Der Schleier

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Rom, Februar, 30.n. Chr.

An einem Tag wie diesem, wenn der Himmel blau war und die Temperaturen schon so mild, dass man ohne Mantel auf die Straße treten konnte, herrschte in den Thermen Hochbetrieb. In der Halle der Frauen hallte Gelächter vermischt mit Wasserplatschen bis unter das Kuppeldach. Aus den Warmwasserbecken stiegen Dampfwolken auf und ließen die blauen Mosaiksteine des Fußbodens beschlagen.

Veronika sah die Bilder gerne an. Immer, wenn sie hier war, verfolgte sie den Wechsel der farbigen Steinchen. Aus der Nähe wirken sie wie willkürlich zusammengesetzt, erst mit ein wenig Abstand verbanden sie sich vor dem Auge des Betrachters zu Delfinen und Wellenmustern. Sie erinnerten sie an das Meer.

Als sie ein Kind gewesen war, hatte sie ihren Vater gebeten, die gleichen Mosaike in ihrem Zimmer abzubilden. Ihre Cousine aus Sizilien war damals zu Besuch gewesen und hatte sie mit ihren Schwärmereien von einer Villa am Meer neidisch gemacht. In Rom gab es nur den Tiber und bis zum Hafen in Ostia war es ein gutes Stück. Zu weit für ihre Sänftenträger.

Sie setzte sich auf und nickte einer ihrer Sklavinnen zu. Sofort eilte das Mädchen herbei und begann ihr Haar zu kämmen. Nur zum Schwimmen trug sie es offen, sobald sie wieder auf die Straße ging, musste es sauber frisiert sein. Im Nacken zu einem Knoten gesteckt, über der Stirn eine gedrehte Haarlocke, so trugen es die vornehmen Damen Roms. Die Frisur hatte sie sich von den Büsten Kaiserin Livias abgeschaut, der Frau des großen Kaisers Augustus. Sie galt als das Muster einer tugendhaften Römerin, sittsam, großzügig, eine gute Mutter und Ehefrau. Für Veronika war sie eine Heldin.

Von der Steinliege gegenüber überwachte Ravenna mit kritischen Augen die Arbeit der Sklavin. Veronikas Vater selbst hatte ihr den Namen Ravenna gegeben, nach der Stadt im Norden Italiens, aus der ihre Mutter gekommen war. Ravenna selbst war schon seit ihrer Geburt im Besitz der Familie.

„Marcus wird mir eine Villa am Meer bauen, das hat er versprochen", erklärte Veronika ihr mit einem breiten Lächeln. Sie wusste, dass sie nicht so stolz klingen sollte. Das war unschicklich und einer römischen Patrizierin, die sich vor allem durch Bescheidenheit auszeichnete, nicht würdig. Aber sie konnte es sich einfach nicht verkneifen. „Auf Capri, direkt neben der Residenz des Kaisers. Wir werden einen Garten haben mit Zitronen und Blumen und einem Wasserspiel. Dort veranstalten wir unsere Feste. Alle meine Freundinnen aus Rom werden kommen und ihn bewundern."

Ravenna lächelte milde. „Noch seid Ihr keine Ehefrau. Schmiedet die Pläne nach der Hochzeit, Domina."

„Marcus und ich sind verlobt", entgegnete Veronika kühl, „Was soll noch schiefgehen?" Sie drehte den Armreif mit den schweren Rubinen an ihrem Handgelenk. Marcus hatte ihn ihr angelegt, am Tag ihrer Verlobung, unter den wachsamen Blicken ihrer beider Väter. Es war der schönste Moment ihres Leben gewesen: Sie, umringt von ihren Freundinnen, als der Mann ihrer Träume um ihre Hand angehalten hatte. Wenn sie die Augen schloss konnte sie noch immer die neidischen Blicke sehen. Alle hatten ihn haben wollen, aber bekommen hatte sie ihn.

Ihren Verlobungsschmuck legte sie jetzt nie wieder ab, weder zum Schlafen, noch zum Schwimmen, auch wenn ihr die Hand und der Nacken von Gold schmerzten. Es war ein klares Zeichen an die Welt, wie ihr Status war und zu wem sie bald gehören würde.

Die einflussreichste Frau Roms. Zweite, hinter der Kaiserin. Ich werde die Ehefrau eines Senators ein, die Mutter zukünftiger Feldherren. Eine solche Position kam nicht ohne Verantwortung, das war ihr klar. Ganz Rom würde auf sie schauen. Sie musste ein Vorbild für das Volk sein. Eine Inspiration für die Philosophen und eine Muse für die Dichter.

Als ihre Sklavinnen ihr in ihre Tunika mit der hellblauen Palla darüber geholfen hatten, stand Ravenna auf. „Kommt", sagte sie, „Wenn wir noch in die Basilika wollen, sollten wir uns beeilen."

VeronikaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt