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«Wisch das auf

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«Wisch das auf.» Er hatte mich erwischt. Ich saß am selben Ort wie Mutter damals, als ich sie fand. Unsere Handgelenke zierten die gleichen Schnitte. Der einzige Unterschied war, dass ich noch lebte.

Vater hatte nach dem Betreten des Bads ohne ein Wort den Verbandskasten geholt und meine Schnitte verarztet. Es war mir ein Rätsel, warum er das getan hatte. Beinahe unheimlich.

«Ich lasse es nicht zu, dass du mich allein lässt», gab er noch von sich, bevor er mir ein nasses Handtuch zum Aufwischen des Blutes neben die Beine warf und die Türe hinter sich zuziehend das Badezimmer verließ.

Momentan hatte er Ferien, weshalb er es an manchen Abenden auf die Reihe bekam, sich nicht unter den Tisch zu saufen. Ich warf einen kurzen Blick auf meine einbandagierten Unterarme. Das Rot des Blutes drang vereinzelt sanft durch den weißen, reinen Stoff.

Dem Befehl meines Vaters nachkommend, griff ich nach dem nassen Handtuch und wischte vollkommen eingenommen von dem Bild vor mir, das Blut von den Badezimmerfliesen.

Es erinnerte mich alles zu sehr an Mutter. Nachdem man sie weggebracht hatte, musste ich dasselbe tun wie jetzt. Doch es schmerzte weniger, mein eigenes Blut aufzuwischen, als das meiner verstorbenen Mutter. Verständlich.

Vater war die letzten Tage ruhiger geworden. Ungewöhnlich ruhig. Nach dem Abend, an dem er mich Blau und Grün geschlagen hatte, habe ich mich verändert. So sehr, dass es selbst der Mann, der mein Vater sein sollte, bemerkt hatte.

Nach seinen Schlägen an jenem Abend hatte ich mich nicht verzogen, ich war bei ihm geblieben und hatte ihm in die Augen gesehen. Weder verweint noch ängstlich, anders als sonst.

Nein. Meine Augen hatten eine vollkommene Leere ausgestrahlt. Eine solche Leere, die ihm gezeigt hatte, dass es vorbei war. Er hatte mich endgültig gebrochen.

Selbstverständlich hatte er keine Anstalten gemacht, mich wieder zusammenzukleben. Stattdessen musste ich dies selbst tun, doch es ging nicht komplett. Einige Teile waren nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort. Ich war nicht mehr Ryou Mercier, welcher weinend in den Armen seiner Mutter gelegen hatte, wenn ihm das Gebrüll seines Vaters zu viel wurde.

Mein Körper wurde zur selben leeren Hülle, wie es auch der Körper meiner Mutter gegen Ende gewesen worden war. Die Fähigkeit, irgendeine Art von Schmerz zu empfinden, hatte sich tief in mir versteckt und machte keine Anstalten, jemals wieder zum Vorschein zu kommen.

Mich selbst zu verletzten, meine Haut mit dem kalten Metall einer Klinge zu durchbrechen, brachte mir rein gar nichts mehr. Mein seelischer Schmerz war wie mein Körperlicher verschwunden, denn ich war nur noch eine Hülle, deren Seele sich von ihr getrennt und aufgelöst hatte.

Ich wollte es heute beenden, ein für alle Mal. Doch Vater hatte es verhindert, aus einem mir unerklärlichen Grund. Er hasste mich doch abgrundtief. Nicht?

BETRAYALWhere stories live. Discover now