dreiunddreißig

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Nachdem Henrik und ich wieder zu Hause angekommen waren, flüchtete ich regelrecht in mein Zimmer. Ich wollte nicht über das reden, was vorgefallen war. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht reden.

Ich verkroch mich in meinem Bett und zog mir die Decke über den Kopf. Dunkelheit hüllte mich ein und nach einer Weile wurde die Luft um mich herum warm und stickig.

Ich versuchte mit aller Macht, die drängenden Tränen zurückzuhalten, doch es gelang mir nicht. Ich verlor diesen Kampf innerhalb von Sekunden und die Tränen begannen zu fließen.

Es waren keine stummen Tränen der Trauer, nein, ich heulte Rotz und Wasser. Immer wieder wurde mein Körper von harten Schluchzern durchgeschüttelt. Meine Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Es war, als würde der Schmerz in meinem Inneren explosionsartig und mit aller Macht nach außen dringen und dabei keine Rücksicht auf Verluste nehmen. So heftig hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr geweint und irgendwie hatte es etwas Befreiendes an sich. Ich verlor mich völlig im Chaos meiner Gefühle, ließ mich von ihnen in die Tiefe ziehen.

Nachdem ich mich völlig leer geweint hatte, fühlte ich mich ruhelos und aufgewühlt. Zu viele Gefühle verlangten, gespürt zu werden und meine Gedanken hörten nicht auf zu rasen. Zitternd atmete ich ein paarmal aus und ein. Mein Spiegelbild, das mich verheult von der Wand gegenüber ansah, ließ mich zusammenzucken. Ich sah fertig aus, zerbrochen. Wütend wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und reckte trotzig das Kinn. Ich würde nicht zulassen, dass irgendein Mann mir derart das Herz brach. Ich würde keine Träne mehr um Julian weinen. Das schwor ich mir in diesem Augenblick.

Die halbe Nacht lang hatte ich mich von einer auf die andere Seite gewälzt. Immer wieder spielte sich die Szene im Secrets vor meinem inneren Auge ab. Immer wieder sah ich, wie verächtlich Julian mich ansah und sich schließlich wieder der Frau neben ihm zuwandte. Irgendwann in den frühen Morgenstunden schlief ich schließlich doch ein und glitt in einen traumlosen Schlaf.

Ein Klopfen an der Tür ließ mich hochfahren. Die Sonne drang durch die kleinen Spalten meiner Rollladen und ließ die kleinen Staubpartikel, die in der Luft tanzten, leuchten. Benommen sah ich mich um. Mein Kopf schmerzte tierisch und meine Augen fühlten sich klebrig an. Es klopfte erneut an der Tür, doch ich ignorierte es. Ich wollte immer noch nicht reden und schon gar nicht mit Henrik. Ich wollte einfach nur hier liegen und vergessen, was geschehen war.

Mein Körper zeigte keinerlei Reaktion mehr auf den Schmerz, der in meiner Brust wallte. Ein kleiner Triumph meinerseits. Julian hatte mich eiskalt abserviert, mir deutlich gemacht, dass ich nicht das war, was er wollte, dass ich ihm nicht genug war. Immerhin, das musste man ihm zugutehalten, hatte er es getan, bevor es ernst zwischen uns wurde. Und doch tat der Verrat furchtbar weh. Er hatte dafür gesorgt, dass die gerade verheilten Risse in meinem Herz erneut zerbrachen. Nur wusste ich dieses Mal nicht, wie ich sie erneut zusammensetzten sollte. Ich würde nicht zulassen, dass der Schmerz mich kaputt machte. Er sorgte dafür, dass ich alles intensiver fühlte. Und er steigerte meine Wut um ein zehnfaches und Wut war gut, denn sie sorgte wiederum dafür, dass ich nicht aufgab.

Ein Murmeln vor der Tür meines Zimmers ließ mich aufhorchen. Offenbar hatte Henrik Johannes und Noah angerufen.

„Lin?", Johannes klopfte nachdrücklich an meine Tür. „Mach auf. Bitte."
Ich schwieg. „Wenn du nicht aufmachst, komme ich rein."

Blitzschnell sprang ich von meinem Bett auf und drehte den Schlüssel, der im Schloss steckte, um.
„Hat sie gerade ernsthaft die Tür abgeschlossen?", hörte ich Johannes von der anderen Seite der Tür zu meinen Brüdern sagen. Er klang ungläubig.

„Ich schwöre dir, Lin, wenn du nicht die Tür aufmachst, trete ich sie ein", Ungeduld machte sich in Henriks Stimme bemerkbar. Ich wusste, dass er es ernst meinte.
Er würde nicht lange zögern und die Tür eintreten.

LET LOVE GROWWhere stories live. Discover now