vierunddreißig

113 7 7
                                    




Ein halbes Jahr später

„Tschüss und schönes Wochenende", rief ich Moni und Mia zu, während ich die Tür des Cafés hinter mir schloss. Mittlerweile arbeitete ich seit 5 Monaten in dem kleinen Café/Pflanzenladen und ich musste mir eingestehen, dass es mir jeden Tag besser und besser gefiel. Während Mia, für den Cafe-Betrieb zuständig war, kümmerte ich mich um die Pflanzen und beriet die Kunden.

Wir drei waren schnell zu einem guten Team zusammengewachsen und mittlerweile würde ich sowohl Mia als auch Moni als meine Freunde bezeichnen.

Mit guter Laune stellte ich mein Auto in der Einfahrt unseres Hauses ab. Ich stieg aus und hielt mein Gesicht einen kurzen Moment in die Sonne. Zwar war es schon Juli, doch für die Jahreszeit war das Wetter immer noch recht durchwachsen. Immerhin sollte das Wochenende schön warm werden.

Schnell kontrollierte ich mein Handy. Bei Lisa, der Frau von Henrik, könnte es jede Sekunde so weit sein und ich wollte unter keinen Umständen verpassen, wie mein großer Bruder Vater wurde. Bei dem Gedanken daran, meine kleine Nichte bald in den Armen zu halten, wurde ich ganz aufgeregt.

Ich konnte nie wirklich was mit Babys anfangen, aber allein bei dem Gedanken daran, dass mein Bruder Vater wurde, fühlte ich nichts als Glück. Ein wenig ernüchtert steckte ich mein Handy weg und lief mit gesenktem Kopf auf unsere Haustür zu.

„Hallo Lin", eine tiefe Stimme ließ mich aufsehen. Auf den Stufen vor unserer Haustür saß Luca, einen Arm auf seinen Stock gestützt und sein verletztes Bein lang ausgestreckt. Kurz erstarrte ich. Ich hatte mit den Freunden von Julian, den Freunden meines Bruders, keinen Kontakt mehr gehabt, seit dem Julian mich so abserviert hatte. Zwar hatten sowohl sie als auch Julian mich mehrmals versucht zu erreichen. Ich hatte alle Versuche abgeblockt und Julian schließlich mit einer Nachricht mehr als deutlich gemacht, dass ich nie wieder etwas von ihm hören wollte.

„Gut siehst du aus", Luca musterte mich von oben bis unten. Er hatte recht. Ich sah gut aus. Meine Haare, die nach wie vor braun waren, gingen mir mittlerweile bis knapp unter die Schulter. Noch dazu ging ich regelmäßig ins Fitnessstudio und war so fit, wie noch nie in meinem Leben. Und doch war es nichts, was ich aus seinem Mund hören wollte.

Man könnte sagen, ich hatte, nachdem zum zweiten Mal mein Herz gebrochen wurde, mein Leben ziemlich gut in den Griff bekommen. Umso mehr störte es mich, dass die Vergangenheit plötzlich wieder vor meiner Tür saß und nach meiner Aufmerksamkeit lechzte. Das Einzige, was ich vor einem halben Jahr gewollt hatte, war schnell mit der Sache abzuschließen. Mit Julian abzuschließen. Und nach anfänglichen Schwierigkeiten hatte das auch sehr gut geklappt. Doch ein ungutes Gefühl in meinem Bauch verriet mir, dass Luca das vielleicht gleich wieder ändern konnte.

„Ist Henrik nicht da?", fragte ich Luca, ohne auf sein Kompliment einzugehen. Ich wollte, dass er mit der Sprache rausrückte und nicht ewig um den heißen Brei herumredete.„Ich wollte nicht zu Henrik, ... sondern zu dir."

Ich gab ein genervtes Schnauben von mir. „Wenn es um Julian geht, habe ich kein Interesse an irgendwas." Mit Nachdruck schob ich mich an Luca vorbei und lief zur Tür. Meine Eltern hatten mich gewiss nicht zu einer unhöflichen Person erzogen, doch es lief gerade alles einfach zu gut. Wenn ich Julian wieder in mein Leben ließ, würde alles erneut in die Brüche gehen. Luca erhob sich. „Kannst du dir wenigstens anhören, was ich zu sagen habe?", Sorge lag in seinem Gesicht.

Resigniert seufzte ich noch einmal, schloss die Tür auf und gab Luca zu verstehen, dass er eintreten sollte. Im gleichen Atemzug zückte ich mein Handy und tippte eine schnelle Nachricht an Henrik.

Lin 14:00: Wenn das mit Luca auf deinem Mist gewachsen ist, kannst du dich auf was gefasst machen, sobald du nach Hause kommst.

Ich steckte mein Handy wieder weg und lief Luca voraus ins Wohnzimmer.

Ich ließ mich auf die Couch fallen und musterte Luca einen Moment. Es gefiel mir gar nicht, von ihm so überfallen zu werden, doch wenn ich ehrlich war, hätte ich seinen Anruf vermutlich einfach ignoriert. „Dann schieß mal los", sagte ich, als Luca sich schließlich mit einem Ächzen mir gegenüber auf einen Sessel gesetzt hatte.

„Julian geht es nicht gut", fing er an. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich will nicht kalt klingen, aber das ist nicht mehr mein Problem."

Luca schaute mich einen Moment abschätzig an. „Ich weiß nicht genau, was zwischen euch vorgefallen ist, denn Jules redet darüber nicht, und ich glaube, dass du alles Recht der Welt hast, wütend auf ihn zu sein, aber ..."

„Wütend? Ich bin nicht wütend auf Julian. Ich habe mit ihm, mit diesem Teil meines Lebens abgeschlossen", unterbrach ich ihn harsch. Vermutlich hatte ich mich ein wenig im Ton vergriffen, den Lucas Augen weiteten sich vor Schreck.

„Hör zu. Ich finde es wirklich nobel und toll von dir, dass du dich um deinen Freund sorgst und ihm helfen willst, aber ich weiß nicht, was ich an der Tatsache, dass es Julian nicht gut geht, ändern soll. Ich meine, er hat mir damals mehr als deutlich zu verstehen geben, wie wichtig ich ihm bin."

„Ich will ja auch gar nicht, dass du ihm verzeihst. Nur bitte rede mit ihm. Es ist wirklich schlimm. Es ist ... es ist fast wie damals, nach dem Überfall", Lucas Stimme wurde leiser und auf seinem Gesicht zeichnete sich pure Verzweiflung und Hilflosigkeit ab. Er hatte anscheinend wirklich Angst um seinen besten Freund.

„Mit uns redet er nicht. Er hat total dicht gemacht und geht kaum noch aus dem Haus, Lin." „Und du meinst, er würde mit mir reden?" Als Antwort nickte Luca nur.

Wir wurden von dem Geräusch der sich öffnenden Haustür unterbrochen. Mit einem abgehetzten Blick kam Henrik ins Wohnzimmer gestürmt. Er musterte erst mich und taxierte Luca dann mit einem bösen Gesichtsausdruck. Offenbar hatte er meine Nachricht erhalten.

„Ich hatte dich gebeten, Lin aus der Sache rauszuhalten", grummelte mein Bruder. Er hatte seine Stirn in tiefe Falten gelegt und musterte mich besorgt.

Genervt verdrehte ich die Augen. „Schau mich nicht so an, als würde ich jeden Moment zerbrechen, nur weil Luca Julians Namen erwähnt hat. Und was dich angeht", ich wandte mich an Luca, „ich wüsste nicht, warum ich mit Julian reden sollte. Er hat genug Freunde, die sich um ihn sorgen." Damit war die Sache für mich erledigt. Ich konnte darauf verzichten, alte Wunden aufzureißen.

Ich stand auf und wollte das Wohnzimmer in Richtung Terrasse verlassen, da hielt Luca mich an meinem Handgelenk fest. „Bitte, Lin. Ich ...  wir haben echt Angst um ihn. Sprich mit ihm, nur ein einziges Mal. Und wenn du es nicht für ihn tun willst, dann tu es für uns."

Er sah mich eindringlich an. Langsam keimten Zweifel in meinem Inneren. Offenbar musste es ihm wirklich schlecht gehen. Ich suchte den Blick meines Bruders, der nur mit den Schultern zuckte. Schließlich sagte er :„Du musst das nicht tun. Du bist weder ihm noch einem von uns was schuldig. Lass dich nicht von Luca bequatschen", er warf seinem Freund einen bösen Blick zu.

„Ich weiß, du willst mich nur beschützen, aber ich kann meine Kämpfe allein austragen", ich drehte mich zu Luca um, „Ich werde darüber nachdenken und mich bei dir melden", dann verließ ich endgültig den Raum.

Durch die halb geöffnete Terrassentür konnte ich hören, wie mein Bruder und Luca in eine hitzige Diskussion verfielen, doch ich steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und stellte die Welt um mich herum dadurch auf Stumm. Ich brachte Ruhe und etwas Zeit, um mir darüber im klar zu werden, was ich tun wollte. Ich wusste nicht, ob ich genug Kraft hatte, um Julian wiederzusehen, ob ich bereit war, mich seinen Dämonen zu stellen, obwohl ich meine eigenen gerade erst besiegt hatte.

LET LOVE GROWWhere stories live. Discover now