zwei

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Die Lichter der Ampeln spiegelten sich auf der regennassen Fahrbahn und wurde durch die Tropfen auf der Scheibe meines kleinen Autos zu einem kunstvollen Bild verzehrt. Ich verschaffte mir einen Überblick, lies meinen Blick über den verlassenen Parkplatz des kleinen, schäbigen Hotels wandern, in dem ich die nächsten Nächte verbringen würde. Der Parkplatz wurde von einer einzigen Straßenlaterne erhellt. In ihrem schwachen Schein ließ sich die heruntergekommene Fassade des Hotels, gerade so erkennen.

Das gesamte Hotel sah nicht einladend aus. Ich stieg aus dem Auto und sofort erfasste mich eine eisige Windböe. Fröstelnd zog ich meine Jacke enger um meine Schultern. Gerade als ich dabei war, die beiden schweren Taschen aus dem Auto zu hieven, traf mich ein Tropfen im Nacken. Erst nur einer, doch innerhalb von Sekunden wurden aus den Tropfen ein gießender Regenschauer. Ehe ich mich versah, war ich bis auf die Haut durchnässt. „Na super. Konnte das alles noch beschissener werden?", murmelte ich. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem gesamten Körper aus, als das eiskalte Regenwasser begann, in meinen Kragen zu fliesen. Ich schulterte meine Taschen. Ihr Gewicht lastete schwer auf meinen Schultern, als ich auf das Hotel zu lief.

Ich öffnete die schwere Tür des Hotels. Sofort schlug mir warme, abgestandene Luft entgegen. Es roch muffig, so als hätte hier seit Jahren niemand ordentlich durchgelüftet. Ich trat in den Eingangsbereich und streifte mir die Kapuze vom Kopf und schaute mich genauer in der Eingangshalle um. Die Wände waren in einem hässlichem braun-rot Ton gestrichen. Der Boden war mit einem beigen Teppich verkleidet, der seine besten Tage hinter sich hatte. Ich zog meine beiden Taschen bis zum Empfangsbereich und wartete.

Als nach fünf Minuten noch immer niemand auftauchte, war ich kurz davor wieder umzudrehen, doch mir blieb keine andere Möglichkeit, als zumindest eine Nacht hierzubleiben, wenn ich nicht im Auto schlafen wollte. Da mein Verschwinden eine Herz-über-Kopf-Aktion gewesen war, hatte ich natürlich nicht darüber nachgedacht, wo ich die erste Zeit schlafen wollte. Da es bereits nach Mitternacht war und die meisten Rezeptionen der etwas besseren Hotels bereits geschlossen hatten, gab es leider keine andere Möglichkeit.

Gerade wollte ich mich auf die Suche nach einem Mitarbeiter machen, da kam ein kleiner untersetzter Mann mit Halbglatze aus dem Raum hinter dem Empfangstresen. Genervt schaute er mich an, fast so als störte ich ihn bei einer super wichtigen Tätigkeit.

„Guten Abend. Ich hätte gerne ein Zimmer für eine Nacht", ich versuchte, so freundlich wie möglich zu klingen.

„Name?", antwortete der Mann und tippte etwas in den alten Computer ein, der vor ihm stand.

„Linda Neumann", sagte ich. Da er anscheinend keine Lust auf freundliche Konversation hatte, brauchte ich mir immerhin keine weitere Mühe geben, freundlich zu sein. Ich war unendlich erschöpft und wollte endlich eine heiße Dusche nehmen und dann einfach ins Bett fallen.

„Das macht dann dreißig Euro."

„Dreißig Euro? Ist das hier das Hilton oder was?", der Mann antwortete nicht, sondern hielt mir nur seinen ausgestreckte Hand hin. Widerwillig kramte ich mein Portmonee aus meiner Tasche und legte ihm das Geld auf den Tresen. Ohne ein weiteres Wort nahm er es und reichte mir einen altmodischen Schlüssel mit einer Nummer als Anhänger. „Zimmer 5", sagte er noch, dann drehte er sich um und verschwand wieder in den Raum, aus dem er gekommen war.

Entgeistert schaute ich ihm hinterher.

„Danke, Arschloch", raunte ich mehr zu mir selbst als zu ihm und raffte meine Taschen auf. Mein Zimmer war zum Glück einfach zu finden. Ich schloss die Tür auf und schaltete das Licht ein, während ich eintrat.

Das Zimmer war genauso schäbig, wie der Rest des Hotels. Die Wände hier waren nicht rot, sondern hatten den gleichen beigen Ton wie der Teppich, der sich auch hier wieder fand. Im Zimmer gab es nicht viel mehr als ein Bett und ein Schrank aus dunklem Holz. An der Wand stand ein kleiner Tisch.

Vom Eingangsbereich ging eine weitere Tür ab, hinter der das Bad liegen musste. Es sah aus, als wäre die Zeit stehen geblieben. Die ganze Einrichtung erinnerte mich an die meiner Oma, die teilweise noch Möbel besaß, die beinahe so alt waren wie sie selbst.

Ich stellte meine Taschen ab und schloss die Tür hinter mir. Zur Sicherheit steckte ich den Schlüssel ins Schloss und schloss doppelt ab. Man wusste ja nie. Ich zog meine Schuhe und Jacke aus, dann befreite ich mich von meinen nassen Sachen und ließ mich nur in Unterwäsche ins Bett fallen. Ich war todmüde und erwartete, dass ich augenblicklich einschlief, doch nichts passierte.

In meinem Kopf fuhren die Gedanken Achterbahn. Ich hatte es immer noch nicht ganz realisiert, dass ich es wirklich getan hatte, Leon wirklich verlassen hatte. Ich war gegangen, hatte alles hinter mir gelassen. Meine neugewonnene Freiheit und die Möglichkeit, nochmal ganz von Vorne anfangen zu können, lösten ungewohnte Glücksgefühle in mir aus.

Die kurze Euphorie wurde von einer Leere verjagt, die sich schneller als mir lieb war, in meiner Brust ausbreitete. Ich war zwar frei, doch auch ganz alleine. Meine siebenjährige Beziehung lag in Scherben vor mir und ich wusste nicht, wie es weiter gehen sollte. Leon und ich waren zusammen, seitdem wir 15 Jahre alt waren. Wir wuchsen sozusagen zusammen auf, hatten alles zusammen erlebt und miteinander geteilt, bildete über die Jahre hinweg eine Einheit. Als er damals nach Frankfurt zog, stand es für mich außer Frage ihm zu folgen.

Zu meinen alten Freunden hatte ich schon lange keinen Kontakt mehr. Meine Eltern lebten zwar hier, waren aber, seitdem sie beiden in Rente waren, die meiste Zeit mit dem Wohnmobil unterwegs. Nur an den Feiertagen und Geburtstagen kamen sie für kurze Zeit zurück.

Meine drei Brüder, denen ich früher einmal sehr nah stand, hatten mittlerweile alle ihr eigenes Leben. Und ich war kein Teil mehr davon. Bei dem Gedanken musste ich schlucken. Am Anfang hatte ich noch versucht Kontakt, zu ihnen zu halten, doch da von ihnen nichts zurückkam, hatte ich es mit der Zeit aufgegeben. Mittlerweile hatten wir seit drei Jahren nicht mehr miteinander gesprochen, geschweige denn uns gesehen. Sie hatten mir wohl nie verzeihen können, dass ich mehr oder weniger über Nacht ausgezogen war.

Vermutlich war es meine eigene Schuld, denn auch ich hatte mich ebenfalls von ihnen abgewendet. Leon war mein ganzes Universum gewesen, der Mittelpunkt meines Lebens. Erst jetzt war mir klar geworden, dass ich mich ziemlich in dieser Beziehung verloren hatte. Ich hatte mich selbst aufgegeben und mich für Leon komplett verbogen.

„Schluss damit!", befahl ich mir selbst. Ich schob all die miesen Gedanken und erstickende Gefühle bei Seite. Ich brauchte niemanden. Alleine kam ich besser klar. Nie wieder würde ich mich von jemandem so behandeln lassen, wie Leon es die letzten Jahre getan hatte. Ich wollte mich nie wieder so fühlen. Am liebsten wollte ich gar nichts mehr fühlen. Ich stand komplett neben mir. Wann bitte hatte das alles angefangen? Wann hatte ich mich verloren und verbogen, nur um dem Anspruch eines Mannes zu genügen, dem ich wahrscheinlich eh niemals gerecht werden konnte?

Mit hoch in die Luft erhobenem Kinn stand ich auf. Es war Zeit, mein eigenes Ding durchzuziehen und wieder zu mir selbst zurückzufinden.

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Was haltet ihr bis jetzt von Lin, ihrer Situation und der Art wie sie damit umgeht? Könnt ihr es nachvollziehen oder eher weniger?

LET LOVE GROWWhere stories live. Discover now