einundvierzig

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Er blieb direkt vor mir stehen. Sein sauberer Geruch stieg mir in die Nase und direkt kamen alte Gefühle hoch. In meinem Inneren zog sich alles vor Sehnsucht zusammen und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als mich in seine Arme zu werfen. Doch ich widerstand dem Drang und sah ihn stattdessen nur an.

Er erwiderte meinen Blick, ließ ihn träge über meinen Körper wandern, um mir dann direkt in die Augen zu sehen. Ich vergaß alles um mich herum. Es gab nur mich und ihn. Uns. Die Spannung zwischen uns war greifbar und ich konnte nur dank einer Menge Selbstbeherrschung mein Verlangen im Zaum halten.

„Willst du tanzen?" Seine Stimme, diese verdammt tiefe Stimme, ließ kleine Blitze über meinen Körper jagen und entfachte einen Sturm in meinem Inneren. Verlangen, Sehnsucht, Wut und mein verletzter Stolz trafen aufeinander und wirbelten in Form eines ausgewachsenen Orkans durch mein Inneres. Ich wusste nicht, was ich fühlen, nicht wie ich reagieren sollte, doch was ich wusste, war, dass ich mit ihm tanzen wollte. Mehr als alles andere. Ich ergriff seine Hand, die er mir einladend entgegenstreckte und er zog mich mit einem starken Ruck an sich.

Meine freie Hand landete mit Schwung auf seiner Brust und ich meinte, ihn bei meiner Berührung aufkeuchen zu sehen. Vorsichtig legte er seine Hand auf meinen unteren Rücken und begann, sich langsam zur Musik zu bewegen. Ich folgte jedem seiner Schritte und schnell wurden wir zu einer Einheit.

Während wir tanzten, war mein Blick starr auf seine Gesicht gerichtet und er erwiderte meinen Blick mit brennender Leidenschaft in seinen Augen. 

Langsam, Zentimeter für Zentimeter, wanderte seine Hand an meinem Rücken hinab, bis er schließlich kurz über meinem Po verharrte. „Wollen ... wollen wir reden?", brachte er schließlich heraus. Seine Stimme klang rau und heiser.

Ich nickte zustimmend und griff nach seiner Hand und zog ihn durch die tanzende Menge in Richtung der  weit geöffneten Glastür. Mittlerweile war es dunkel geworden und der Außenbereich wurde von Kerzen und Lichterketten erhellt. Alles sah wunderschön und magisch aus. Ein scheues Lächeln trat auf mein Gesicht, als ich mich langsam zu Julian umdrehte. Das Licht der Kerzen spiegelte sich in seinen Augen und tauchte sein Gesicht in ein warmes Leuchten.

„Lin, ich ...", fing er an und brach dann ab. Langsam hob er seine Hand und strich sanft mit seinen Fingern über meine Wange. Am liebsten hätte ich mich an seine Hand geschmiegt, doch ich hielt mich zurück. Julian atmete tief ein und öffnete seinen Mund, doch ich unterbrach ihn, bevor er etwas sagen konnte.

„Ich verzeihe dir", stieß ich aus. Ich war mindestens so erstaunt darüber, wie Julian, der mich mit weit aufgerissenen Augen ansah. Bis eben war ich mir noch nicht sicher, was ich wollte, doch in diesem Augenblick war alles zu perfekt. Ich wollte nicht mehr streiten, nicht mehr sauer oder verletzt sein. Langsam, ganz langsam griff Julian nach meinem Kinn und hob es an. Zwang mich so, ihm wieder in die Augen zu sehen.

Der Sturm in meinem Inneren flammte wieder auf, doch dieses Mal tobten andere Gefühle in meinem Inneren. Ich wollte Julian. Ich wollte ihn so sehr, dass meine Knie weich wurden. Küss mich, schoss es durch meinen Kopf, denn das war es, was ich mehr als alles andere in diesem Augenblick wollte. Ich wollte seine Lippen auf meinen fühlen, meine Hände in seinen weichen Haaren vergraben und mich ganz in ihm verlieren.

Als ob Julian meine Gedanken lesen konnte, kam er mir näher und strich ganz sanft mit seinen Lippen über meine. Ich seufzte an seinem Mund auf und krallte mich mit meinem Finger in seine Schultern.

Julian löste sich von mir. „Ist das okay für dich?", seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Ich räusperte mich und wollte gerade zu einer Antwort ausholen, da lenkte etwas meine Aufmerksamkeit auf sich.

Ich blickte auf und sah leuchtende Lampions über den Himmel gleiten. Die kleinen Laternen sahen aus, wie fliegende Sterne. Verzaubert legte ich meinen Kopf in den Nacken und verfolgte das Schauspiel. Julian tat es mir gleich und stieß ein erstauntes „Oh" aus. Er schien ebenso eingenommen von dem Anblick wie ich. „Das ist ja wie bei ..." „... Bei Rapunzel", vervollständigte er meinen Satz. Ein Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit und ich drehte mich, um Julian besser sehen zu können. „Ich hätte nie gedacht, dass du mir verzeihen würdest", sagte er und strich sanft mit seinen Lippen über meine Stirn. „Ich weiß, es ist noch lange nicht alles wieder in Ordnung. Ich habe noch einen langen Weg vor mir, aber ich will, dass du weißt, dass ich an mir arbeite. Ich werde eine Therapie machen. Ich will ein besseres Ich werden. Für mich selbst, aber auch für dich. Ich hoffe, dass du mich auf diesem Weg begleitest."

Da ich nicht fähig war, einen geraden Satz herauszubringen, zog ich ihn näher an mich und presste meine Lippen auf seine. Ich hoffte, ihm damit sagen zu können, wozu ich mit Worten nicht fähig war. Ich wollte ihm zur Seite stehen, ihn durch all die Höhen und Tiefen begleiten. Ich wollte ihn. Mit all seinen Dämonen und der Dunkelheit, die von Zeit zu Zeit in ihm herrschte. Ich wollte all das zusammen mit ihm bewältigen.

Dieser Kuss war anders, nicht sanft und zart, sondern stürmisch und wild. Voller Leidenschaft und Verlangen. Voller Sehnsucht und der Tatsache, dass ich ihn so sehr vermisst hatte.

Julian hob mich hoch und entlockte mir damit ein überraschtes Quietschen. Er grinste an meinen Lippen und trug mich sanft zu einem Tisch. Seine Hände wanderten unter den Saum meines Kleides und fuhren langsam meinen Oberschenkel hinauf. Ich schlang meine Beine um ihn und zog ihn ein Stück näher an mich ran. Er war mir so nah. So nah, dass ich spüren konnte, wie sehr er sich nach mir verzehrte. Schwer atmend, löste er sich von mir. Seine Augen glänzten vor Erregung. „Fuck", raunte er. Und dann nochmal „Fuck, Lin."

„Wir sollten das hier nicht tun", murmelte er mit dem Mund an meinen Haaren. Ich kicherte, wie ein Teenager. „Du hast recht." Genüsslich schloss ich die Augen und lehnte meine Stirn an seine Brust. "Du hast recht. Wir sollten das hier nicht tun. Meine ganze Familie ist hier und ...", Julian unterbrach mich mit einem schnellen Kuss. „Ich kann warten. Wir haben alle Zeit der Welt, Lin."

Den Rest des Abends verbrachte ich wie auf heißen Kohlen. Julian wich mir keinen Millimeter von der Seite und strahlte, wie ein Honigkuchenpferd. Es machte mich glücklich, ihn so zu sehen und sein Grinsen war ansteckend.

In dieser Nacht fuhr ich mit Julian nach Hause und wir liebten uns, wie wir es zuvor noch nie getan hatten. Mit solch einer Leidenschaft und Zuneigung, dass ich Angst hatte, mein Herz würde explodieren.Und es fühlte sich richtig an. So verdammt richtig. Es war ein Anfang von etwas Großem. Das Erste Mal von vielen, denn in dieser Nacht verliebte ich mich erneut unendlich in Julian und ich wusste, dass er dasselbe für mich empfand.

Ich liebte ihn und auch, wenn unsere Reise holprig war, waren wir schlussendlich angekommen. Ich war angekommen.

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