2. »Möchtest du dich vielleicht vorstellen?«

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»Ich weiß nicht«, sagte ich kleinlaut, »Ich dachte, vielleicht hast du eine Ahnung.« Luke schüttelte fassungslos den Kopf und beugte sich näher über meinen Arm. »Du solltest wirklich ganz dringend zum Arzt gehen.« Das war mir mittlerweile auch klar geworden. »Hoffentlich ist es nichts Schlimmes«, meinte ich panisch. »Bestimmt nicht«, versuchte Luke mich zu beruhigen. »Aber es sieht verdammt seltsam aus. So etwas habe ich noch nie gesehen.«

Ich atmete tief ein und aus. Nur ein Ausschlag. Es war nur ein verdammter Ausschlag. »Ich denke, für heute ist es genug.« Luke legte eine Hand auf meinen Rücken und schob mich in Richtung meines Heimwegs. »Am besten gehst du jetzt gleich und rufst dann bei einem Arzt an.« Ich nickte resigniert und packte meinen Bogen fester. »Du hast Recht. Mit Sicherheit bekomme ich eine Salbe oder so etwas verschrieben und in ein paar Tagen ist alles vorbei.«

***

Am nächsten Tag in der Schule kam Luke sofort zu meinem Platz und stützte sich mit einem Arm auf dem Tisch ab. »Hast du gestern noch jemanden erreicht?«, fragte er. Ich nickte. »Ja, übermorgen habe ich einen Termin.« Es wäre mir zwar lieber gewesen, gleich heute hinzufahren, aber bis morgen würde ich es ja wohl gerade noch aushalten. Frau Safrit, unsere Klassen- und Englischlehrerin, betrat den Raum und musterte Luke.

»Soweit ich mich erinnern kann, sitzen Sie woanders.« Augenverdrehend verzog sich Luke auf seinen Platz weiter hinten und der Unterricht begann. Wir würden heute einen neuen Schüler bekommen, allerdings stieß er erst in der Physikstunde zu uns, als Herr Becker ihn mitbrachte.

Als die beiden durch die Tür traten, musterten so ziemlich alle den Neuen, was diesem sichtlich unangenehm war. Auch ich ließ meinen Blick kurz über ihn schweifen: athletisch, helle Haut und kurze, braune Haare, die in leichten Wellen in seine Stirn fielen. Herr Becker stellte seine Tasche auf das Pult und räusperte sich, woraufhin das Getuschel nach und nach verstummte. »Das ist euer neuer Mitschüler Connor. Ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr ihn gut aufnehmt. Möchtest du dich vielleicht vorstellen?«, meinte der Lehrer.

Nicht besonders begeistert hob Connor den Blick und sah seine zukünftige Klasse an. »Hi. Ich bin Connor, wie ihr schon gehört habt. Viel gibt es nicht über mich zu wissen, außer vielleicht, dass ich gerne schwimme und auch Bogenschießen zählt zu meinen Hobbys.« Bei Letzterem hörte ich interessiert auf. Nicht viele hier konnten Bogenschießen oder interessierten sich überhaupt dafür. Vielleicht war dieser Connor ja ganz nett. Mein Blick fiel auf den freien Platz rechts neben mir. Als hätte Becky – wie ich Herrn Becker heimlich nannte – meine Gedanken gelesen, ließ er seinen Blick über die Schüler schweifen, bis er an mir hängen blieb.

»Setz dich doch zu Connie!«, schlug er auch schon begeistert vor und wies auf den Vierertisch in der ersten Reihe, an dem ich mit Sophie und Anaya saß. Während Becky mit dem Unterricht begann, ließ Connor sich neben mich auf seinen Stuhl fallen und streckte die Beine lang aus. »Irgendwie kommst du mir bekannt vor«, murmelte er. Ich sah ihn überrascht an. Woher wollte er mich denn kennen? Ich hatte ihn mit Sicherheit noch nie gesehen. »Connie...«, fuhr er fort. »Ah, jetzt hab ich's! Du hast doch einen Blog, stimmt's? Meine Cousine schwärmt oft davon.«

Daher kannte er mich! Heimlich führte ich einen Blog, in dem ich die neuesten Bücher vorstellte und Reviews dazu gab. Meine Eltern würden es nie dulden, da sie der Meinung waren, in meinem Alter sollte man lieber anonym im Internet bleiben, also konnte ich nicht allzu oft updaten. Bei den vielen Buchpaketen würden sie nur misstrauisch werden. Auch was das Bogenschießen anging, musste ich unter der Hand vorgehen. In den Augen meiner Mom war dieser Sport viel zu gefährlich und noch dazu gab es keinen Verein oder Ähnliches in der Nähe, wo ich es ihrer Meinung nach professionell und sicher lernen konnte.

Glücklicherweise hatte sie mich bis jetzt weder beim Bloggen noch beim Bogenschießen erwischt, was schon an ein Wunder grenzte. Es war schwer genug gewesen, an einen Laptop zu kommen, da würde sie ihn mir mit Sicherheit wieder wegnehmen, wenn sie hinter meine Geheimnisse kam. »Ja, das bin tatsächlich ich«, lächelte ich erfreut, aber das Lächeln verschwand sofort wieder aus meinem Gesicht, als ein Schatten auf mein Pult fiel. Langsam hob ich den Kopf und sah Becky direkt ins Gesicht.

»Miss Green«, sagte er mit säuerlicher Miene, »Darf ich erfahren, was so interessant ist, dass du lieber darüber als über unser aktuelles Physikthema redest?« Schuldbewusst biss ich mir auf die Unterlippe. »Nichts, Herr Becker. Entschuldigung.« War ja klar, dass er mich zurechtweisen würde, obwohl ich nur einen einzigen Satz gesagt hatte, im Gegensatz zu dem Neuen. »Kannst du mir dann vielleicht verraten, wie die Kernladungszahl im aktuellen Beispiel lautet?«, hakte der Lehrer unbarmherzig nach. Eigentlich war Becky ein hervorragender Lehrer, aber heute hatte er wohl einen schlechten Tag. Als ich nur hilflos mit den Schultern zuckte, bedachte er mich mit einem strafenden Blick und wandte sich wieder der Tafel zu. Den Rest der Stunde hielt ich lieber den Mund. Auf Nachsitzen konnte ich nun wirklich verzichten.

Dragons-Magische VerwandlungWhere stories live. Discover now