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„Wieso tut Ihr das, wieso bringt Ihr mich dorthin zurück?"

Joseph musste Veronika fast hinter sich her schleifen, als sie durch die Straße Jerusalems zum Palast des Pilatus zurückliefen.

„Sei vernünftig. Du musst zurück, was willst du sonst tun? Abhauen?"

Veronika zögerte. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass sie wieder an ihre Schwester dachte. Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Inzwischen musste Claudia die Stadt schon meilenweit hinter sich gelassen haben. Sie hatte von dem Durcheinander, in das sie verwickelt gewesen war, gar nichts mitbekommen.

Was wäre gewesen, wenn sie gesehen hätte, wie Veronika zu Boden ging? Wäre sie hier geblieben, an ihrer Seite? Oder wäre es ihr egal gewesen?

„Bitte! Ich will zurück", rief Veronika, und nicht zum ersten Mal. „Ich will sehen, was mit ihm passiert."

„Was mit ihm passiert?" Joseph wandte sich um und funkelte sie an. „Was glaubst du denn, was mit ihm passiert? Er stirbt! Und ob du oder ich dabei zusehen, spielt absolut keine Rolle mehr. Es ist vorbei." Veronika sah die Träne in seinem Auge. Er hörte sich an, als täten ihm seine Worte selbst am meisten weh.

Pilatus tobte, als sie ankamen. Er schien Joseph von Arimathäa nicht zum ersten Mal zu begegnen, in knappen Sätzen ließ er sich von ihm schildern, was in der Stadt vorgefallen war.

Ab und an schnappte Veronika Gesprächsfetzen der beiden auf, irgendetwas von der Erlaubnis zur Bestattung und einem Grab, aber die meiste Zeit hörte sie kaum etwas. Selbst als Pilatus in seiner Wut über Claudias Verschwinden nun auch sie anschrie, prallten seine Worte an ihr ab. Ihre Gedanken waren dumpf und leer.

Stattdessen geisterte Josephs Es ist vorbei durch ihren Kopf, unablässig, wie eine dieser schrecklichen Melodien, die man nicht mehr aus den Ohren bekam.

Als Pilatus schließlich merkte, dass seine Tiraden keinen Zweck mehr hatten, schickte er Veronika in ihr Zimmer.
Sie wandte sich ab, widerspruchs- und emotionslos, bis eine Stimme sie zurückrief.

Joseph war ihr einen Schritt entgegengekommen und streckte die Hand aus. „Dein Schleier", sagte er und sie hörte seine Stimme wie aus weiter Ferne, „Das Schweißtuch. Es hat sein Blut. Es ist bei uns Brauch solche Dinge mit ins Grab zu legen. Würdest du...?"

Veronika sah hinab auf den zerknitterten Schleier in ihren Händen. Vor einem Monat noch hätte sie über jeden gelacht, der es wagte, sie zu fragen, ob sie sich von dem Tuch trennen würde. Der Schleier hatte für Marcus gestanden, für ihre Hochzeit, für das Versprechen auf eine Rückkehr nach Rom, für ihre Zukunft, ihre Identität...
Jetzt dachte sie nicht einmal mehr nach, als sie ihm das Tuch über die ausgebreiteten Hände legte.

VeronikaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt