III

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Komplett rot angelaufen, weil der Typ am Telefon zuerst dachte, ich sei eine seiner Sidechicks, wandte ich mich von Kian ab, der das verdammt witzig fand

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Komplett rot angelaufen, weil der Typ am Telefon zuerst dachte, ich sei eine seiner Sidechicks, wandte ich mich von Kian ab, der das verdammt witzig fand. «Lach nicht und finde heraus, wo zum Teufel der alte Buchladen ist. Du weißt schon, der wo die Senioren immer zum Lesen hingehen. Da wo es so ruhig ist. Dort will er uns treffen.» Der Blauäugige verstummte und sah mich etwas perplex an. «Der Typ ist Senior und dachte, du wärst eines seiner Betthäschen? Läuft bei ihm.»

Diese Aussage lockte mir ein Lächeln auf die Lippen, welches ich ihm eigentlich nicht schenken wollte. «Jetzt mach einfach», drängte ich ihn und er winkte ab. «Ich weiß, wo er ist.» Damit wir uns hier nicht gegenseitig aus den Augen verlieren, langte er nach meiner Hand und diese verschwand beinahe in seiner großen. Sie war warm und half definitiv gegen das behinderte New Yorker Wetter. Es war mitten im Herbst und der Winter klopfte ab und zu auch schon an der Tür. Die Sonne schien zwischen den Wolken hindurch, aber ein starker Wind wehte, was das Ganze nicht so angenehm machte. Zwischen durch regnete es immer wieder. Das war das Wetter, das man um diese Jahreszeit hier meistens, aber nicht immer, zu sehen bekam. Also ganz normal. Mein Vater kam von Ägypten, weshalb die eine Hälfte von mir nicht für solches Wetter gemacht war, aber ich überlebte es.

«Warum weißt du, wo dieser Buchladen ist?» Kian ließ meine Hand nicht los, als Menschen an uns vorbeirannten, um zu den nächsten Bussen oder Bahnen zu gelangen. «Der ist genau neben einer Polizeistation. Eigentlich solltest du ihn auch kennen.» Verwirrt, weil ich diesen Laden noch nie gesehen hatte, stolperte ich ihm hinterher. «Aber er ist ziemlich versteckt, oder?» Auf meine Frage antwortete der Aschblonde nur mit einem Nicken. Dann war ja klar, warum ich den noch nie gesehen hatte. Der war bestimmt etwas hinter der Station. Natürlich würde ich ihn dort nicht sehen können. Vor allem auch, weil ich noch nie dorthin musste.

«Du kennst die Stadt also gut, huh?» Ich hatte zu ihm aufgeholt und Schulter an Schulter liefen wir nun die etwas ruhigere Straße entlang. «Mein Vater war Polizist.» Wir bogen rechts ab und in der Ferne konnte ich schon die etwas kleinere Polizeistation erkennen. «Und zu Hause hingen immer solche großen Karten. Als kleiner Junge habe ich mich sehr dafür interessiert und meinem Vater immer wieder Fragen darüber gesellt. Er hat mir so ziemlich alles beigebracht, was ich weiß. Das wurde ihm schlussendlich zum Verhängnis.» Kian kickte eine Dose vom Bürgersteig in die Richtung eines Mülleimers und steckte seine Hände in seinen Hosentaschen. «Warum zum Verhängnis?» «Er gab mir sein Wissen weiter und ich lernte auch selbstständig noch vieles dazu. Schlussendlich wusste sein Sohn mehr als er selbst. Natürlich verdammt schlimm», scherzte er und zwinkerte mir kindisch zu. Ich verstand ihn und realisierte, dass er es nicht ernst meinte.

Kopfschüttelnd seufzte ich dann. «Wenigstens hat dir dein Vater etwas beigebracht. Meiner ist heute noch dafür, dass ich in einer Bank arbeiten soll.» «Findet er es denn nicht gut, dass du Polizistin werden willst?» Wieder schüttelte ich meinen Kopf. «Meine Mutter und mein großer Bruder sind beide Anwälte und es wäre ihm natürlich lieber, würde auch ich einer sein, aber ich weigere mich dagegen.» «Gut so.» Kian stupste mich neckisch an. «Sonst müsste ich den Scheiß hier allein oder gar mit Valeria oder Morris machen.» Ich lachte auf und hüpfte vom Bürgersteig, um mit meinem Partner die Straße zu überqueren.

«Sie steht auf dich», stellte ich lachend fest und der Blauäugige stoppte kurz in seiner Bewegung. «Echt jetzt?» Ich bejahte seine Frage und sah ihm ins Gesicht. «Merk ich mir.» In seinem Unterton konnte ich etwas Schelmisches hören und zuerst dachte ich, er würde es wieder ernst meinen, aber dann sah er mich hinterlistig an und begann zu lachen. «Nur zu. Zwei Fliegen mit einem Schlag. Morris ist wahrscheinlich schwul.»

Kian lachte auf und wir stoppten vor der Polizeistation. «Das erklärt auch die Rose, die ich auf meinem Stuhl gefunden habe.» «Ganz schön selbstverliebt, was?» Die Stimmung war locker und angenehm. Ich fühlte mich wohl, obwohl ich arbeiten musste. Das war mir wichtig. Man sollte Spaß an seiner Arbeit haben und es sollte sich nicht wie ein Müssen anfühlen. Kian trug hierzu definitiv etwas bei und ich hatte wirklich nichts dagegen. «Natürlich. Ich bin perfekt.» Er neigte sich für eine Millisekunde zu mir nach unten und sah mir in die Augen. Kurz erhaschte er einen Blick auf meine Lippen und lief dann an mir vorbei, da es hinter mir zum Buchladen ging. «Hat nicht funktioniert», meinte ich gespielt ernst, als ich ihm folgte und er lachte. «Nicht? Das kratzt ja gleich an meinem Ego.»

«Sollte es auch. Du hättest vielleicht meine Schulter mit deiner streifen sollen, dann hätte ich vielleicht ganz kurz für dich geschwärmt.» Er hob seine Hand an und zeigte mit dem Daumen nach oben. «Merke ich mir, danke.» Kurz joggte ich, um ihn wieder einzuholen. Als er mich neben sich bemerkte, sah er kurz auf mich herab. «Danke für die Flirttipps», zwinkerte er verspielt und ich verdrehte meine Augen. «Das nächste Mal verlange ich einen kleinen Betrag dafür. Nur, dass du es weißt.» Kian sah geradeaus und befeuchtete seine Lippen. «Heutzutage ist nichts mehr umsonst, huh?»

Aufgrund dieser Frage schüttelte ich meinen Kopf und rieb mir meine Augen. «Wir leben im Jahr 2020. Was hast du anderes erwartet?» «Nur, weil wir im Jahr 2020 sind, heißt es noch lange nicht, dass jeder für alles Geld verlangen muss. Oder?» Er wandte sich seitlich an mich und lehnte sich neckisch zu mir herunter, als wir vor der Eingangstür anhielten und versuchten herauszufinden, auf welcher Etage sich der Buchladen befand. Sein Blick ruhte auf meinem Seitenprofil und mir wurde das Ganze etwas unangenehm. «Vielleicht kann ich ein Auge zudrücken», gab ich dann nach und sah im Augenwinkel, wie der Aschblonde zu grinsen begann. «Dankeschön», trällerte er und drückte die braune Holztür auf. Seine Wenigkeit verschwand im langen Flur und ich joggte ihm hinterher.

Während ich zu ihm aufholte, fiel mir auf, wie still es bereits hier draußen im Flur war. Es war doch bloß ein Buchladen, warum war es hier so still wie auf dem Friedhof? Oder um es etwas netter zu formulieren: Warum war es so ruhig wie in einer Bibliothek?

Ich hatte es bereits an Kian vorbeigeschafft, als wir den Buchladen betraten, und ich wartete geduldig auf ihn, als er die Leute um uns herum musterte. Ja, ein typischer Buchladen. Regale gefüllt bis an die Decke und überall mindestens drei Personen davor. Meist mit kritischem Blick, denn schließlich musste man sich gut überlegen, ob man das Buch kaufen wollte oder nicht. Was gab es Schlimmeres als ein Buch, das sich nicht lesen ließ? Vieles, aber das spielte jetzt keine Rolle. Ich versuchte hier bloß gute oder halbwegs gute Argumente zu erwähnen.

Tatsächlich konnte ich hier nur ältere Leute ausfindig machen und automatisch fühlte ich mich wieder wie ein Windelträger. Wie das schwarze Schaf in der weißen Herde. Oder wie der einzige Dalmatiner Welpe ohne Punkte. Man versteht, was ich sagen möchte. Dankeschön.

Es gab wenige Tische, an denen je vier Stühle standen und die meisten waren besetzt. Ich war noch nie wirklich in einem Buchladen gewesen, aber gab es das in allen Läden? Diese Sitzmöglichkeiten Oder hat sich dieser Laden ihren Kunden angepasst? Ältere Leute setzten sich lieber hin, wenn sie etwas Probelesen, oder? Meine Güte, ich hatte doch keine Ahnung.

Bevor ich komplett in meinen eigenen Gedanken versinken konnte, rempelte mich mein Partner an und deutete dann auf einen älteren Herrn, der etwas abseits an einem Tisch saß. Er trommelte nervös mit seinen Fingern auf der Tischoberfläche und blickte aus dem Fenster, das gleich neben an war. «Dann befragen wir ihn mal.» Ich atmete tief durch und wagte den ersten Schritt.

» Ich atmete tief durch und wagte den ersten Schritt

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BETRAYALWhere stories live. Discover now