Gethsemane

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Der Garten Gethsemane lag in Stille. Unter dem Licht des Vollmonds, das durch die Äste brach, wirkten die Olivenblätter wie mit mattem Silber überzogen. Kein Vogel war zu hören. Keine Stimme, kein Lachen durchdrang die Nacht. Die Stille, die sich über den Garten gelegt hatte, war so vollkommen, dass sie selbst die Geräusche der nahen Stadt verschluckte. Alles schien friedlich.

Wer wäre auf die Idee gekommen, dass eben hier, in diesem Moment, ein Kampf ausgetragen wurde?

Nur ein aufmerksamer Beobachter hätte vielleicht die Veränderung in der Luft bemerkt. Die Spannung, wie vor einem Gewitter.

Zwischen den Oliven erschien ein Mann. Nach nur wenigen Schritten blieb er stehen und griff haltsuchend an einen Stamm. Er zitterte, aber nicht vor Kälte. Angst überzog seinen Körper wie Schüttelfrost, zwang ihn in die Knie. Noch kämpfte er dagegen an. Am Boden liegend stemmte er sich zurück auf die Unterarme und hob den Kopf zum Himmel.

Mondlicht fiel über sein verschwitztes Gesicht. Seine Pupillen waren weit, seine Haut kreidebleich. Bebend öffneten sich seine Lippen, gaben Laute frei, die dem Klang nach nur ein Flehen sein konnten. „Abba!" Sogar seine Zähne klapperten jetzt. Wieder und wieder brachte er mühsam Worte hervor. Ein Gebet, halb schluchzend, halb schreiend. Alles an ihn war angespannt und in seiner Panik rann der Schweiß wie Blut über seine Stirn. „Abba!"

Niemand antwortete.

Während der Mann mit seinen Qualen rang, schien sich die Finsternis um ihn herum zu verdichten. Da war noch jemand anderes, verborgen in den Schatten. Seine uralten Augen zählten jeden Blutstropfen, den der zitternde Mann verlor. Mitleidslos, voll höhnischer Genugtuung.

Das war er. Der Augenblick der Schwäche. Herbeigesehnt, mit leidender Geduld, seit Anbeginn der Welt. Ein Wort jetzt, ein Wispern, und der Menschensohn würde ihm gehören. So verletzlich war er nicht einmal in der Wüste gewesen. Begriff er gerade, was es hieß, wahrhaftig Mensch zu sein? Vor dem Tod zu zittern? Vor ihm, dem Herrscher der Welt?

Der lippenlose Mund verzog sich zur Grimasse. Schon einmal hatte er in einem Garten Zweifel gesät. Er konnte es wieder tun. Wer, wenn nicht er, wäre dazu in der Lage? Er, der Meister der Lüge, der Vater der Versuchung.

In einem Garten hatte die Geschichte der Menschheit ihren Anfang genommen. In einem Garten würde sie enden. Was für eine perfekte Poesie. Wenn er es nicht besser wusste, hätte er gesagt: geradezu göttlich.

Blutiger Schweiß tropfte auf das Gras und als der Mann endlich entkräftet zu Boden sank, erhob sich der alte Feind.

Die Stunde war gekommen.

Und sein Flüstern erfüllte den Olivenhain; ein eisiges Zischeln, das die silbernen Blätter erzittern ließ.

***

Veronika erwachte von einem Schrei.

Einen Moment war sie verwirrt. Es dauerte, bis sie begriff, dass er nicht aus ihrem Zimmer, sondern vom Gang dahinter kam.

Eine Attacke. Wir werden angegriffen.

Ihre Betttücher raschelten, als sie sich aufsetzte. Angestrengt horchte sie in die Dunkelheit. Der Palast war so still, fast glaubte sie, nur geträumt zu haben. Dann hörte sie es wieder. Kein Schrei, diesmal, mehr ein Wimmern. Dünn wie das eines Kindes.

Sie hätte einfach einen Sklaven rufen und sich wieder hinlegen können. Vielleicht wäre es sogar vernünftig gewesen, gleich die Wache zu verständigen. Es konnte schließlich gefährlich sein.
Aber an all das dachte Veronika nicht, als ihre Neugier siegte.
Vorsichtig setzte sie ihre Füße auf den Mosaikboden und folgte dem Geräusch.

VeronikaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt