Kapitel 10

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Das Hinterherrennen konnte ich mir sparen, da ich mit Shawn gerade sowieso alles verbockt habe - und ich wollte nicht wahrhaben, dass ich ihn eigentlich gar nicht sehen und mit ihm sprechen wollte. Demnach saß ich alleine auf dem Barhocker der Inseltheke und hielt ein Glas mit Cola in der Hand - der Alkohol von vorhin brannte mir noch in meinem Hals.

Ich starrte auf die Eiswürfel, die bei jedem Zusammenstoß ein leises, aber trotzdem hörbares Klingen von sich gaben und allmählich auflösten. Seufzend rutschte ich von dem Barhocker und bewegte mich in die Richtung der mutigsten Tänzer durchhielten und ihre Hüften zum Rhythmus schwangen. Alleine wollte ich nicht tanzen, schon gar nicht zu diesem langsamen Lied!

"Alleine hier?", raunte mir eine tiefe Stimme ins Ohr und ich meinte die Lippen an meinem Ohrläppchen schon gespürt zu haben. Ich wagte es kaum zu atmen und drehte dann den Kopf zur Seite. Ein Junge mit dunklen Haaren und einer Katzenmaske auf der Nase sah mich schief an. Durch die Löcher funkelte seine bläuliche Iris und schien den gesamten Raum zu erleuchten.

Das war eindeutig der Kerl, von dem ich mich beobachtet gefühlt habe, als ich bei Ethan gewesen bin.

"Eigentlich nicht", antwortete ich und blickte wieder zu der einheitlich tanzenden Masse. Die verliebten Pärchen wirkten alle so unglaublich glücklich, was mein Herz zusammen zog. Mich piekte Etwas in die Wange.

"Oh, das ist mein... Schnurrhaar", entschuldigte sich der Junge leise lachend und entfernte sich einen Schritt von mir.

"Darf ich nach deinem Namen fragen?" Nun wandte ich mich vollständig an ihn, darauf bedacht einen gewissen Sicherheitsabstand zu lassen, der unsere Körper voneinander trennte.

"Was interessiert dich mein Name?"

"Dann kann ich dir auch meinen sagen", forderte ich ihn heraus und lächelte schwach, denn dieses Unscheinbare und Widersprüchliche machte ihn so interessant.

"Das ist nicht nötig, Ashley."

Meine Mundwinkel zogen sich wie von selbst hinunter und mein Gesicht füllte sich mit einer plötzlichen Hitze. Ging er vielleicht in meine Klasse und ich stand gerade auf dem Schlauch?

"Also, Ashley, hast du ein Tänzchen für mich übrig?", wollte er wissen und hielt mir mit einem verführerischen Lächeln seinen Arm hin. Ich sah ihm nochmal in die Augen und hakte mich anschließend bei ihm ein - total verunsichert. So zog er mich zu den Anderen und legte dann eine Hand an meine Hüfte, die andere griff nach meiner. Diese wich ihm reflexartig aus, aber ließ es dann ohne weitere Umschweife zu.

Meinen anderen Arm schlang ich um seine Schultern und spürte, wie er mich ganz langsam noch näher an seinen Körper drückte. Von seiner Seite aus kam nur ein schwacher Geruch von Alkohol. Er war also noch fast nüchtern.

"Pass' auf, Miezekätzchen. Gleich fängst du noch an zu schnurren", sagte ich grinsend, weil ich mir diesen Kommentar nicht verkneifen konnte, was er mit einem Lächeln erwiderte. Ich konzentrierte mich ausschließlich auf seine blauen Augen, die von winzigen Sprenkeln geziert waren.

Auf eine schöne Art und Weise erinnerten sie mich an das Meer. Nicht an das tosende, sondern an das Meer, das mir zuerst in den Sinn kommt, wenn ich die Wörter 'Hawaii' oder 'Karibik' höre. Dieses klare, fast unnatürliche Meeresblau.

Und ich musste wohl oder übel das braune Schiff darstellen, das über die Wellen segelte und vergeblich versuchte, nicht in ihnen zu versinken. Selbst mit größter Mühe schaffte ich das nicht und verlor mich in ihnen, starrte ihn wie in Trance an. Hastig blinzelte ich.

"Wenn du mir deinen Namen nicht verrätst, darf ich dich dann wenigstens etwas Anderes fragen?", schlug ich vor, worauf sich sein Mund öffnete und augenblicklich wieder schloss. Dann zog er seinen rechten Mundwinkel um ein paar Millimeter hoch.

"Wenn dich das glücklich macht."

"Woher kennst du mich?", platzte ich sofort heraus und musterte seinen unveränderten Gesichtsausdruck. Das war dieser jungstypische Pass-Auf-Ich-Leg-Dich-Auch-Noch-Flach-Blick.

"Man kennt sich, Ashley. Das Internet ist... riesig", war seine monotone Antwort.

"Mehr sagst du dazu nicht?", hakte ich hoffnungsvoll nach, doch stumm sah er mich an. Für einen kleinen Moment schloss ich meine Augen und öffnete sie nach einem kurzen Gedankengang wieder. Sein kantiges Gesicht neigte sich in meine Richtung, die Schnurrhaare seiner Maske kitzelten an meiner Wange.

"Ashley", flüsterte er in mein Ohr, den heißen Atem spürte ich auf meiner Haut. "Hör' auf nachzudenken und entspann' dich endlich."

Ich holte tief Luft, als die Nase seiner Maske meine Wangenknochen streifte.

"Mache ich dich nervös?", wisperte er und berührte nun mit der Nasenspitze meine.

"N-nein...", keuchte ich schweratmend und krallte mich mit beiden Händen an seiner Brust fest, um bloß nicht umzufallen. Mein Herz raste im Tempo hundertachtzig - nicht vor Glücksgefühlen, sondern vor purer Aufregung. Ich kannte ihn nicht. Ich wusste nicht, wozu er fähig war.

"Ich sehe es dir an", hauchte er gegen meine Lippen, berührte sie aber noch nicht, stattdessen wanderte er mit seinem Mund zu meinem Kinn. Ich rang nach Luft, zog die Augenbrauen fester zusammen und seufzte leise, als ich merkte, wie er mit seinen Lippen meinen Hals streifte. Meine Knie gaben nach und ich musste mich noch fester an ihm halten.

"Ashley, du bist nervös."

Ja, ich war nervös! Furchtbar nervös.

Ich lehnte mich in seine Richtung und er hob dann seinen Kopf an. Seine linke Hand löste sich von meiner Hüfte, die Fingerspitzen berührten zaghaft meinen Nacken und bewegten sich mit schwachen Berührungen in die Richtung meiner Wange. Mit einem Mal war sein Gesicht meinem erneut so nah.

Lüstern fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen, neigte seinen Kopf zu mir und verharrte nochmal.

"Du bist nicht Alice und das hier ist nicht das Wunderland. Merk' dir das! Du hast es nicht anders verdient, Ashley."

Ich konnte seine Worte so schnell gar nicht verarbeiten, denn plötzlich wurde ich zurückgestoßen. Schmerzhaft landete ich auf dem Boden, knallte mit dem Kopf gegen den Türrahmen hinter mir und sackte augenblicklich zusammen. Verschwommen nahm ich wahr, wie der fremde Junge sich von mir entfernte und in der tanzenden Masse unterging. Ich hielt mir mit einer Hand den Kopf, mit der anderen stützte ich mich auf den Dielen ab und versuchte nicht zusammenzuklappen.

Die Schmerzen pochten ohrenbetäubend gegen meinen Hinterkopf, als würde jemand mit einem Hammer dagegen schlagen. Ich zog mit all meinen Kräften die Beine an und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. In diesem Moment fühlte es sich so an, als würde das Schicksal an mir herumexperimentieren, wie viele Tiefschläge ich vertragen kann ohne zusammenzubrechen.

PUSSYCAT ✓Where stories live. Discover now