zweiundzwanzig

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In dei'm Gesicht sind dunkle Schatten, die sehe nur ich
Wir verlieren die Kontrolle, sag, wo soll'n wir hin?
- Provinz feat Nina Chuba Zorn & Liebe

Julian stellte keine weiteren Fragen, sondern lenkte den Wagen weg von der Innenstadt, in Richtung Rhein. Er verstand mich ohne viele Worte. Ich musste ihm nicht erklären, dass mir der Vorfall mit Noah nach wie vor ziemlich zu schaffen machte.

Diesmal fuhr er, nicht wie beim letzten Mal, zum Parkplatz, sondern zu einem kleinen, privaten Bootsanleger, etwas abseits der Öffentlichkeit. Draußen pfiff ein eisiger Wind um das Auto herum. Aus dem Grund entschieden wir uns, im Warmen sitzen zu bleiben.

Stumm starrte ich auf das tiefschwarze Wasser vor mir und verlor mich in meinen Gedanken. Wie war es möglich, dass Julian mit mir und nicht mit dieser Yasmin nach Hause gegangen war? Vielleicht war sie ja nicht sein Typ?

„Woran denkst du gerade?", unterbrach Julian die Stille.

„Ach an dies und das", tat ich es ab und versuchte meine Gedanken beiseite zu schieben.

„Dies und das?"

Ich brummte zustimmend. Daraufhin schwieg Julian eine Weile.

„Kann ich dich was fragen?", durchbrach ich die Stille schließlich.

„Immer", erwiderte Julian.

„Was ist letzte Nacht passiert?"

„Letzte Nacht?", wiederholte Julian meine Frage.

Ich nickte. Langsam stieß er die Luft aus und fuhr sich mit den Händen über die Augenbrauen.

„Ich hatte mal wieder einen dieser miesen Abende."

„Willst du darüber reden?", fragte ich ihn sanft.

Er schien eine Weile darüber nachzudenken. Erst dachte ich, er würde mal wieder dicht machen, doch zu meiner Verwunderung löste er seinen Sicherheitsgurt und drehte sich mir zu.

„Also gut", fing er zögerlich an. "Ich war mit Nic im Club, musste einfach ein bisschen Dampf ablassen. Ich war so unendlich ruhelos, dass ich nicht wusste, wohin mit mir. Irgendwie musste ich mich ablenken und wie Nic vorhin schon festgestellt hat, sind ein Drink und Sex meistens das beste Mittel. Irgendwann ist Jess aufgetaucht. Ich hab ...", er pausierte kurz und ließ seinen Blick von meinen Augen zu meinen Lippen und wieder zurück wandern. „Ich hab früher regelmäßig mit ihr geschlafen", brachte er dann zwischen zusammengepressten Lippen hervor. „Auf jeden Fall kam sie gestern in den Club und ... na ja, eins kam zum anderen. Wir haben rumgemacht." Mir wurde schlecht. Dass Julian eine Affäre mit dieser Jess gehabt hatte, wusste ich und ich war mir auch durchaus im Klaren darüber, dass die Möglichkeit bestand, dass er nach wie vor mit ihr schlief, doch es jetzt aus seinem Mund zu hören, war hart. Ein dumpfes Gefühl legte sich über meine Brust, doch ich sagte nichts.

„Irgendwie konnte ich es nicht. Ich hab nichts gefühlt. Es hatte nicht wie sonst den gewünschten Effekt. Also hab ich mich betrunken. Im Nachhinein war es nicht mein klügster Moment", endete er schließlich. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Meine Gedanken fuhren Achterbahn. Deswegen hatte er sich dermaßen betrunken?

„Ich würde eher sagen, diese Aktion war ziemlich dämlich", sagte ich schließlich. Plötzlich und ohne Vorwarnung, fing Julian an zu lachen. Das Geräusch sorgte dafür, dass sich eine Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitete.

Er schien es ebenfalls zu bemerken, denn er griff nach dem Knopf für die Sitzheizung und stellte sie an. „Ist dir kalt?" Ich nickte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er hatte sich mir geöffnet und doch hatte ich das Gefühl, dass er mir einen wichtigen Teil verheimlichte. Es ergab keinen Sinn, dass er sich aus so einem dummen Grund betrank.

LET LOVE GROWWhere stories live. Discover now