sieben

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Als ich schließlich Zuhause ankam, war es bereits später Nachmittag. Henrik war immer noch nicht zu Hause, oder schon wieder unterwegs. Ich betrat den Flur und mein Blick ging wie automatisch zu dem großen Spiegel, der an der Wand hing. Auf den ernsten Blick erkannte ich mich nicht wieder und doch fühlte ich mich meinem wahren Ich äußerlich sowie innerlich ein kleines Stück näher.

Ich machte mir einen schnellen Snack, bevor ich mich in mein Auto setzte und in Richtung der Wohnung von Noah fuhr. Das, was auch immer zwischen uns lag, musste dringend aus der Welt geschaffen werden. Vorab hatte ich Johannes nach der neuen Adresse von Noah gefragt.

Ich parkte mein Auto auf dem großen Parkplatz vor dem Mehrfamilienhaus und stieg aus. Der Wind hatte wieder aufgefrischt und ich zog den Reißverschluss meiner schwarzen Teddyjacke bis unter mein Kinn. Hoffentlich war Noah zu Hause. Nachdem er bereits von Vortag nicht mit mir sprechen wollte, hatte ich ihm gar nicht erst Bescheid gesagt, dass ich kommen würde. Ich suchte das Klingelschild mit dem Namen Neumann und betätigte sie. Sekunden später hörte ich ein Summen und stieß die Tür auf.

Der Hausflur roch muffig und die Luft war warm und abgestanden. Ich schaltete das Licht an und blickte mich suchend nach einer offenen Tür um. Im trüben Licht der Neonröhren wirkte alles schmutzig und traurig. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie Noah in so einem Haus gelandet war. Ganz hinten am Ende des Flures nahm ich eine Bewegung wahr. Die Haustür wurde leicht geöffnet. Mit schnellen Schritten lief ich darauf zu. „Lin. Was willst du hier?", begrüßte mich Noah mit tonloser Stimme.

„Reden."

Er musterte mich von oben bis unten. Seine braunen Augen blieben an meiner neuen Haarfarbe hängen.

„Es gibt nichts zu reden." Er wollte mir die Tür vor der Nase zu knallen, doch ich war schneller und stellte meinen Fuß auf die Schwelle. „Lass mich rein." Noah ballte eine Hand zur Faust und sah mich wütend an. „Bitte" fügte ich etwas sanfter hinzu.

Widerwillig trat er einen Schritt zur Seite und ließ mich in seiner Wohnung. Sie war klein, und dunkel. Ohne große Umschweife führte er mich in sein kleines Wohnzimmer. Ich ließ mich auf die Couch fallen. Mein Blick begann neugierig umher zu wandern. Ich nahm jedes kleine Detail in mich auf. Die kahlen, weiß gestrichenen Wände, an denen nicht ein Bild hing. Die fehlenden Möbel. Es fehlten jegliche persönlichen Gegenstände. „Wie lange wohnst du hier schon?" Noah zuckte nur mit den Schultern. Bevor ich weggezogen war, hatten wir beide noch bei unseren Eltern gewohnt. Offenbar war er nach mir ebenfalls ausgezogen.

„Du wolltest reden, dann rede. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit", mit verschränkten Armen stand Noah vor mir und schaute von oben auf mich herab.

„Wieso bist du so wütend auf mich?"

„Das fragst du mich?" In seiner Stimme schwang ein gereizter Unterton mit. Er begann vor dem weißen Wohnzimmertisch auf und ab zu abzulaufen.

„Ja, deswegen bin ich hier." Ich stieß einen Schwall Luft aus.

„Na ja, wenn du es immer noch nicht kapiert hast, tut es mir leid für dich, doch ich glaube, dann haben wir nichts mehr zu besprechen."

„Noah bitte.", flehte ich ihn an. „Ich weiß, dass du wütend bist, weil ich gegangen bin, doch ich wollte nie ganz aus deinem Leben verschwinden. Da hast du ebenfalls deinen beigesteuert."

„Ach so. Jetzt bin ich also schuld?"

„Nein, das habe ich doch gar nicht gesagt. Dreh mir nicht jedes Wort im Mund um." Wut stieg in mir hoch. Langsam und siedend heiß. Mit Noah zu diskutieren, war wie mit einem kleinen Kind zu reden. Er war schon immer wahnsinnig stur gewesen. Diese Eigenschaft hatte er immerhin in den letzten drei Jahre nicht verloren.

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