74. »Das ist grausam!«

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Zaghaft redete sie weiter. »Ich sah...ich sah in der Vision, wie meine Mutter in einer Blutlache auf dem Küchenboden lag. Zu dem Zeitpunkt hielt ich das alles nur für einen Albtraum. Am nächsten Morgen stiegen Tiana und ich wie geplant in den Bus nach Dialtha. Vier Stunden später erhielt ich einen Anruf meines Vaters.

Mom war tot. Er drohte mir, dass dasselbe mit Tiana geschehen würde, wenn wir nicht sofort zurückkämen, doch ich hatte zu große Angst. Der Schmerz raubte mir jeden Verstand und ich bekam nichts mehr mit, außer dass wir es geschafft hatten, als wir endlich vor diesem Anwesen in Dialtha standen und Tante Meggie uns überrascht hereinließ.

Und irgendwann zogen Tiana und ich in dieses Baumhaus am nahen Wald, sehr versteckt. Es war unsere einzige Chance, unentdeckt zu bleiben, denn niemand sucht im tiefsten Wald bei einem Campingplatz nach zwei jungen Mädchen, die keine Ahnung von der Welt haben. Natürlich besuchten wir Tante Meggie und die anderen oft, sie versorgten uns.

Wenn du dich jetzt fragst, ob Tiana ganz allein da oben im Baumhaus liegt, dann kann ich dich beruhigen: Nein. Ich habe die Abtrünnigen informiert.« Ich war sprachlos. »Aber wieso sind deine Abtrünnigenfreunde dann nicht mit dir losgezogen?« Daraufhin lachte sie und sagte bitter: »Sie sind mit dem Leben davongekommen, als sie geflohen sind. Ein zweites Mal bringen sie sich nicht in Lebensgefahr, noch dazu direkt in die Höhle des Löwen.

Sie hätten mir niemals geholfen, auch wenn ihnen viel an uns liegt.« »Das ist grausam!«, murmelte ich entsetzt. »Es ist der einzige Weg«, entgegnete Alecya. Wir schwiegen beide. »Ich glaube, ich verstehe es«, sagte ich dann. Hoffnungsvoll blickte Alecya mich an. »Das heißt aber nicht, dass ich dir verzeihen kann, nicht sofort. Ich brauche Zeit«, schränkte ich sofort ein.

»Ich weiß«, antwortete Alecya schlicht. »Wirst du Luke davon erzählen?« Ich biss mir auf die Unterlippe. »Ich muss. Aber ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, wie ich ihm das beibringen soll.« »Damit sind wir schon zwei«, murmelte Alecya. Vorsichtig begann ich mit einem anderen Thema. »Wollen wir der Allianz jetzt nicht mal von Tiana erzählen? Möglicherweise haben sie hier auch ein Gegenmittel. Ich weiß, du vertraust ohne Tianas Gabe niemandem so schnell, aber haben sie uns jetzt nicht ihre Treue bewiesen?«

Bisher hatten weder Alecya und Connor noch Luke und ich ein Wort darüber verloren. Nur Tymian wusste sonst noch von Tiana, wenn er niemandem etwas verraten hatte. Ich konnte ja verstehen, dass wir sie schützen mussten, aber vielleicht war dieses Ausharren total unnötig und wir könnten sofort ein Heilmittel bekommen! Alecya schüttelte den Kopf so schnell, dass ihre Haare um ihr Gesicht peitschten.

»Auf keinen Fall. Wer weiß, später stellt sich jemand hier als Feind heraus und gibt uns statt dem Heilmittel ein Gift. Das würde ich niemals riskieren! Wir müssen uns einfach vorsichtig umhören, vielleicht finden wir dann eine Lösung.« Widerstrebend stimmte ich zu, obwohl ich anderer Meinung war. »Na gut, wie du meinst. Vielleicht können wir noch ein paar Informationen aus Matt herausbekommen.«

»Gute Idee!«, sagte Alecya eindrücklich. »Morgen beim Training ist ein guter Zeitpunkt dafür. Apropos Training - wenn wir morgen nicht beim Schwertkampf durchbohren lassen wollen, sollten wir etwas Schlaf tanken. Ich glaube, das haben wir beide dringend nötig.« Als sie das sagte, merkte ich wieder, wie ausgelaugt ich von den Geschehnissen war. Auch sie sah erschöpft aus.

Mit gemischten Gefühlen legte ich mich wieder schlafen. Ich konnte den Gedanken noch nicht so recht fassen, dass Alecya ein Quasi-Dark war und uns belogen hatte, ich sie aber trotz allem irgendwie akzeptieren konnte. Wie brachte sie mich ständig dazu? Ihr Geständnis erklärte aber auch ihr Wissen über die Dunklen Drachen und ihre überragenden Kampfkenntnisse. Und was sollte ich von Connor denken? Er trug das Symbol eines Darks, passte aber überhaupt nicht ins Muster.

In meiner überbordenden Fantasie malte ich mir aus, wie ein kleiner, siebenjähriger Connor seinen Dark-Eltern entrissen und von Abtrünnigen erzogen wurde. Das machte keinen Sinn, vor allem nicht, da er Jason erkannt hatte. Doch das Mysterium Connor würde ich nicht heute Nacht lösen können. Wobei - wieso war ich nicht gleich auf den Gedanken gekommen? Ich konnte Jason fragen!

Wozu sonst war es denn gut, jede Nacht neben einem Dark zu verbringen? Das erinnerte mich auch an die lächerliche Abmachung, er solle mir Schwertkampf beibringen. War ein Desaster da nicht vorprogrammiert? Bevor mein Kopf noch von all den offenen Fragen explodieren konnte, glitt ich endlich in den erlösenden Schlaf.

Und Nr. 3...

Dragons-Magische VerwandlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt