einundzwanzig

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Nachdem wir zu Ende gegessen hatten, fuhren wir auf direktem Wege zu dem Wohnkomplex, in dem Noah wohnte. Ich parkte meinen Wagen auf einem kleinen Parkplatz direkt vor der Haustür. Skeptisch sah Julian sich um. Man konnte anhand seines misstrauischen Blickes bereits erahnen, was er dachte.

Irgendwas hinderte mich daran, das Auto zu verlassen. Ich blieb hinter dem Steuer sitzen und starrte auf die schäbige Eingangstür. Mein Herzschlag beschleunigte sich und meine Hände begannen zu schwitzen. Ich war tierisch nervös, Noah wieder gegenüberzustehen. Vermutlich würde er nicht mit mir reden wollen, doch ein kleiner Funken Hoffnung blieb. Vielleicht, ganz vielleicht, würde er heute mit mir sprechen. Er würde mir zuhören und versuchen, meine Sicht auf die Dinge zu verstehen.
„Soll ich mit kommen?", riss Julian mich aus meinen Gedanken. Er betrachtete mich von der Seite. Allein seine Anwesenheit sorgte dafür, dass ich ein wenig ruhiger wurde. Ich atmete tief durch, dann antwortete ich ihm: „Ja."
Schließlich gab ich mir einen Ruck und stieg auf dem Auto.

Ich drückte gegen die Eingangstür. Sie war nicht abgeschlossen und schwang mit einem knarren auf. Wie schon beim letzten Mal, schlug mir alte, abgestandene Luft entgegen. Zielstrebig steuerte ich auf die Wohnungstür von Noahs Wohnung zu. Julian blieb im Eingangsbereich des Hausflurs zurück und verfolgte mich mit besorgtem Blick. Noch einmal drehte ich mich zu ihm um. Aufmunternd nickte er mir zu.

Tief durchatmend, klopfte ich an die Tür. Es dauerte einen Augenblick, bis ich schlurfende, schwere Schritte in meine Richtung kommen hörte.
Noah öffnete die Tür und ich musste ein Keuchen unterdrücken. Fast hätte ich ihn nicht erkannt. Er sah scheiße aus. Unter seinen Augen lagen tiefschwarze Schatten. Das sonst so strahlende Braun seiner Pupillen wirkten matt und leer. Über der rechten Augenbraue klebte ein dickes Pflaster. Seine blonden Haare hingen in fettigen Strähnen in sein Gesicht.
Es tat mir in der Seele weh, ihn so vor mir zu sehen. So verloren. Fast so, als hätte er alles Gute aus den Augen verloren.

Da ich wusste, worauf ich mich einstellen musste, schob ich meinen Fuß über die Türschwelle, bevor Noah auch nur die Chance hatte, die Tür wieder zuzuschlagen.
Er sagte nichts, sondern starrte mich nur mit leerem Blick an.
„Noah, ich...", begann ich, doch der Blick, mit dem er mich bedachte, lies mich schnell wieder verstummen.
„Was zum Teufel verstehst du daran nicht, dass ich nichts mit dir zu tun haben will?", brüllte er mich plötzlich an.
Mein erster Impuls war es, zurückzuweichen, doch ich kämpfe dagegen an. Meine Hände begannen zu beben. Schnell versteckte ich sie hinter meinem Rücken. Ich wollte nicht, dass er sah, wie sehr mich sein Verhalten erschreckte.

„Was hat dich nur so zerrissen, Noah?", ich machte vorsichtig einen Schritt auf ihn zu.
„Das geht dich einen Scheiß an, Lin. Ich habe dir bereits gesagt, dass ich nichts mehr mit dir zu tun haben will, aber anscheinend kapierst du es einfach nicht! Ich habe keine Lust, das alles noch mal durchzukauen. Verdammt, ich will dich nicht mehr hier sehen. Ich will nicht, dass du mir weitere Nachrichten schreibst oder dass du versucht, mit mir zu reden. Versteh es doch endlich und lass mich bitte einfach in Ruhe!", mit diesen Worten stieß er mir hart gegen die Brust. Ich taumelte zurück und stieß mit dem Rücken gegen das Treppengeländer. Ein ersticktes Stöhnen kam über meine Lippen, als die gesamte Luft aus meinen Lungen gepresst wurde.
Ich blickte hoch zu Noah und für einen Moment glaubte ich, so etwas wie Entsetzten auf seinem Gesicht zu sehen, doch der Ausdruck verschwand so schnell, wie er gekommen war. Dann fiel die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss.
„Fuck! Geht es dir gut?", Julian eilte auf mich zu. Sein Gesicht wurde von Wut verzehrt.
Ächzend rappelte ich mich auf. Mein Rücken schmerzte höllisch, doch nicht so stark wie mein Herz. Ich konnte es nicht glauben, dass Noah mich so einfach abfertigte. Wie vom Donner gerührt starrte ich auf die nun verschlossene Tür. Er hatte mich einfach so stehen lassen. Dieses Mal hatte er mir mehr als deutlich gemacht, dass er wirklich nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Meine Augen begannen zu brennen, doch ich ignorierte es und reckte trotzig das Kinn in die Höhe.
„Ja. Ja, alles gut", tat ich die Situation ab. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, so sehr schämte ich mich.

LET LOVE GROWWhere stories live. Discover now