikaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt