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Ich sammelte meine Badeutensilien aus meiner Tasche zusammen und ging ins Badezimmer. Was ich jetzt brauchte, war eine heiße Dusche. Danach sah die Welt vermutlich schon wieder ein Stück besser aus. Das Bad war winzig, aber nach einem ersten Blick immerhin sauber. Zum Glück.

Ich warf einen kurzen Blick in den Spiegel. Meine blonden Haare hingen in Strähnen an mir herab. Mittlerweile reichten sie mir beinahe bis zu den Brüsten. Meine Augen, die normalerweise ein strahlendes Braun hatten, wirkten stumpf und viel zu groß. Ich wand den Blick ab und zog meine Unterwäsche aus. Ich fror und sehnte mich nach der Wärme des Wassers.

Der Strahl, wenn man das überhaupt so nennen durfte, war mehr als kläglich. Aus diesem Grund brauchte ich eine Ewigkeit, meine langen Haare zu waschen.

„Was ein beschissenes Hotel!" In meinem Inneren brodelte es. Von Sekunde zu Sekunde wurde ich wütender. Am liebsten hätte ich laut geschrien. Doch ich hatte Angst, dass mich der mürrische Hotelbesitzer dann auf die Straße setzten würde. „Fuck. Fuck. Fuck.", fluchte ich stattdessen leiser vor mich hin. So viel wie am heutigen Tag hatte ich schon lange nicht mehr geflucht. Ich wandte mich wieder dem erbärmlichen Wasserstrahl zu. „Versuch, das Gute zu sehen.", redete ich mir selber ein. Eine positive Einstellung macht alles erträglicher. „Du bist jetzt hier, hast ein Dach über dem Kopf und morgen, nachdem du eine Nacht lang darüber geschlafen hast, sieht alles schon wieder anders aus." Super, jetzt redete ich schon mit mir selber.

Die Wärme des Wassers tat gut und löste langsam die harten Verspannungen in meinem Nacken und Schulter. Ich blieb eine Ewigkeit unter der Dusche stehen und genoss die Wärme. Erst als das Wasser nicht mehr lauwarm, sondern schon kalt wurde, verließ ich die Dusche und wickelte mich in mein großes Frotteehandtuch.

Zum Glück hatte ich mein eigenes dabei, sodass ich nicht die Handtücher des Hotels benutzten musste, die eher einem Lappen ähnelten. Ich trocknete mich ab und zog mir eine Leggins und meinen liebsten Hoodie an.

Mein Blick fiel erneut auf den Spiegel. Mit meinem Unterarm wischte über die beschlagene Oberfläche und betrachtete mich erneut. Früher hatte ich kürzere, braune Haare gehabt, doch Leon stand mehr auf lang und blond. Also hatte ich sie mir gefärbt und wachsen lassen. Ich öffnete den Verschluss, der feinen silberne Kette, die um meinen Hals hing und nahm sie ab. Ein Geschenk von Leon. Genau wie die silbernen Ohrringe, die meine Ohrläppchen zierten. Ich nahm sie ebenfalls heraus und legte sie neben die Kette.

Auch sie waren nicht mein Geschmack, doch Leon hatten sie gefallen. Er wusste immer, was er wollte und hatte eine genaue Vorstellung davon gehabt, was ihm gefällt und was nicht.

Früher hatte ich an jedem Ohr vier Ohrstecker sowie rechts und links jeweils ein Piercing. Ich fuhr mit dem Finger an meinen Ohren entlang und ertastete die kleinen Löcher. Sie waren noch da. Nach all der Zeit waren sie noch nicht zugewachsen.

Ich betrachtete mich ein wenig genauer. Die Person, die mir entgegenschaute, kam mir fremd vor, doch irgendwo dahinter versteckte sich mein wahres Ich. Mein wahres Ich, welches ich für einen Mann aufgegeben hatte.

Ich band meine Haare zu einem unordentlichen Knoten zusammen und verließ das Badezimmer, ohne noch einen weiteren Blick in den Spiegel zu werfen. Kurz überlegte ich, mein Handy zu checken, lies es dann aber doch in meiner Tasche liegen. Ich legte mich ins Bett und kuschelte mich in die Decke. Bevor ich auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, war ich auch schon eingeschlafen.

Nachdem ich mich die halbe Nacht von einer auf die andere Seite gewälzt hatte, weil die Wände anscheinend aus Papier zu seinen schien und meine Zimmernachbarn deutlich zu viel Spaß gehabt hatten, wurde ich von dem Sonnenlicht geweckt, das durch die dünnen Vorhänge direkt in mein Gesicht schien. Genervt wälzte ich mich herum. Eigentlich sollte ich aufstehen und damit anfangen, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen, doch dazu war ich noch zu müde. Eine Weile döste ich noch vor mich hin, bis ich es nicht länger aus hielt. Die Matratze war hart wie Stein und mein Rücken tat höllisch weh. Ich konnte definitiv keine weitere Nacht hier verbringen. Frustriert reckte ich mich und verließ mit einem lauten Stöhnen das Bett.

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LET LOVE GROWWhere stories live. Discover now