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Capri, 31. Oktober, 33. n. Chr

An diesem Morgen, noch bevor die Sonne aufging, versammelte sich die kleine Gemeinde zum Mahl.
Die Gemeinde, das waren Lydia und ihr Mann, die ihren Besuch verlängert hatten, ein paar ihrer Freunde aus der Nachbarschaft, irgendein Prediger, dessen Namen Claudia vergessen hatte und Veronika.
Sie war immer dabei, bei all ihren Treffen und meistens stand sie dann auch im Zentrum der Aufmerksamkeit. Unter ihren neuen Freunden schien sie regelrecht aufzublühen.
Schon früher hatte sie die Gabe gehabt sämtliche Blicke der Leute auf sich zu ziehen, doch damals hatte sie die rein nach Kalkül genutzt und bewusst eingesetzt. Heute schien sie sich nicht einmal mehr darum zu kümmern. Sie lachte, trank und sang mit ihnen und dabei lag eine Freude in ihrem Auftreten, die Claudia nie von ihr gekannt hatte.

Es war Lydias Idee gewesen, die Feiern ihrer Gemeinde für die Dauer von Veronikas Aufenthalt in Claudias Haus zu verlegen und sie hatte zähneknirschend zugestimmt, ihrer Schwester zuliebe. Wenn Veronika und ihre Freunde zusammentrafen hielt sich Claudia stets im Hintergrund. Sie wollte nicht Teil dieser Versammlungen sein, doch trotzdem hörte sie, was gesprochen wurde und beobachtete dabei jede Reaktion ihrer Schwester. Veronika war freundlicher, überhaupt nicht mehr schnippisch. Was auch immer sie in Jerusalem mitgemacht hatte, es musste einschneidend gewesen sein.
Doch anstatt sich einfach über die Veränderung ihrer Schwester zu freuen blieb Claudia weiterhin skeptisch. Tatsächlich war es ihr sogar unheimlich.

Sie beobachtete wie ihre Gäste den Tisch für die Feier deckten. Der Mann, der ihnen vorstand breitete gerade ein Leinentuch über das Holz als sich Veronika in ihr Blickfeld schob. "Schwester", sagte sie leise, "Kann ich mit dir reden? Wo wir ungestört sind?"

Die beiden traten nach draußen in die Dunkelheit der Straße. Im Osten zeigte sich ein schmaler Lichtstreifen am Horizont, die Nacht war schon verwässert. Über den Lavendel- und Rosmarinbüschen lag Tau und Claudia musste erst das Wasser abschütteln, bevor sie ein paar Stängel davon abriss.
Sie verschränkte für Arme. "Also? Fass dich kurz, ich will Frühstück machen"

„Ich muss gehen", sagte Veronika ohne Umschweife.

Claudia zog die Brauen zusammen. "Was redest du da? Du bist erst vor vier Tagen hier angekommen." Sie versuchte in der Dunkelheit das Gesicht ihrer Schwester auszumachen, doch Veronika sah sie nicht an und es war noch nicht hell genug, um ihren Ausdruck zu erkennen.

„Versteh mich bitte nicht falsch. Dein Haus ist herrlich, es ist so ein schöner Ort, du hast eine wunderbare Familie, Lydia und die anderen haben mich so gut aufgenommen, aber...Ich gehöre hier nicht her. Meine Berufung liegt in Rom. Ich spüre es, schon die ganze Zeit. Ich muss zurück."

„Du kannst nicht zurück!" Claudia schüttelte den Kopf über so viel Unvernunft. Reichte es ihr nicht, dass sie einmal nur knapp entkommen war? "Willst du mit aller Gewalt, dass Markus dich findet? Glaubst du, es stört niemanden, dass du einfach von diesem Fest verschwunden bist? Du hast keine Ahnung, was Titus und ich riskiert haben, um dich-"

„Doch, das habe ich", unterbrach sie Veronika, sachte, aber mit Nachdruck. „Womöglich hättet ihr das nicht tun dürfen. Es sind vier Tage seit unserer Flucht und Titus ist noch immer nicht zurück..."

„Er versteckt sich nur bis die Luft rein ist!" Claudia versuchte sicher zu klingen, doch gleichzeitig spürte sie den Knoten in ihrem Magen, den sie seit Tagen nicht loswurde.
Ja, es konnte gut sein, dass Markus in seinem Zorn jeden überwachen ließ, von dem er glaubte, er habe mit Veronikas Verschwinden zu tun. Vielleicht war Titus deshalb untergetaucht, um die Spuren nach Capri zu verwischen.
Claudia redete sich diese Möglichkeit ein, sie wollte daran glauben, denn die anderen Möglichkeiten, dass etwas Schlimmeres passiert war, durfte sie sich nicht ausmalen.

VeronikaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt