Epilog

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Ein Jahr später...

"Vor meinen Augen sehe ich mich, wie ich gerade zum allerletzten Schuss ansetze und für mein Team gewinne. Du und ich rennen aufeinander zu." Shawn deutete mit Handbewegungen seine Vorstellung an. Ich hob eine Augenbraue an und verschränkte die Arme vor der Brust.

Seitdem ich mich für das Cheerleader-Team eingetragen habe, war er drauf und dran, mich in dem knappen Kleid sehen zu wollen. Demnächst würde ein Fußballturnier anstehen und ich Tollpatsch stolperte schon beim Training der AG bloß unfähig hin und her.

Für die Hebefiguren bin ich nicht geeignet, wie die Leiterin der AG mir liebevoll versucht hat, klar zu machen. Ich verstand schon, dass wegen mir wahrscheinlich alle zusammenbrechen würden.

"Wird das dann ein total romantischer Kuss im Sonnenuntergang?", fragte ich ihn, worauf ich von ihm in seine Arme gezogen wurde.

"Du hast es erfasst", raunte er mir ins Ohr und drehte seinen Arm über meinen Kopf, damit ich ihm in die Augen sehen konnte.

Ich lachte. "Ist das nicht zu kitschig?"

"Hast recht. Ich stehe eher darauf, wenn du in meiner Jogginghose und meinem T-Shirt bei mir auf dem Bett liegst, Chips futterst und einen Horrorfilm schaust, damit ich dich vor den bösen Geistern beschützen kann", sagte er mit gespielt toternster Stimme. Ich rollte lachend mit den Augen.

"Dass du darauf stehst, wusste ich gar nicht", entgegnete ich belustigt. Shawn zwickte mir sanft in die Hüfte, worauf ich kichernd zusammenzuckte und von ihm zurück wich. Lachend ließ ich seine Küsse über mich ergehen und schlang die Arme um seinen Hals.

Konnte man nach der ganzen Sache ein kitschiges Ende nennen, wie Shawn und ich das eigentlich nie gewollt haben. Aber die Zeiten haben sich geändert. So wie auch ich wahrscheinlich ganz spontan doch wieder aus der Cheerleader-AG treten werde, weil mir das zu dämlich ist - oder ich zu dämlich dafür bin.

"Sollten wir nach Hause gehen? Du brauchst schließlich wieder das perfekte Outfit für Linus' Party heute Abend", nuschelte Shawn und löste sich von mir. Lächelnd griff ich nach seiner Hand und gemeinsam traten wir aus dem Schulgebäude.

"Ich brauche kein perfektes Outfit, da ich abgesagt habe." Beleidigt verzog er das Gesicht.

"Musste das sein?", wollte er wissen und brummte, während ich leise vor mich hin grinste. Ich hatte vor, vergangene Dinge in der Zukunft zu vermeiden. Deshalb habe ich Linus gesagt, dass wir nicht kommen würden. Allerdings gab es einen weiteren Grund.

"Willst du nicht lieber Zeit mit mir verbringen?", fragte ich und zwinkerte ihm vielsagend zu, worauf er anfing zu grinsen. Die Rollen waren wohl getauscht. Ansonsten verführte er mich und jetzt war anscheinend ich damit an der Reihe.

"Mit dir allein, Prinzessin?" Shawn stellte sich vor mich, strich mit seinen Fingern über meine Arme. Dort bildete sich kribbelnde Gänsehaut, die mich erschaudern ließ.

"Nein, mit uns!" Überrascht drehten wir uns beide um. Da stand Samuel breit grinsend und lehnte sich gegen seinen Wagen.

Die Jungs begrüßten sich mit ihrem typischen Handschlag, während ich Samuel nur kurz umarmte. Noch ein ganzes Jahr später tobten schmerzende Schuldgefühle in meinem Magen, dass ich ihn zu Unrecht beschuldigt habe.

Shawn und er haben sich nach der ganzen Sache angefreundet, denn Samuel hat ihm klar gemacht, dass er nicht auf mich stand. Schließlich wollte er das für Noah machen.

Als er gesagt hat, dass er eher auf Jungs stand, habe ich mit gespielter Panik Shawn ermahnt, dass er ja nichts mit ihm anfangen sollte. Zunächst ist er erschrocken gewesen, da er das von Samuel nicht erwartet hat, aber dann hat er sich damit abgefunden.

Jedenfalls verstanden sie sich inzwischen ziemlich gut und hingen gerne mal zusammen ab. Auch ich habe mich mit ihm angefreundet, nachdem ich mich gefühlte tausend Mal bei ihm entschuldigt habe. Das hat er locker aufgenommen und hat ebenso gesagt, dass es ihm leidtat.

"Wir werden heute unsere eigene Party feiern", verkündete Samuel gut gelaunt und sah mich lächelnd an. Ich verkniff mir ein lautstarkes Loslachen und biss mir auf die Unterlippe.

"Wer sind wir?", wollte Shawn verwirrt wissen. Da stieg die Antwort bereits aus dem Auto aus.

Oliver winkte uns grinsend zu, Hanna strahlte von einem Ohr zum anderen und mein Bruderherz schlang den Arm um ihre Hüfte. Sie kamen langsam in unsere Richtung.

Jasper lächelte mich an.

Wie erleichtert ich gewesen bin, dass ihm nichts Schlimmeres zugestoßen ist, konnte ich nicht in Worte fassen. Ich bin im Krankenhaus schier zusammengebrochen. Als jedoch herauskam, dass er sich 'nur' mehrere Prellungen und Knochenbrüche zugezogen und doch nicht zu viel Blut verloren hat, konnte ich aufatmen.

Die Angst ist riesig gewesen und ins Unermessliche gestiegen. Denn ich habe tierische Panik vor der Diagnose des Arztes gehabt und ich wusste nicht, wie ich meinen Eltern erklären sollte, dass ihr Sohn im Krankenhaus lag - und vielleicht an inneren Blutungen sterben würde.

Meine Eltern. Ihnen habe ich unter Tränen gebeichtet, was geschehen ist. Ich habe mich danach befreit gefühlt. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl gewesen, als sie mich in ihre Arme geschlossen und mir versichert haben, dass alles wieder in Ordnung sei.

Ethan saß hinter Gittern - für ein paar Jahre zumindest. Alle Zeugenaussagen haben gegen ihn gesprochen, selbst die Verteidigungen seines Anwalts waren allesamt unlogisch. Egal, wie oft er seine Sätze drehte und wendete, haben sie keinen Sinn ergeben.

Augenblicklich drifteten meine Gedanken zu Chris ab und legte den Kopf in den Nacken. Jetzt war er bei Noah, seinem besten Freund, und ich schätzte, dass er dort gut aufgehoben ist. Für ihn kam jegliche Hilfe des Notarztes zu spät.

Ich dankte ihm noch heute, dass er uns mit dem Auto hinterhergefahren ist. Ansonsten wäre Shawn heute nicht mehr an meiner Seite, da Ethan ihn achtlos überfahren hätte. Wie er es mit Jasper getan hat.

Chris hat sich für mich geopfert und zwar aus Noahs eigenem Wille. Ich bin mir sicher, dass er zu mir gesagt hätte, Noah würde sich wünschen, dass ich glücklich bin. Mehr als glücklich, nur vermisste ich Chris. Auch ihm war ich eine heftige Entschuldigung fällig, selbst wenn ich ihm wöchentlich einen Besuch bei seinem Grab abstattete.

Ich sagte zu ihm, wie Leid es mir tat und dass ich dankbar bin. Mehr als Dankbarkeit zu zeigen, konnte ich jetzt leider nicht mehr für ihn tun.

"Worauf wartest du, Ash?", fragte mich Samuel und legte den Kopf schief. Ich spürte eine vereinzelte Träne an meiner Wange brennen.

"Alles in Ordnung?" Auch Shawn sah mich besorgt an und strich sie sanft weg. Ich fing an zu lächeln.

"Worauf warten wir?", rief ich jubelnd aus und erntete belustigtes Lachen der anderen.

Ich fühlte mich bei ihnen gut. Sogar besser, als nur Marie an meiner Seite zu haben. Die konnte mir gestohlen bleiben und all die anderen Schüler auch.

Ich hatte meine Freunde, die zu mir hielten. Und darauf war ich stolz.

Vor allem auf meinen kleinen Bruder, der in Hanna offensichtlich die Liebe seines Lebens gefunden hat. Sie waren ein wirklich süßes Paar. Immer wenn ich das zu ihnen sagte, schaute sie verlegen zur Seite und er streckte mir die Zunge raus.

Ich spürte einen festen Händedruck und hob den Kopf an. Shawn lächelte und beugte sich zu mir hinunter.

Ja, bei ihm fühlte ich mich mehr als nur gut.

- ENDE -

PUSSYCAT ✓Where stories live. Discover now