Kapitel 6

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Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie schnell ich zu seinem Haus gekommen bin. Jedenfalls stand ich jetzt vor Shawns Haustür und klingelte zum gefühlt hundertsten Mal.

Bitte, er musste aufmachen. Er musste einfach!

Und dann hörte ich von innen das Gemurmel einer Frau, die zierliche Silhouette seiner Mutter näherte sich der Milchglastür. Ich hielt den Atem an, während sie die Tür öffnete und mich überrascht ansah.

"Ashley, schön dich zu sehen! Ich habe einen Kuchen gebacken. Möchtest du ein Stück?", fragte sie mit einem strahlenden Lächeln. Höflich lehnte ich ab.

Sie liebte das Backen, weshalb Shawn andauernd den Kuchen an mich verfüttern musste, da er keinen Bock mehr darauf hatte - ich war sein Müllschlucker.

"Ich wollte zu Shawn", sagte ich und umklammerte den Träger meiner Schultasche noch fester.

"Natürlich, natürlich." Sie nickte, wollte zur Seite treten, doch dann hielt sie inne. "Du hast ihn gerade verpasst. Eben ist er gegangen, tut mir Leid."

Ihre Miene veränderte sich zu einem entschuldigenden Gesichtsausdruck. Mein Lächeln verschwand von meinen Lippen.

"Das muss Ihnen doch gar nicht leidtun. Wissen Sie, wo er hingegangen sein könnte?"

"Ashley, wir kennen uns doch schon lange und du redest mich immer noch mit 'Sie' an. Du darfst mich doch Trish nennen." Lachend schüttelte sie meine Hand, die beinahe blau anschwoll, da ihr Griff so fest war. Verkrampft löste ich mich und rieb über die schmerzende Stelle.

"Er war ziemlich aufgelöst, als er gegangen ist. So kenne ich ihn gar nicht."

Oh oh, das klang überhaupt nicht nach Shawn.

"Ich glaube, dass er ins Zentrum gegangen ist. Du weißt ja, er boxt in letzter Zeit häufiger dort. Vielleicht findest du ihn da, aber ich garantiere dir nichts."

Boxen und Shawn passte mir gar nicht. Ich bedankte mich bei Trish und wandte mich von ihr ab. Im Zentrum also. Ich machte mich auf den Weg und beschloss lieber zu laufen, anstatt den Bus zu nehmen. Der nächste würde sowieso erst in einer halben Stunde kommen.

Das Zentrum nannte man nicht Zentrum, weil es in der Mitte unserer Stadt lag. Nein, das Zentrum war ein riesiges Gebäude, in dem sich die Jugendlichen treffen konnten. Da gab es so ziemlich alles. Cafés, Bowlinganlagen, einen kleinen Kletterpark und weitere Beschäftigungen für Leute in meinem Alter. Eben auch das Abteil für Sport, wo Shawn sich gerne aufhielt, obwohl ich das nicht mochte, wenn er mit anderen boxte.

Des Öfteren kam er mit einem Veilchen zurück, was ich persönlich für nicht allzu schlimm empfand, aber einmal hatte er sich den Arm gebrochen. Ich war total erschrocken, als mich Trish angerufen hat, um mir zu sagen, dass ich sofort ins Krankenhaus kommen soll.

Zwei Jahre.

Shawn und ich waren seit zwei Jahren zusammen und oh mein Gott, ich liebte ihn. Ich liebte ihn so sehr, dass ich es überhaupt nicht in Worte fassen kann. Dabei muss es das Schicksal - oder vielleicht eher Zufall - gewesen sein, als wir zusammengestoßen sind. Ich bin in Eile gewesen, musste meinen Zug kriegen und plötzlich kam um die nächste Ecke eine kleine Gruppe aus Jungs.

An der Spitze lief Shawn und ich knallte direkt in ihm rein. Dadurch sind wir umgefallen, ich bin auf ihm gelandet und wäre am liebsten genau da liegen geblieben. Seine Freunde? Tja, die fanden das lustig, haben uns ausgelacht, während ich vor Scham im Boden versunken wäre. Auch Shawn hat angefangen zu lachen und ich fühlte mich irgendwie gleich viel wohler.

Ich habe ihnen hinterhergestarrt, als sie dann weitergegangen sind. Er hat sich nochmal zu mir umgedreht und gelächelt. In diesem Moment hat mein Herz einen Satz gemacht und zack! - ich war Hals über Kopf in ihn verknallt. Damals bin ich gerade erst vierzehn Jahr alt geworden und als unschuldiges, kleines Mädchen inmitten von Siebzehnjährigen? Peinlichkeit hoch zehn!

PUSSYCAT ✓Where stories live. Discover now