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Rom, September, 33. n. Chr.

Rom erlebte einen seiner heißesten Septembertage, doch Claudias Fingerspitzen waren immer noch eiskalt. Sie rieb die Hände aneinander, um das Gefühl zu vertreiben, was sich allerdings als nicht besonders effektiv erwies.

Es hatte sie alle Überwindung gekostet, den Türklopfer in die Hand zu nehmen. Die Villa ihres Vaters ragte vor ihr auf und selbst jetzt bei strahlendem Sonnenschein wirkte sie abweisend. Unten in der Stadt waren die Straßen überfüllt von Händlern und Bürgern, Sklaven und Handwerkern, aber hier oben auf dem Hügel der Reichen schienen sie wie leer gefegt. Der viele Marmor, mit dem die Bewohner der Gegend ihre Villen schmückten, half auch nicht dabei, die Atmosphäre wärmer zu machen.

Claudia atmete tief durch. Sie war nicht nervös, nein. Was ihre Hände kalt werden, ihr Herz rasen und ihre Stimme zittern ließ, war keine Aufregung.

Es war die blanke Angst.

Sie wusste nicht mehr, was sie ihrem Vater zutrauen konnte, wie weit er gehen würde. Ja, sie verhandelte um seine Lieblingstochter, aber was hielt ihn davon ab, sie gar nicht erst anzuhören? Vielleicht sperrte er sie ein, froh wenigstens eine Tochter zurück zu haben? Vielleicht würde er immer noch versuchen, sie und Titus auseinander zu bringen?

Sie musste mit allem rechnen, auch mit dem Schlimmsten und das hatte sie gewusst, als sie sich von ihrem Mann und Sohn verabschiedet und auf den Weg nach Rom gemacht hatte... Was sie tat, war das Beste für ihre Familie, da waren sie sich alle einig gewesen.

Dass dieses Beste nun allerdings ganz allein an ihr und ihren Verhandlungskünsten liegen würde, beunruhigte sie mehr als gedacht. Im fernen Capri konnte man leicht Pläne schmieden, sie auszuführen, stand auf einem anderen Blatt.

Die Tür öffnete sich und einer ihrer Pförtner streckte den Kopf nach draußen. Als er Claudia sah, weiteten sich seine Augen. „Domina?"

Zur Antwort hob Claudia ihr Kinn. Sie trug eines ihrer wenigen Kleider von früher, eine hellblaue Palla und einen Schleier, der so fein war, dass man hindurchsehen konnte. Ihr Vater sollte sehen, wie gut es ihr mit Titus in ihrem neuen Leben ging. Wenn sie schon als Bittstellerin kam, dann würde sie wenigstens nicht so aussehen.

„Ich möchte zu meinem Vater", sagte sie.

Der Pförtner nickte langsam. Er spähte die Straße auf und ab, bevor er sie mit einer Geste hinein winkte und hinter ihr hastig das Tor schloss.

Claudia schluckte, ließ sich aber nichts anmerken, als er sie über den Hof und durch das Atrium führte. Selbst der Geruch ihres ehemaligen Zuhauses kam ihr plötzlich seltsam vor, als sei sie zu Gast bei Fremden. Sie fühlte sich wie ein Eindringling, nicht wie jemand, der sein Elternhaus betrat.

Ihr Vater saß in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch und als sie eintrat hob er den Kopf von einer Wachstafel, die er gerade beschrieb. Von ihrer Mutter war nichts zu sehen.

Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Claudia sicher gelacht, bei der Miene, die ihr Vater machte. Für einen Moment entgleisten ihm die Gesichtszüge und er starrte seine Tochter mit unverhohlenem Entsetzen an.

„Du siehst keine Gespenster, Vater. Ich bin es wirklich."

Antonius wäre nicht jahrzehntelang Mitglied des Senats und vor einigen Jahren sogar Konsul gewesen, wenn er nicht wüsste, wie man mit ungewohnten Wendungen umging und so gewann er schnell die Fassung zurück. Augenblicklich wurde sein Blick finster.

„Du lebst also noch", war seine knappe Feststellung. „Was willst du hier? Geld?"

Es hätte nicht wehtun dürfen, nach allem, was sie erlebt hatte, doch trotzdem versetzten seine Worte Claudia einen Stich. Seine Töchter wurden seit drei Jahren vermisst und das erste, was er sie beim Wiedersehen fragte...

Claudia schüttelte den Kopf. Hier hatte sich nichts verändert. Warum hatte sie ein schlechtes Gewissen gehabt? Warum hatte sie überhaupt einen Gedanken an diese Leute verschwendet?

„Ich komme, um dir einen Handel anzubieten. Deine Lieblingstochter schickt mich."

Diesmal hob Antonius nur kurz die Brauen. „Veronika ist bei dir?"

„Nein. Aber ich habe Kontakte, die wissen, wo sie ist. Deine Tochter will wieder nach Hause kommen, wenn du ihr versprichst, dass sie Markus Aulus nicht mehr heiraten muss."

„Meine eigenen Töchter wollen mich erpressen?", knurrte Antonius. Er schien kurz davor, aufzuspringen. „Habt ihr keinen Anstand mehr?"

„Wir sind deine Töchter, du sagst es", gab Claudia zurück und diesmal war fast kein Zittern mehr in ihrer Stimme, „Jemand, der so viele politischen Verhandlungen geführt hat, sollte sich nicht wundern, dass seine Töchter das ein oder andere gelernt haben..."

„Frech bist du auch noch. Was du sagst passt nicht zusammen...", beharrte ihr Vater, „Veronika war vernarrt in Markus."

Über Claudias Mundwinkel zog sich ein breites Lächeln. „Jetzt offenbar nicht mehr. Aber das war noch nicht alles. Ich habe auch ein paar Bedingungen..."

Antonius schnaubte. „Das wird ja immer besser..."

„Wenn ich dir helfe, Veronika zurückzubekommen, dann wirst du mich und Titus in Zukunft in Ruhe lassen. Du bist mittlerweile Großvater und ich will nicht, dass mein Sohn erleben muss, wie uns bewaffnete Soldaten irgendwo auflauern."

Für die Masse an Informationen, die in den letzten Minuten auf ihn eingeprasselt war, saß Antonius noch beneidenswert ruhig auf seinem Stuhl. Er sagte nichts, doch Claudia konnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete, wie er Möglichkeiten abwägte und nach der besten Lösung suchte. Der besten Lösung für ihn natürlich.

„Großvater?", sagte er schließlich. Und dann veränderte sich seine Laune plötzlich. „Schön, Schön. Ich schätze, wenn der Schaden schon passiert ist, nützt es nicht mehr viel, ihn verhindern zu wollen. Wir werden deinen Titus zu einem Patrizier machen", meinte er, wie als diskutiere er die neuen Getreidepreise, „Ich kenne die Männer im Senat, die dafür nötig sind, es dürfe nicht allzu schwierig werden. Er war ein Tribun, der in Jerusalem stationiert war, dort habt ihr euch kennengelernt, geheiratet und eine Weile gelebt. Jetzt ist er nach Rom zurückgekommen und will hier leben. Ja, das klingt doch glaubhaft. Wir werden das Fest des Kaisers in ein paar Tagen nutzen, um euch der Gesellschaft vorzustellen."

„Titus und ich haben unser Leben außerhalb von Rom. Wir wollen und werden nicht mehr hier leben", entgegnete Claudia.

Kurz warf Antonius ihr einen irritierten Blick zu, er war es nicht gewohnt, dass ihm in seinem Haus widersprochen wurde. „Dann lebt ihr eben außerhalb von Rom. Aber wenn diese Vereinbarung getroffen werden soll, dann werdet ihr uns in Zukunft öfter besuchen. Ich will meinen Enkel sehen, er wird einmal mein Erbe sein und deine Mutter...du hast keine Ahnung, was Veronika und du ihr angetan habt-"

„Ich habe nichts gegen Besuche", unterbrach ihn Claudia schnell. Sie wollte das Gespräch nicht auf ihre Mutter lenken. Vor allem ihretwegen hatte sie noch immer ein schlechtes Gewissen. Für ihren Vater mochte sie nichts weiter als ein Pfandstück sein, das man gegen Ruhm und größere Schätze eintauschen konnte, doch ihre Mutter hatte sicher unter dem Verlust beider Töchter gelitten. „Wo ist Mutter? Kann ich sie sehen, bevor ich wieder abreise? "

„Ich hoffe doch, du bleibst noch, um mit uns zu essen?" Diesmal klang ihr Vater sogar freundlich. „Sind wir uns dann einig? Du sagst deinem Kontakt, dass Veronika auf dem Fest des Kaisers erscheinen soll, im Gegenzug gewährte ich eure Bedingungen."

„Einverstanden. Kann ich mich auf dein Wort verlassen?"

Antonius nickte mit ernster Miene. „Bei meiner Ehre."

Sie reichten sich die Hände.

„Wie willst du Markus Aulus begreiflich machen, dass er Veronika nicht mehr haben kann?", fragte Claudia und legte den Kopf schief.

Ihr Vater winkte ab. „Er hat die letzten drei Jahre nicht nur auf Veronika gewartet, es sind auch andere Bewerberinnen da gewesen. Markus ist ein beliebter Mann, er wird über den Verlust hinwegkommen." Antonius lächelte. „Lass uns heute nicht mehr über Markus sprechen. Komm, deine Mutter hat nicht verdient, länger zu warten. Sie wird außer sich sein, wenn sie erfährt, dass ihre Tochter heimgekehrt ist..."

VeronikaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt