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Lydia wartete, bis Claudia ihr Wein eingeschenkt hatte und sich mit einem eigenen Becher ihr gegenübersetzte, bevor sie zu sprechen anfing.

„Weißt du, dass ich dich beneide? Du und Titus habt es wirklich schön hier. In Rom ist es im Moment kaum auszuhalten."

Ihr Blick wanderte über die Terrasse hinaus und die Olivenbäume entlang, die sich rechts und links von ihrem Haus über die Felder reihten. Vor ihnen fielen steil die Felsklippen ab, dahinter lag das Meer, jetzt bei Sonnenuntergang ganz mit dunklem Gold überzogen. Zwischen den Korridoren der Oliven stieg die warme Abendluft auf und wurde vom Wind bis zu ihnen herüber getragen, doch die Meeresbrise sorgte dafür, dass es nie unangenehm wurde. Capri war nicht umsonst die Sommerresidenz des Kaisers, viele hitzegeplagte Römer flüchteten in den Sommermonaten auf die Insel.

„Lenk nicht ab", sagte Claudia und legte die Stirn in Falten. „Wir waren bei Veronika. Wieso ist sie zurück? Und wieso schickt sie dich? Abreitest du wieder für meine Familie?"

Meine Familie. Das Wort klang wie Hohn. Titus und Lucius waren ihre Familie, diese Leute in Rom gingen sie nicht mehr an und dass sie immer noch an sie dachte, sie insgeheim manchmal sogar vermisste, kam ihr wie Verrat vor.

„Nein." Lydia senkte die Stimme. „Sie ist nicht mehr zuhause. Veronika gehört zu uns. Sie ist seit ein paar Monaten Teil unserer Gemeinde."

Kurz glaubte Claudia sich verhört zu haben. Sie ahnte, wen Lydia mit uns meinte. Schon seit längerem war sie Mitglied in einer neuen religiösen Gruppe. Sie wurden manchmal die Jesus-Anhänger genannt und von allem, was Claudia wusste, glaubten sie, dass der Mann Jesus von Nazareth von den Toten auferstanden und noch dazu Gottes Sohn war.

Schon mehr als einmal hatte sie dieses Thema mit Lydia in eine erhitzte Diskussion geführt.

„Du warst dabei, im Garten", hatte Lydia dann immer gesagt, die Stimme eindringlich und ernst. „Du hast ihn gesehen."

Und Claudia hatte sie abgewiegelt. „Ich habe einen Menschen gesehen, keinen Gott. Warst du bei dieser Auferstehung dabei? Wer sagt, dass die nicht alles erfunden haben? Ich habe gesehen, was Pilatus mit ihm gemacht hat. Warum hat er sich nicht davon befreit? Warum erst sterben und dann auferstehen, wenn er sich als Gott auch gleich davon befreien könnte?"

An diesem Punkt hatte Lydia meistens aufgegeben. „ Wenn du nur glauben könntest", hatte sie gemurmelt, offensichtlich wirklich traurig, es dann aber auf sich beruhen lassen.

Nein, Claudia konnte nicht glauben. Und sie verstand ihre Freundin auch nicht. War es eine einzige Begegnung wert, sein ganzes Leben danach auszurichten? Und Lydia hatte das getan, sogar ihren Mann hatte sie danach ausgesucht, ob er Mitglied der neuen Sekte war oder nicht. Ihre neue Religion lehrte, dass Armut nicht schlecht war, dass die Kranken und Alten genauso viel wert waren, wie die an der Spitze ihrer Gesellschaft und dementsprechend lebten sie.

Dieses Verhalten war ihr unheimlich. Claudia hatte über den Wert ihrer Mitmenschen schon immer anders gedacht, als der Rest in ihrem Umfeld, aber aus ihrem eigenen Verstand heraus, aus Logik, nicht weil irgendein neuer Gott es sagte. Sie konnte richtig und falsch auch allein unterscheiden. Leuten, die blind einem Anführer folgten, ob Gott oder Sterblicher, stand sie zutiefst misstrauisch gegenüber.

Über ihre Lippen zog sich ein Lächeln. „ Veronika ist eine von euch?" Sie versuchte so viel Spott wie möglich in ihre Stimme zu legen, um deutlich zu machen, wie absurd sie diese Idee fand. „ Willst du mir erzählen, sie geht jetzt in Lumpen herum und versorgt die Kranken? Veronika hat sich früher nie darum gekümmert, wie es anderen geht, sie wollte nur ihren Markus, alles andere war ihr egal!"

„Markus ist ein gutes Stichwort", sagte Lydia, die heute offenbar keine Lust auf lange Diskussionen hatte. „ Deswegen bin ich hier. Veronika möchte dich um etwas bitten und dir ein Angebot machen, von dem hoffentlich beide Seiten profitieren."

„So?" Claudia schnaubte. „ Da bin ich aber mal gespannt."

„Sie bittet dich, nach Rom zu reisen und mit deinem Vater zu verhandeln." Claudia wollte gerade schon den Mund öffnen, um zu widersprechen, doch Lydia hielt sie zurück. „ Warte ab. Du sollst deinem Vater sagen, dass Veronika sich gerne wieder mit ihrer Familie versöhnen würde. Sie ist bereit zurückzukommen, wenn ihr Vater ihr im Gegenzug verspricht, dass sie Markus Aulus nicht heiraten muss. Sie will sich ihren Mann selbst aussuchen."

„Schön", sagte Claudia ungehalten, „Veronika hat also endlich einen Funken Verstand in ihrem hübschen Kopf entfacht... Und? Was springt für mich dabei raus? Wie soll ich meinen Vater davon abhalten, mich einzusperren, sobald ich zurückgehe?"

„ Du kannst mit deinem Vater verhandeln. Denk daran, Veronika ist seine Lieblingstochter, du bietest ihm an, ihm seinen wertvollsten Besitz zu bringen. Aber im Gegenzug soll er dir versprechen, dich und Titus nicht mehr zu verfolgen. Eventuell könntest du auch finanzielle Unterstützung wie eine Mitgift für dich aushandeln."

Claudia lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Was Lydia da vorschlug klang zugegebenermaßen gut. Zu gut. Wenn ihr Vater Titus als ihren Ehemann anerkannte, musste er eine Mitgift zahlen, das stimmte...

Sie dachte an Lucius. Einen Arzt zu bekommen wäre mit Geld kein Problem mehr, überhaupt würden sich einige ihrer Probleme in Luft auflösen. Eine gute Beziehung zu ihrem Vater konnte ihnen dauerhaft Schutz gewähren. Und ihre Flucht wäre endlich beendet.

„Warum gehst du nicht und verhandelst mit ihm?", fragte Claudia ihre Freundin, „ Warum ich?"

„Was hätte ich in der Hand? Wenn dein Vater erfährt, dass ich weiß, wo Veronika sich aufhält, wird er kein Mittel scheuen, die Antwort aus mir herauszubringen. Bei seiner Tochter würde er das nicht wagen. Außerdem bist du nur die Botin, du hast keine Ahnung, wo sie ist und kannst es nicht sagen, selbst wenn du wolltest."

Claudia nickte. „ Wir brechen morgen auf", meinte sie dann nach einer Pause. Lydia machte ein überraschtes Gesicht, offenbar hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie sich so leicht überzeugen ließ. „ Wenn mein Vater dem Handel zustimmt, dann brauche ich sein Geld so bald wie möglich. Aber... ich muss Titus Bescheid sagen. Überhaupt muss ich das alles noch mit ihm besprechen." Sie stand auf.

„Veronika hat sich verändert", sagte Lydia bevor Claudia sich abwenden konnte. „Du würdest sie nicht mehr wiedererkennen. Es tut ihr leid, wie sie Titus und dich behandelt hat. Ich glaube, sie würde sich auch mit dir gerne wieder versöhnen."

Claudia presste die Lippen zusammen. „Ich tue das hier für meine Familie, nicht für sie. Das kannst du ihr ruhig so sagen. Wir sind dabei einen der einflussreichsten Männer Roms zu erpressen. Sie spielt ein sehr gefährliches Spiel für ihren neuen Gott."

„Veronika weiß, was sie tut."

„Das hoffe ich", sagte Claudia grimmig.

Das hoffe ich.

VeronikaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt