Prolog

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Wie Wasser, dachte er, als er die Seide durch die Finger gleiten ließ, Wasser mit Blut verwoben.

Sie waren überall auf dem Muschelseidetuch: Hässliche braunrote Flecken, Verfärbungen im kostbaren Gewebe, an manchen Stellen schon beinahe verblasst. Angeblich stammten sie von getrocknetem Blut, doch verglichen mit dem reinen, weißen Stoff, kamen sie Antonius eher wie ganz gewöhnlicher Straßendreck vor.

Auf jeden Fall konnte er nichts erkennen, was an dem Tuch besonders war. Oder gar verehrungswürdig.
Nichts, was all das Leid gerechtfertigt hätte, das es über seine Familie gebracht hatte.

Bewahre es, hatte seine Tochter gesagt, bewahre es, bis wir uns wiedersehen. Ihre Worte waren das einzige, das ihn daran hinderte, den verfluchten Gegenstand noch hier und jetzt zu verbrennen.

Im Atrium herrschte fast vollkommene Stille. Er konnte die schweigenden Senatoren spüren, dort, im Schatten der Säulen, auch wenn sie das Tageslicht, das durch die Öffnung im Dach über dem quadratischen Wasserbecken drang, kaum noch erreichte. Nur der kleine Schrein der Hausgötter in der Wandnische gegenüber war von Öllampen erhellt, gerade so, dass Purpur und Marmor dahinter gut zur Geltung kamen. Alles an diesem Raum schrie Reichtum, von den Mosaiken am Boden, bis zu den Masken der Vorfahren an den Wänden.

Marcus war schon immer ein Angeber gewesen.

Antonius ließ seinen Blick über die Versammelten wandern. Jeder von ihnen hatte ihn noch vor einer Sekunde angestarrt. Jetzt wichen sie seinen Augen aus. Als wäre er ein Aussätziger.

Aber das bist du doch auch, sagte eine spöttische Stimme, Vater von Verrätern.

Ein Mann löste sich aus dem Schatten und schlenderte auf ihn zu, die Toga lässig über die Schulter geworfen, ein arrogantes Lächeln auf den Lippen.

„Antonius", sagte er so laut, dass es alle im Raum hören konnten und in der Stille hallten seine Worte nach, „Warum so düster? Hast du nicht allen Grund zur Freude?" Er kam noch ein paar Schritte näher, bis er direkt vor ihm stand. Um seine Mundwinkel kräuselte sich ein Lächeln, aber seine Augen...Götter, die Augen.

Es lag keine Gefühlsregung in ihnen. Sie waren blau und bewegungslos und leer, die Pupillen, schwarze Punkte, die ihn anstarrten. Er blinzelte kaum. Schon immer hatte Marcus diese Eigenart gehabt und vielleicht war es das, was Gespräche mit ihm so unangenehm machte.

„Warum so düster?", wiederholte Marcus Aulus, „Du solltest jubeln, Antonius. Deine Tochter kehrt heim."

Sag, dass du mich liebst. Sag, dass du mich verehrst. Sag, dass du mich vergötterst.

Bei der Erinnerung, wie Marcus die Worte zu Veronika gesagt hatte, wurde ihm schlecht. Sie hatte ihm immer geantwortet, was er hören wollte. Immer. Bis auf das eine Mal.

„Du führst Veronika dem Kaiser vor. Du bemühst einen Prozess gegen sie", zischte Antonius mit kaum unterdrückter Wut, „Über was soll ich mich freuen?"

Marcus Aulus lächelte unentwegt weiter und beugte sich noch ein Stück vor, damit er seinen Mund an das Ohr des Konsuls legen konnte. Antonius erschauderte.

„Deiner Tochter wird nichts geschehen, das versichere ich dir", flüsterte er so leise, dass nur sie beide es hören konnten. „Sie wird vor dem Kaiser knien und ihm die Treue schwören. Er wird ihr für ihre Irrungen vergeben. Die Ehre deiner Familie wird wiederhergestellt. Und dann werde ich meine Braut heimführen..."

Antonius wich einen Schritt zurück. Marcus musste inzwischen einen unheimlichen Einfluss auf den Kaiser haben, wenn er es schaffte, Tiberius erst davon zu überzeugen, dass Veronika eine Gefahr war, der man mit der geballten Staatsmacht nachstellen musste und im nächsten Schritt ihre Begnadigung nahelegte.

„Wieso willst du sie überhaupt noch zur Frau?", fragte er in normaler Lautstärke, die Hände fester in den Muschelseide-Schleier gekrallt, „Sie hat dich öffentlich abgewiesen."

Für einen Moment erstarb das Lächeln auf Marcus' Gesicht. Dann brach er in schallendes Gelächter aus: „Das!", lachte er und blickte in die Runde, „Jugendliche Schwankungen. Man weißt doch, wie die Frauen in dem Alter manchmal sind. Und überhaupt, Sekten, Geheimkulte, das ist doch bei ihnen im Moment in Mode. Es soll ja sogar einen neuen Kult geben, bei dem sie in Stierblut baden..."

Von den Senatoren kam nervöses Gelächter. Natürlich, Marcus' Worte waren Balsam für die kultivierte römische Seele.

Feixend wandte sich Marcus an Antonius und senkte wieder die Stimme: „Veronika und ich, wir sind füreinander bestimmt", sagte er und es lag ein eisiger, gefährlicher Klang in seinen Worten, „Vielleicht hat sie das im Moment nicht so klar vor Augen, aber das wird schon wieder. Spätestens, wenn sie vor dem Kaiser steht. Sie hat nicht vergessen, wer ihr Herr ist."

Mit einem triumphierenden Schwung seiner Toga wandte er sich um und kehrte auf seinen Platz an der Stirnseite der Halle zurück. Direkt neben dem erhöhten Stuhl des Kaisers. In wenigen Minuten würde Tiberius selbst hier sein. Und dann würden sie richten.

Nein, nicht sie, Marcus würde richten und Tiberius nicken.

Marcus...

Marcus, in dem er sich getäuscht hatte. Marcus, der das Glück seiner Familie und das Leben seiner Tochter in der Hand hielt. Marcus, der Veronika zurück wollte, sie besitzen wollte, so wie er alles besaß, was ihm gefiel.

Wie ein Herr. Wie ein König.

Wie ein Gott?

VeronikaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt