dreiundzwanzig

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Lin

Zwei Tage später, an einem Samstag, saßen Julian und ich in seinem Auto und fuhren zu meiner alten Wohnung. Henrik folgte uns in seinem eigenen Wagen. Er hatte sich bereitwillig angeboten, mir beim Ausräumen zu helfen. Lange hatte ich mich davor gedrückt, meine Sachen abzuholen. Zu lang. Es gab mir ein gutes Gefühl, da nicht alleine durchzumüssen und die Tatsache, dass auch Julian sofort zugestimmt hatte uns zu begleiten, lies mich das Ganze noch entspannter angehen.

Die meiste Zeit der zweistündigen Fahrt schwieg ich. Julian, der immer wieder versuchte ein Gespräch mit mir zu beginnen, hatte es schließlich aufgegeben. Immer wieder schwirrte mir das Gespräch von vor zwei Nächten durch den Kopf. Die Tatsache, dass Julian so bedingungslos ehrlich zu mir war, hatte mich auf eine Art und Weise berührt, die ich nicht für möglich gehalten hätte.

Die Nervosität hatte sich fest in meinem Inneren eingenistet. Zu groß war die Ungewissheit, was mich in meiner alten Wohnung erwarten würde. Ob wohl noch alles genauso aussah? Ich musste mir dringen abgewöhnen, diesen Ort meine Wohnung zu nennen, denn das war sie nicht mehr. Es war ein Ort aus meiner Vergangenheit. Mehr nicht.

Wenig später bekam ich die Antwort auf meine Frage. Mit zittrigen Fingern schloss ich die weiße Wohnungstür auf und trat vorsichtig in den Flur. Ein mir allzu vertrauter Geruch schlug mir entgegen und ein seltsames Gefühl machte sich in meiner Brust breit. Sehnsucht. Sehnsucht nach einer Zeit, in der alles augenscheinlich leichter war. Doch genauso schnell, wie mich die Nostalgie überfallen hatte, holte mich die Gegenwart wieder ein.

An den Wänden hingen Fotos, die vor meinen Auszug noch nicht da gewesen waren. Fotos von Leon und einem andern Mädchen, eng umschlugen und glücklich lachend. Der Anblick versetzte mir einen schmerzhaften Stich, denn er führte mir vor Augen, wie leicht Leon mich ersetzt hatte.

Ich riss meinen Blick von den Bildern los und lief auf direktem Weg in unser ehemaliges Schlafzimmer. Auch hier drohten die Erinnerungen mich für einen Moment zu überwältigen. Ich schob all die aufkeimenden Gefühle beiseite und machte mich daran, meine Sachen in die Kartons zu packen, die wir mitgebracht hatten. Ich wollte so schnell wie möglich weg von hier.

Nach nicht mal einer Stunde hatten wir alles verstaut. Henrik hatte bereits damit begonnen, die ersten Kartons ins Auto zu laden.

„Gehts dir gut?", raunte Julian mir zu, als Henrik gerade mit dem nächsten Karton auf dem Weg nach draußen war. Schnell lächelte ich ihn an. Ich hatte kein Recht dazu, das zu fühlen, was ich fühlte. Ich war es, die gegangen war. Zudem kamen mir meine Sorgen klein und albern vor, nachdem ich erfahren hatte, was Julian erlebt hatte.

Als schließlich auch der letzte Karton im Auto verstaut war, verabschiedete sich Henrik von uns und machte sich auf den Rückweg. „Fahr vorsichtig und vielen Dank, dass du mitgekommen bist, obwohl du gleich noch arbeiten musst", schnell umarmte ich ihn.

„Hast du alles?"

„Fast", ich nickte und sah mich suchend um. „Es fehlt nur noch ..." Meine Monstera! Sie war weg! Leon hatte doch nicht etwa...?

Ein Geräusch an der Eingangstür ließ uns herumfahren. Langsam öffnete sie sich und Leon trat in die Wohnung. Er trug, wie immer, sein Bürooutfit und schien ganz in Gedanken versunken zu sein. Zumindest würde es seinen erschrockenen Blick erklären, mit dem er erst mich und anschließend Julian bedachte.

„Oh, hi", sagte er. War das sein Ernst? Ein einfaches „Hi"?

„Hallo", erwiderte ich und versuchte, mir meinen Unmut nicht anmerken zu lassen. Ich hatte gehofft, das alles hinter mich zu bringen, ohne Leon zu begegne.

LET LOVE GROWWhere stories live. Discover now