Kapitel 23

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Our greatest weakness lies in giving up.
- Thomas A. Edison -

Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Als ich auf die große Uhr an der Wand im Schlafsaal sah, zeigte diese halb vier Uhr morgens an.

Noch eineinhalb Stunden bis zum Treffen.

Nachdem ich erfolglos versuchte, wieder einzuschlafen, stand ich irgendwann auf, wusch mir das Gesicht und zog mich an.
Alle anderen im Saal schliefen noch, als ich diesen verließ und nach draußen ging. Das Tor war noch verschlossen, doch ich entriegelte es, was bei den ganzen Sicherheitsschlössern ziemlich lange dauerte.

Draußen war es noch stockdunkel und die Sterne funkelten am Nachthimmel.
Die Luft war kalt und ich legte die Arme um meinen Körper, während ich zu der Düne, unter der das Trainingscamp lag, ging.

Glücklicherweise stand der Mond weit oben, nicht verdeckt von Wolken und erleuchtete die Umgebung.
So fand ich das Trainingscamp leicht und konnte auch die Matten und Kampfgeräte erkennen.

Ich ging zu dem Zelt, in dem sich die Waffen befanden und fand es unverschlossen vor. Ich glaubte zwar nicht, dass es jemand stehlen würde, aber es war dennoch wahnsinnig unvorsichtig.

Ich durchsuchte die vielen Kisten und fand Messer wie das, was ich gestern benutzt hatte, vor. Fünf davon nahm ich mit und ging zu einer Holzfigur auf dem Platz.

Im Kopf ging ich noch mal die Anweisungen von Uriel durch und nahm die richtige Fußstellung ein. Dann nahm ich eines der Messer in die Hand und drehte es darin von einer Seite zur anderen.

Uriels Worte fielen mir wieder ein. Ich musste stärker als mein Feind sein, ohne dass er es wissen durfte.

Ich schloss die Augen, atmete einmal tief ein und aus, hob den Arm und warf.

Ein dumpfes Geräusch ertönte und als ich die Augen öffnete, sah ich, dass das Messer genau in der Brust der Holzfigur steckte.

Ich wollten vor Freude platzen und vor Glück schreien, aber ich besonnte mich eines Besseren und freute mich innerlich, bevor ich noch alle Leute im Camp auf mich aufmerksam machte.

Schließlich nahm ich auch noch die anderen Messer und traf abwechselnd weitere Male in Kopf, Brust und Bauch.

Doch danach war ich noch lange nicht fertig mit dem Training.

Ich nahm mir einen der Boxsäcke vor, zog die passenden Handschuhe an und schlug unaufhörlich für mindestens zwanzig Minuten auf das Gerät ein, bis ich mich völlig erledigt auf den Boden legte und in den Himmel schaute, der immer noch tiefschwarz und von Sternen übersät war.

Obwohl ich am Himmel nicht die Uhrzeit erkennen konnte, glaubte ich dennoch, dass es schon mindestens viertel nach vier sein musste. Dementsprechend musste ich langsam mal ins Camp zurückgehen, um noch pünktlich zum Frühstück zu kommen und keinen Verdacht zu erwecken.

Wenn Phoenix oder noch schlimmer, Jai oder Ryu, davon erfahren würden, würden sie mich wahrscheinlich eigenhändig in der Wüste aussetzen und den wilden Tieren überlassen.

Schnell verstaute ich die Messer und die Handschuhe und schaute, ob ich alles so zurückließ, wie es vor mir ausgesehen hatte, dann lief ich zurück zum Camp.

Dort angekommen zog ich mich schnell um und begab mich dann zum Essenssaal.
Tatsächlich saß nur eine Person in dem Raum.

Und es war ausgerechnet Jai.

Seufzend verdrehte ich die Augen.
Obwohl ich wirklich keine Lust hatte, ihm zu begegnen, überwog mein Hunger und ich lud mir Knäckebrot und Rührei auf meinen Teller, bevor ich damit zu seinem Tisch ging.
Als ich vor ihm stand, sah er überrascht zu mir auf.

„Na, du bist aber früh wach."

„Ist da noch frei?," fragte ich ohne zu antworten und nickte mit dem Kopf zu dem Platz ihm gegenüber.

Bestätigend hob er die Hand und ich setzte mich.

„Also, was hast du heute noch so vor, dass du so früh aufstehst?," fragte er schließlich. „Jagdtraining mit Phoenix. Aber eigentlich müsstest du das doch wissen, schließlich bist du unser Anführer. Ohne deine Zustimmung passiert hier gar nichts, dachte ich."
„Also erstens bin ich nicht der einzige Anführer. Odie und ich haben beide diesen Titel. Und zweitens weiß ich davon, ja, aber ich darf mich doch wohl noch mit dir unterhalten oder?," sagte.

Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Bist du aufgeregt?"
„Nein," antwortete ich und sah ihm dabei fest in die Augen. Es fehlte nur noch, dass er mich für einen Angsthasen hielt.

„Wirklich? Angesichts deiner Kampf- und Verteidigungskünste solltest du das aber sein, denke ich. Phoenix hat mir von eurem Training erzählt."
„Mir ist völlig egal, was du denkst. Oder Phoenix. Ich kann kämpfen. Ich kann mich verteidigen. Ich bin gut."

Er hob eine Augenbraue.

„Das hat sich in Phoenix' Bericht aber ganz anders angehört."
„Tja, ich hab ihm eben nicht alles gezeigt, was ich drauf habe."
„Glaub mir, diese Taktik ist nicht besonders klug."

Wieder zuckte ich nur die Schultern.

Auf einmal kniff er die Augen zusammen und sah unter den Tisch.

„Das nächste Mal, wenn du draußen in den Dünen trainieren gehst, schüttele danach lieber den Sand von deinen Schuhen ab."

Er warf mir einen bedeutungsschwangeren Blick zu, stand dann auf und ließ mich allein im Saal zurück.

Mist. Ich wollte mir gar nicht vorstellten, was jetzt passieren würde. Wahrscheinlich würden sie mich, genau wie ich es mir vorhin vorgestellt hatte, in der Wüste aussetzen.

Doch in der nächsten Viertelstunde passierte nichts und als schließlich die anderen aus meiner Gruppe eintrafen, war ich schon fast wieder entspannt.

Olivia und Reign kamen, gefolgt von Leo und Harry, in den Saal. O sah sehr blass um die Nase und nervös aus. Wenn ich nicht vor Anstrengung so rot im Gesicht wäre, würde ich wahrscheinlich genauso aussehen.
Sie setzte sich langsam hin und fing an, an einer Scheibe Knäckebrot zu knabbern. Dabei starrte sie stur geradeaus.

„O, ist alles okay?," fragte ich und wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht rum.

Keine Antwort.
Fragend sah ich Harry an.

„Sie benimmt sich schon seit gestern so. Ich denke, sie ist aufgeregt wegen der Jagd."
„Hey, das wird schon. Wir töten einfach ein paar Tiere und gehen danach wieder nach Hause," sagte Reign und zuckte mit den Schultern, als wäre es das normalste auf der Welt.

Auf einmal schnellte Olivias Blick zu ihr.
„Ja, bestialische Tiere. Hast du Phoenix' Beschreibung irgendwie verschlafen? Das sind keine süßen Hasen, die wir da jagen werden, sondern giftige, tödliche Monster. Du kannst mir nicht ernsthaft erzählen, dass du bereit für so was bist!" Ihre Stimme hatte einen schrillen Ton angenommen.

„Ich versuche nur, uns alle zu beruhigen. Ich bin doch genauso aufgeregt wie du. Und Quinn bestimmt auch oder?," sagte Reign.

Alle sahen zu mir.

Ich war vor allem voller Adrenalin und bereit, endlich den anderen zu zeigen, dass ich doch etwas drauf hatte, aber ich nickte bloß. Ein wenig Angst hatte ich ja wirklich.

„Wir schaffen das schon. Phoenix ist doch dabei und der kennt sich aus. Außerdem, falls uns ein Tier angreift, werfe ich ihm einfach Jamie vor die Füße, an dem ist sowieso mehr dran als an uns," sagte ich zur Aufmunterung und ich konnte ihr tatsächlich ein kleines Lächeln abringen.

Schließlich aßen wir halbwegs entspannt weiter und gingen dann zu den Schlafsälen, um uns etwas jagdtaugliches anzuziehen.

Zum Abschied umarmten uns Harry und Leo noch und wünschten uns viel Glück, dann gingen wir zusammen zum Tor.

TelepathyWhere stories live. Discover now