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Rom, 30. Oktober, 33 n. Chr.

Titus hatte keine Erinnerung mehr, wie lange er schon in dieser Zelle steckte. In den Kerkern des Kaisers vergingen Tage und Nächte völlig gleich, er sah kein Licht, keine Sonne und auch sonst niemanden.

Selbst als nach einer gefühlten Ewigkeit endlich jemand anderes als seine Wache die Tür öffnete wurde er enttäuscht. Markus betrat die Zelle, eine Fackel in der Hand und einen hochgewachsenen Soldaten an seiner Seite. Er trug seine Senatorentoga, mittlerweile wieder ohne Flecken. Der Mann neben ihm umfasste mit beiden Händen den Griff seines Kurzschwertes und vermied es dabei Titus anzusehen.

„Mein lieber Schwager", begrüßte ihn Markus und beim Anblick seines grinsenden Gesichts hätte sich Titus am liebsten übergeben. „Ich hoffe, die letzten Tage waren nicht allzu unangenehm für dich. Obwohl...", er feixte, „Zu dem, was du von früher gewöhnt bist, muss dir das hier wie ein Palast vorkommen..."

Titus machte sich keine Mühe aufzustehen. Gerne hätte er Markus eine Ohrfeige verpasst, die ihn gegen die nächste Wand warf, doch dazu fühlte er sich zu schwach. Stattdessen lehnte er den Kopf gegen die nasse Steinmauer und seufzte. „Was willst du? Ich weiß, du hast mich hier schmoren lassen, um deine Rache zu bekommen. Schön, die hattest du jetzt. Lass mich endlich frei."

„Nicht so eilig." Im Schein der Fackeln hätte Markus' Gesicht auch eine Fratze sein können. „Zuerst sagst du mir, wo ihr Veronika versteckt habt. Danach kannst du von mir aus in das Loch zurückkriechen, aus dem du gekommen bist..."

Titus ließ ein trockenes Lachen hören. „Vergiss es. Aus dem Loch, wo ich herkomme, verraten wir einander nicht."

„Abwarten." Markus' Augen blitzten. „Vielleicht wirst du deine Meinung noch ändern, wenn du meine-"

„Tu, was du willst." Der unbekümmerte Ton, mit dem er sprach würde Markus wahnsinnig machen, Titus wusste das ganz genau. „Du kannst mich foltern, mir drohen... aber töten kannst du mich nicht. Ich bin jetzt der Schwiegersohn des Antonius, schon vergessen?"

„Antonius? Oh, ich glaube, der hat im Moment andere Probleme. Ich habe noch keine politische Karriere so schnell und dramatisch enden sehen... wirklich, ich denke nicht, dass er sich noch für dich einsetzen wird. Der Kaiser hingegen hört auf mich und du kannst dir sicher vorstellen, dass ich nichts lieber täte, als dich zu töten."

Titus starrte zu ihm auf, Verunsicherung im Blick und Markus nutzte das sofort. „Im Grunde sind deine Optionen ganz einfach: Du sagst mir, wo Veronika ist und ich lasse dich in Frieden ziehen. Weigerst du dich, mir zu helfen... nun..." Er kniete sich vor ihn, bis er ihm aus der Nähe ins Gesicht sehen konnte. „Ich werde dich töten, Titus. Ich werde dich vernichten und alles, was du in diesem Leben hattest, deinen Besitz, dein Land und deine Familie. Ich werde deine Frau töten und deinen Sohn. Natürlich nicht offiziell, es wird eine Bande Krimineller sein, die dein Haus überfällt. Tragisch...aber das passiert. Niemand wird wissen, wer dahinter steckt, nur du und ich. Zweifle nicht daran, dass ich sie finden werde. In dieser Minute stellen meine Männer unter den Christen Nachforschungen an und über kurz oder lang werden sie dort jemanden finden, der auskunftsfreudiger ist als du. Trotzdem möchte ich dir zuerst die Chance geben... Also, was meinst du?"

Titus biss die Zähne zusammen. Er sagte nichts, doch in seinem Kopf schrien die Gedanken. Keine Sekunde hatte er daran gezweifelt, dass Markus seine Drohung wahrmachen würde. Ihm lag nichts an Claudia, im Grunde lag ihm auch nichts an Veronika und Lucius würde nicht das erste unschuldige Kind sein, dem seine Verwandtschaft zum Verhängnis wurde. Dieser Mann wollte seine Familie töten.

„Ich höre...nichts?" Markus zog einen Schmollmund. „Wie schade... Ob wir deiner Frau sagen sollen, wer sie auf dem Gewissen hat? Ja, vielleicht ein paar Augenblicke bevor sie stirbt, damit sie das ganze Ausmaß deines Verrats erkennt. Das wäre doch perfekt."

Titus Lippen bebten. „Warte!", rief er als Markus sich zum Gehen wandte.

„ Ja?"

„Auf Capri. Wir leben auf Capri. Bei den Steilklippen, ein Hof von Sextus." Titus spürte die Scham noch ehe die Worte ganz über seine Lippen gekommen waren. Claudia würde ihn hierfür hassen. Er hatte ihre Schwester verraten. Doch in einem war er sicher und bereute seine Entscheidung nicht: Lieber eine unglückliche Veronika, als eine tote Claudia.

„Na also. Ich wusste doch, du kannst es."

„Halt den Mund und verschwinde! Wir hatten eine Vereinbarung, du lässt deine Hände von meiner Familie. Und sobald du Veronika hast komme ich hier raus."

„Deiner Familie passiert nichts. Aber du?" Über Markus' Gesicht zog sich ein Lächeln, das genüsslichste bisher. „Niemand hat etwas von dir gesagt..."

Mit einem Wink von ihm hatte der Soldat an seiner Seite das Schwert gezogen. Im Licht der Fackel blitzte die Klinge auf als er sie Titus über den Kopf hob.

„Nein..." Titus konnte kaum reagieren, er wusste sofort, was hier geschah. „Bitte. Ich habe einen Sohn."

„Und der ist besser dran ohne dich", entgegnete Markus kalt. „Ich mag keine Emporkömmlinge, keine Sklaven, die meinen unsere Ordnung auf den Kopf stellen zu müssen. Wer seinen Platz nicht kennt, muss auf ihn zurückverwiesen werden. Keine Sorge. Laurentius hier wird es schnell und relativ schmerzlos erledigen. Jetzt schau nicht so. Du hast zu viel gewollt und du hast verloren. Trag es mit Fassung."

„Markus!" Auf Knien kroch Titus dem Senator hinterher. Erst als er etwas Kaltes und Spitzes im Nacken spürte hielt er inne.

„Bleib hier. Mach es nicht noch schlimmer."

„Bitte." Titus zitterte. Er wollte es nicht, doch auf einmal schien er keine Kontrolle mehr über seinen Körper zu haben. Seine Beine zuckten unkontrolliert, langsam wandte er den Kopf, um dem Soldaten in die Augen zu sehen, der sein Todesurteil ausführen sollte.

Laurentius zögerte. Dann senkte er sein Schwert. „Wir müssen warten, bis wir sicher sind, dass er nicht mehr da ist", sagte er leise. Seine Stimme war rau, wie die eines Mannes, der schon viele Schlachten und noch mehr Leid gesehen hatte. „Dann bringe ich dich zum Hafen. Wenn wir Glück haben, erreichst du Capri noch mit Vorsprung."

Titus starrte ihn an. Erst als Laurentius sein Schwert wegsteckte und ihm voraus zur Zellentür ging, begriff er langsam, dass er wohl doch nicht sterben würde. „Was-" Die Worte blieben ihm im Hals stecken.

Wer mit dem Schwert schlägt, wird durch das Schwert getötet werden." Laurentius sah zu ihm hinunter. „Ja, ich bin einer von ihnen, ein Christ", fügte er als Antwort auf Titus' verwirrten Blick hinzu. „Und ich halte mich an die Worte meines Herrn. Wir alle lieben Veronika sehr."

„Es tut mir leid", krächzte Titus. Er wusste nicht, was er sagen sollte.

Laurentius nickte ernst. „Wir machen alle Fehler. Geh. Rette Veronika."

VeronikaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt