Das Haus des Pilatus

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Pontius Pilatus lächelte, während er auf sie herabsah. „Willkommen in meinem Haus, Claudia. Wie war eure Reise?"

Als Claudia bemerkte, dass sie ihn immer noch anstarrte, schloss sie rasch den Mund und räusperte sich: „Gut, Herr, danke...Wir hatten angenehmes Wetter."

„Ja, zu dieser Zeit ist die Hitze noch erträglich." Pilatus reichte ihr den Arm und sie ließ sich von ihm die Stufen hinauf zum Palasteingang geleiten, wo ihre Schwester schon wartete. Während er weiter über Belanglosigkeiten redete, nutzte Claudia die Chance, ihn von der Seite genauer zu betrachten.

Pilatus war ganz anders als ihr Vater, dem man schon immer angesehen hatte, dass er mehr Zeit mit Abendessen bei Senatoren, als mit Leibesübungen verbrachte. Ihr Gastgeber hingegen wirkte drahtig, muskulös und zäh. Schon an der Art, wie er ging, erkannte sie, dass er es gewohnt war, auch unter den einfachen Soldaten persönlich Befehle zu erteilen. Haare hatte er keine mehr, dafür aber buschige Augenbrauen und einen klaren, stechend scharfen Blick. Er war schlicht gekleidet, anders als die Senatoren Roms, die manchmal schwerer mit Gold beladen waren, als ihre Frauen. Außer seinem Siegelring trug er keinerlei Schmuck.
Trotzdem wusste Claudia nicht, ob sie ihn sympathisch oder abstoßend fand.

„Darf ich euch meine Gattin vorstellen?", sagte er, als sie auf der Veranda vor dem Palast ankamen und wies mit der Hand auf eine Frau, die dort im Schatten bereits auf sie wartete. „Sie heißt auch Claudia. Ich hoffe, das führt nicht zu Verwechslungen."

„Wir werden schon zurechtkommen." Seine Ehefrau lächelte und strich mit der Hand über ihr Kleid. „Willkommen, Mädchen."

Sofort ging Veronika auf sie zu, umarmte sie und hauchte ihr einen Kuss auf beide Wangen, wie es bei den Damen der römischen Oberschicht üblich war. „Vielen Dank, dass Ihr uns aufnehmt, Claudia. Ich bin so froh, nach dieser Reise endlich wieder eine Römerin zu sehen", sprudelte sie los, in einem Tonfall, der von ihrer schlechten Laune in den letzten Wochen nichts mehr erahnen ließ. Fast als wäre nie etwas gewesen. Claudia spürte, wie die Wut in ihr hochkochte.

Bevor Pilatus' Frau auch nur den Mund öffnen konnte, hatte Veronika sich bei ihr eingehakt. „Ihr müsst mir unbedingt verraten, wo Ihr die Seide für Eure Palla her habt. Wisst Ihr, ich heirate bald und habe schon einen Schleier aus Muschelseide, der hervorragend dazu passen würde..."

Claudia sah den beiden nach, wie sie zusammen im Palast verschwanden und sie allein mit Pilatus zurückließen.

Er hob die Brauen und schüttelte leicht den Kopf. „Deine Schwester hat ein sehr...einnehmendes Wesen."

Sie seufzte. „So kann man es auch nennen..." Oberflächlich, kindisch und dumm wären besserer Begriffe.

Pilatus warf ihr einen Seitenblick zu und lächelte wieder. „Nun, sie wird sich umstellen müssen. Jerusalem ist nicht Rom. Die Unterhaltungsmöglichkeiten für junge Damen aus der Oberschicht sind hier nicht gerade üppig." Er legte die Stirn in Falten und wurde plötzlich ernst. „Ich muss euch bitten, den Palast nur unter Begleitung meiner Soldaten zu verlassen. Wenn ihr es tut, dann kleidet euch schlicht, sprecht so wenig wie möglich, gebt euch nicht als Römerinnen zu erkennen, als Patrizierinnen schon gar nicht. Latein ist auf diesen Straßen keine beliebte Sprache."

Claudia nickte. Sie kam nicht auf die Idee, zu widersprechen. Etwas an der Stimme dieses Mannes sagte ihr, dass er es ernst meinte und sie gut daran tat, seinen Rat zu befolgen. „Was werden unsere Aufgaben in deinem Haus sein? Helfen wir deiner Frau bei der Unterweisung der Sklaven?"

„Nein. Ihr seid unsere Gäste, das würde meine Freundschaft zu eurem Vater beleidigen. Fühlt euch frei, zu tun, was ihr wollt. Deine Schwester und du werdet im Wohnbereich meiner Frau leben. Wir haben einen Garten hier innerhalb der Palastmauern und Claudias Freundinnen werden euch sicher gut unterhalten. Ich kann euch leider nur zum Abendessen Gesellschaft leisten, meine Aufgaben als Stadthalter zwingen mich, die Tage meist außer Haus zu verbringen."

Erst bei seinen letzten Worten hörte Claudia richtig hin. „Was sind denn die Aufgaben des Stadthalters?"

Wenn er von ihrer Frage überrascht war, dann ließ Pilatus es sich nicht anmerken. „Ich erteile den Hauptmännern ihre Befehle. Ich erstatte dem Kaiser Bericht, verhandle mit den örtlichen Machthabern, sitze zu Gericht..."

„Kommt das oft vor?", unterbrach ihn Claudia, schärfer, als sie beabsichtigt hatte, „Dass du über die Leute hier richten musst?" Sie musste dringend ihre Zunge im Zaun halten. Nur weil sie wütend auf ihren Vater, ihre Schwester und Rom überhaupt war, durfte sie es sich mit Pilatus nicht auch gleich verscherzen. Doch er schien ihren Ton überhört zu haben.

„Zu oft, für meinen Geschmack. Es sind hauptsächlich politische Verbrechen, Rebellen, Aufständische...Erst heute Morgen habe ich zwei von ihnen zum Tod verurteilt" Er runzelte die Stirn. „Aber warum fragst du?"

Claudia biss sich auf die Lippe und lächelte gezwungen. „Verzeih", sagte sie, „Ich habe manchmal ein ungesundes Interesse an politischen Dingen, mein Vater sagt das auch. Ich..."Sie überlegte fieberhaft, wie sie sich rausreden konnte. Schließlich beschloss sie, es Veronika gleichzutun und eine ihrer Höflichkeitsfloskeln anzuhängen. „Du leistest hier wirklich große Arbeit für das römische Imperium."

Pilatus schnaubte. „Ich mache vor allem die Drecksarbeit für das römische Imperium." Als er Claudias Gesichtsausdruck sah, schüttelte er den Kopf. „Verzeih meine Sprache, Claudia. Aber es ist eine Sache, ein Land zu erobern. Es zu halten...das steht auf einem ganz anderen Blatt. Die Leute hier sind stur, rebellisch und nicht leicht zu handhaben. Ständig gibt es Aufstände und wenn es keinen Aufstand gibt, dann kannst du sicher sein, dass gerade einer ausgeheckt wird. Diese Woche feiern sie ihr großes Fest. Die ganze Stadt ist schon jetzt voll von Fremden. Und etwas liegt in der Luft, das spüre ich. Sie warten alle auf ihren Messias. Einer, der sie von uns Römern befreit. Ich kann es ihnen nicht mal verdenken, wahrscheinlich wäre ich auch so an ihrer Stelle. Es sind immer die Machtlosen, die sich wie Narren an Hoffnungen und Prophezeiungen klammern."

„Und wenn sie Recht haben?", fragte Claudia leise. Sie musste plötzlich an Lydia denken. „Was, wenn ihr Messias kommt und Rom besiegt? Wären wir dann nicht die Narren?"

Pilatus lächelte mitleidig. „Glaub mir, Claudia. Er sollte bis jetzt jedes Jahr erscheinen. Und? Ist er aufgetaucht? Ist Rom gefallen? Nein. Wer sagt also die Wahrheit?"

Claudia schluckte. „Ich weiß es nicht", flüsterte sie und sah zu ihm auf. „Das ist doch nicht so leicht zu beantworten...philosophisch, meine ich... Was ist überhaupt Wahrheit?"

Diesmal erwiderte Pilatus nichts. Er starrte sie nur an, mit einem Blick, der ihr durch Mark und Bein ging.

Auf einmal fühlte sich Claudia ziemlich unwohl in ihrer Haut. Sie hatte zu viel geredet. Mal wieder. Vielleicht war es Zeit, nach Veronika zu sehen. Rasch neigte sie zum Abschied den Kopf und wandte sich um.

Mit dem Blick ihres Gastgebers im Nacken eilte sie davon.

***

Ein paar Straßen weiter erreichten gerade zwei Männer die Stadt.

Der eine war lange gereist, hatte auf einer Galeere für seine Überfahrt gearbeitet und war die letzten Kilometer über Land als blinder Passagier auf einem Wagen mitgefahren. Jetzt stahl er sich heimlich davon, auf der Suche nach einer Herberge. Seine Augen suchten zwischen den flachen Dächern das Haus des Pilatus. Sobald es ging, würde er Lydia eine Nachricht zukommen lassen. Eine Woche, für länger reichte sein Geld nicht aus. Aber länger würde er auch nicht brauchen, wenn alles nach Plan lief. Und dann würden ihn weder Rom noch Jerusalem jemals wieder sehen.

Der andere Mann machte keinen Hehl aus seiner Ankunft.
Vom Osten über den Ölberg ritt auf einem Esel in die Stadt, und kaum hatte er die Mauern hinter sich, war er umringt von Menschen, jubelnden Menschen. Sie rissen Palmzweige von den Bäumen und streuten sie ihm in den Weg als er vorüber ritt. Keiner der römischen Soldaten am Straßenrand begriff, was hier gerade passierte. Keiner konnte die jubelnde Masse zurückhalten, die Hosianna rufend durch die Straßen strömte, als kehre ihr König heim.

Der einzige, der nicht jubelte, war der Mann auf dem Esel. Bei genauerem Hinsehen hatte er Tränen in den Augen. Sein Blick ging zum Tempel.

Er wusste, was kommen würde. Wusste, dass es nicht bei den Hosanna-Rufen bleiben konnte. Wusste, dass diejenigen, die ihn jetzt umringten, verraten würden.

Sein Weg hatte begonnen, mit Jubel und Triumph.

Aber so sollte er nicht enden.

VeronikaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt