eins

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Auf der Suche - Nura
„Die Nacht ist grau, die Tasche schwer
Verlass das Haus, die Straßen leer
Die Luft bleibt weg, blick nicht zurück
Weiß nicht wohin, doch ich bereue nichts"


Gegenwart

Mein Blick fiel zum wiederholten Male auf die Uhr am Fernseher.

Bald 21 Uhr. Normalerweise hatte Leon bereits vor zwei Stunden Feierabend. Ich zog mein Handy aus meiner Hose, doch noch immer hatte ich keine Nachricht von ihm bekommen. Die zahlreichen Nachrichten, die ich ihm geschrieben hatte, wurden zwar gelesen, doch anscheinend hielt er es nicht für nötig mir zu antworten. Immerhin lag er nicht tot in irgendeinem Straßengraben. Vermutlich musste er länger arbeiten. Mal wieder. Irgendwann hatte ich aufgehört zu fragen, warum er regelmäßig spät nach Hause kam.

Ich hatte schon öfter die Vermutung, dass er mich betrog, doch konnte es nicht beweisen. Ich hatte versucht, das Thema anzusprechen, doch Leon hatte jedes Mal nur gelacht und gesagt, ich würde mir das einbilden. Er musste nun mal viel arbeiten. Sein Job war schließlich wichtig.

Ich stand vom Sofa auf, schaltete den Fernseher aus und warf das mittlerweile kalt gewordene Essen in den Mülleimer. Eigentlich war es eine Schande, doch mir war der Appetit vergangen. Und Leon würde vermutlich schon im Büro etwas gegessen haben, wenn er später, mitten in der Nacht, nach Hause käme.

Meine Gedanken wanderten zurück zu unserem Streit vor ein paar Tagen.

„Dich hat niemand gezwungen, hierherzuziehen."

Dieser Satz spielte sich seitdem in Dauerschleife in meinem Kopf ab. Er hatte verdammt nochmal recht. Mich hat niemand gezwungen, hier herzuziehen. Es war meine eigene Entscheidung gewesen. Trotzdem tat es weh, denn anscheinend wusste er nicht, was ich alles aufgegeben hatte. Für ihn. Um bei ihm zu sein. Es war meine eigene Entscheidung gewesen und doch hatte ich sie für uns gefällt. Und genauso war es meine eigene Entscheidung, zu gehen.

Ich hatte bereits öfter mit dem Gedanken gespielt, doch nie den Mut gefunden, alles hinzuschmeißen. Doch ich war mir bewusst, dass ich gehen musste. Es lohnte sich nicht, für etwas zu kämpfen, was schon lange nicht mehr da war.

Ehe ich es mir anders überlegte, lief ich ins Schlafzimmer und zog die beiden großen Reisetaschen unter dem Bett hervor. Wahllos warf ich Kleidung, Make-up und andere Gegenstände, die mir wichtig erschienen, hinein. Den Rest würde ich irgendwann holen. Irgendwann, doch jetzt musste ich so schnell wie möglich hier weg. Es war eine totale Kurzschlussreaktion, unüberlegt und dumm und doch konnte und wollte ich nicht eine weite Nacht an diesem Ort verbringen. An diesem Ort, an dem es schon lange keinen Platz, keine Liebe mehr für mich gab.

Ich nahm einen Zettel und einen Stift und kritzelte meine Gedanken und Gefühle nieder. Ich wollte, dass er wusste, was ich fühlte. Wie es in mir aussah.

Mein Blick fiel auf meine Monstera. Meine geliebte Pflanze, die ich leider erst einmal zurücklassen musste.

„Ich werde dich holen kommen", dachte ich und strich sanft mit meinem Finger über die dunkelgrünen Blätter.

Ein letztes Mal wanderte mein Blick durch die Wohnung, in der mich hätte zu Hause fühlen sollen. Nahm jedes kleine Detail auf. Das große graue Sofa, auf dem ich so einige Abende alleine verbracht hatte. Erinnerung stiegen in mir auf. Erinnerungen an einsame Abende vor dem Fernseher, in denen ich mir die Augen aus dem Kopf weinte, weil ich mich so alleine fühlte. Es gab auch glückliche Erinnerungen. Ein paar wenige. Doch ich schob sie bei Seite. Es war Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen.

Zuhause. Ein freudloses Lachen kam mir über die Lippen. Dieser Ort war kein Zuhause. War er niemals gewesen und würde er auch nie sein. Der Einzige, der so etwas wie mein Zufluchtsort war, jemand der mir Sicherheit gab, war Leon, doch auch das, wurde mir jetzt bewusst, war schon lange nicht mehr der Fall. Ich würde mich nur selber quälen, blieb ich auch nur einen Tag länger bei ihm. Ich musste gehen. Um mich selbst nicht zu verlieren.

Mit einem Ächzen schulterte ich die schweren Taschen und trat aus der Eingangstür. Die kalte, schwarze Nacht verschluckte mich auf dem Weg zu meinem Auto. Ohne nur einen Blick zurück zuwerfen, fuhr ich los, in Richtung Zuhause.

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LET LOVE GROWWhere stories live. Discover now