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Mit einem dumpfen Geräusch schlug Titus auf dem Steinboden auf. Sofort breitete sich Schmerz von seiner Wirbelsäule ausgehend bis in seine Schultern und Beine aus. Um ihn herum tobte die Menge, doch er sah nichts als schwarze Flecken, die an den Rändern seines Bewusstseins und um das grinsende Gesicht von Markus Aulus tanzten.

„Gewonnen", sagte der jetzt. Sein Gesicht kam noch ein Stück näher und Titus sah Zähne blitzen. „Auch ein Freigelassener bleibt letztlich eben doch immer nur ein Sklave..."

Sein Gegner richtete sich auf und präsentierte sich mit ausgebreiteten Armen der Menge. Ein paar Frauen kreischten seinen Namen und Titus war sich nicht sicher, ob ihm nun vom Schmerz oder davon schlecht wurde.

Mühsam hievte er sich in eine sitzende Position. Das Stechen in seinem Rücken war zuerst kaum auszuhalten, doch er spürte wie es sekündlich besser wurde und das bedeutete immerhin, dass er sich nicht ernsthaft verletzt hatte. Jetzt musste er nur noch die Feierstimmung nutzen, um sich ungesehen aus dem Saal zu schleichen und seiner Frau mit dem nächsten Schiff hinterher zu reisen, weg von Rom, weg von diesen Leuten...

„Veronika!", rief Markus jetzt über die Köpfe der Menge und seine Arroganz war kaum zu ertragen. „Meine Liebe, komm und gratuliere mir zum Sieg... Veronika!" Bei diesem letzten Wort hatte sich seine Stimme plötzlich verändert. Sie kippte von Stolz zu Ungeduld und es lag ein herrischer Unterton darin.

Titus konnte die Szene vom Boden aus nicht sehen, doch er malte sich im Geiste aus, wie Markus' Gesicht innerhalb von Sekunden die Farbe wechselte, als er sah, dass die Liege, auf der seine Braut gesessen hatte, leer war.

„Veronika?" Mittlerweile war es still im Saal geworden, die Zuschauer schienen verwirrt und so konnte man Markus' inzwischen fast panische Stimme umso besser hören. " Veronika!?"

Titus begann zu lachen. Er hatte noch immer Schmerzen, doch die Vorstellung, die Markus ablieferte war einfach zu gut. " Sieht ganz so aus, als würde es nicht einmal deine Braut bei dir aushalten...", sagte er laut, sodass es jeder hören konnte.

Einen Moment herrschte erschrockene Stille. Dann aber begannen auch andere in das Gelächter einzustimmen. Die verdatterte Miene des Senators, die Art, wie er hilflos im Saal umherschaute und Titus' Kommentar waren ein gefundenes Fressen für all jene, die Markus Aulus noch nie leiden konnten.

Ihr Lachen hallte von den Wänden wider bis Markus, rot geworden von der Demütigung, auf Titus zu rannte und ihn am Kragen hoch riss.

„Ihr habt sie", flüsterte er, die Augen zu Schlitzen verengt und das Gesicht nur noch Zentimeter von Titus entfernt. Seine Hände zitterten vor Wut. „Wo ist Claudia, ha? Ihr beide habt sie mir weggenommen!" Man könnte förmlich sehen, wie es in Markus' Gehirn schaltete, als er endlich verstand, dass er hintergangen worden war. „Wo ist sie?!", schrie er und schüttelte Titus. Dann schob er ihn vor sich in Richtung Kaiser und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Er war es! Er und Claudia. Sie haben mir meine Braut geraubt!"

Das Gelächter um sie herum wurde noch lauter und jetzt stimmte sogar Tiberius mit ein. „Markus", rief der Kaiser von seinem Thron aus, seine Stimme eine Mischung aus Beschwichtigung und Belustigung. „Wirklich, wenn dieses Mädchen dir sogar schon davonläuft, solltest du dir vielleicht doch eine andere suchen..."

Markus stand da als hätte ihm jemand einen Stein auf den Kopf gedonnert. Mit hochroter Stirn ließ er Titus los, der vor ihm zu Boden sackte.

Noch nie war er so gedemütigt worden. Um ihn herum lachte die Aristokratie Roms Tränen und deutete mit Fingern auf ihn. Der Senator, dem die Frau wegrannte! Was für ein Skandal. Er sah, wie Tiberius sich vor Lachen eine beringte Hand auf den Bauch legte, sah seine politischen Gegner in ihrer Ecke feixen, sah Antonius mit entsetzten Blick zu ihm schauen...

Markus Aulus ballte die Hände zu Fäusten und stieg ein paar Stufen zum Thron des Kaisers hinauf, bevor er sich der Menge zuwandte. „Hört auf zu lachen! Ihr seid betrogen worden, genau wie ich!", schrie er über ihre Köpfe.

Tiberius stoppte abrupt und mit ihm die meisten anderen Gäste. Der Kaiser legte den Kopf schief. „Markus, mein Lieber, was willst du uns damit sagen?"

„Hört mich an, Caesar!" Er raffte sein Gewand und richtete sich auf. „Unser geschätzter ehemaliger Konsul Antonius hier", Markus streckte die Hand aus und wies auf ihn, „hat uns alle belogen. Dieser Mann", seine Hand wanderte in Richtung Titus, „ist kein Tribun, wie er uns glauben machen wollte. Er ist in Wahrheit ein freigelassener Sklave, ein dreckiges Stück aus der schlimmsten Gosse Roms, mit dem Claudia, die hochgeborene Tochter des Antonius, durchgebrannt ist."

In der Menge kam Unruhe auf, eine paar Leute hielten sich in schockierter Geste die Hand aufs Herz und alle Blick gingen zu Antonius.

„Deswegen wurden seine Töchter nach Jerusalem verbannt, doch da hörte der Skandal nicht auf", fuhr Markus unbarmherzig fort, „Meine Verlobte Veronika geriet dort in die Fänge einer neuen Sekte, die von einigen inzwischen Christen genannt werden. Sie beten einen von Pilatus gekreuzigten Aufständischen an, der sich selbst als König ausgegeben hat und unsere römische Staatsmacht unterwandern wollte!"

Aus der Menge kam vereinzeltes Keuchen. Markus hatte die Aufmerksamkeit längst auf seiner Seite und das wusste er genau. Nicht umsonst war er einer der einflussreichsten Politiker Roms, er vermochte auch die aussichtsloseste Debatte zu seinen Gunsten zu wenden und genau das bewies er jetzt.

Mit großer Geste trat er ein paar Schritte in die Menge. „Die Christen sind nach meinen Erkenntnissen gefährlich, gefährlicher noch als die Germanen. Sie lehren, dass Armut gut ist und würden euch alle am liebsten aus euren Villen jagen!" Seine Arme machten eine Bewegung, die den ganzen Raum umschloss. „Schlimmer noch, sie lehren, dass ein Sklave genauso viel wert ist wie ihr! Ja, ihr habt richtig gehört", fügte er hinzu als in der Menge aufgeregtes Tuscheln einsetzte. „Wollt ihr, dass sich mit den Christen die Barbarei einschleicht? Diese Leute essen Menschenfleisch und trinken Blut, weil sie glauben, es sei der Leib ihres Herrn. Sie sind so unrömisch, wie man nur sein kann. Und Veronika ist in ihren Fängen!"

Plötzlich änderte sich seine Tonlage, er sprach leiser, fast weinerlich. „Ihr alle kennt Veronika. War sie nicht ein Muster an Frau? War sie nicht alles, was sich ein Mann wünschen kann?" Er machte eine Kunstpause, um dem Publikum Raum für Zustimmung zu geben. „Ich liebe sie und es ist nichts als die tiefste Liebe des Herzens, was mich dazu bewogen hat, auf sie zu warten und sie trotz ihrer Verfehlungen zur Frau zu nehmen...

Ich gebe ihr keine Schuld! Diese Leute haben sie verhext und ihr den Kopf verdreht, wie es den Weibern oft geht. Ich war sicher, ein wenig Zeit und guter römischer Umgang würden sie wieder zu der alten Veronika machen... Aber jetzt hat dieser Sklave sie mir geraubt!" Er wirbelte herum und deutete erneut auf Titus. „Er und seine Frau haben sie verschleppt, durch List und Tücke.

Ich spreche nun direkt zu dir, oh Caesar!" Sein Blick richtete sich auf Tiberius, der das Geschehen bis jetzt schweigend verfolgt hatte. „Willst du, dass Veronika davonkommt und ihre zerstörerischen Gedanken unter unseren Söhnen und Töchtern verbreiten kann? Die Christen lehnen nicht nur unsere Götter ab, nein, sie leugnen auch deine Gottheit, oh ewiger Tiberius! Willst du das zulassen? Gib mir Männer und die Macht, nach Veronika zu suchen! Lass Titus festnehmen, damit er seine Komplizen verrät. Lass uns Veronika finden und sie vor Gericht bringen und ich schwöre dir, oh Göttlicher, sie wird vor dir knien und ihrem Irrglauben abschwören!"

Markus wandte sich wieder an die Menge. „Männer und Frauen unseres geliebten, unsterblichen Reichs, erhebt eure Stimme! Helft mir, Veronika, eine verlorene Tochter Roms, meine Braut, nach Hause zu führen!"

Als er geendet hatte, sprach niemand. Alle Blicke galten dem Kaiser, der auf seinem Marmorstuhl lehnte und blinzelte. Tiberius sah für einen Moment aus, als würde ihn die Entscheidung, die er zu treffen hatte, überfordern. Dann hob er die Hand und von den Wänden lösten sich Soldaten. Sie packten Titus unter den Armen und schleiften ihn davon.

Markus bebte vor Adrenalin und unterdrückter Freude. Tiberius ließ sich Zeit mit der Antwort, sein Blick streifte Antonius, den dieser Abend vollkommen zerstört zurücklassen würde und die Gesichter seiner Untertanen, die ihn erwartungsvoll ansahen.

Schließlich seufzte er. „Also schön, Markus" Er strich sich über die Stirn. Alt. Müde. „Bring mir das Mädchen." 

VeronikaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt