Kapitel 37

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You think because you humiliate me, you can control me?
- Holly Black, The Cruel Prince -

Obwohl es schon spät war, waren die meisten im Lager noch wach und kamen uns mit aufgeregten Rufen entgegen.
Erst da verstand ich, wie wichtig diese Tiere für unser Überleben waren. Von einem konnten sich alle Menschen hier zwei Wochen lang ernähren.

Jai kam auf uns zu und klatschte in die Hände.
„Sehr gut," sagte er. „Gute Arbeit, Leute."
„Naja eigentlich war es Quinn, die das geschafft hat," erwiderte Olivia vorsichtig.
Ich erwartete Proteste von den anderen, doch sie reagierten zustimmend. Bis auf Violet natürlich, aber das war ja nicht erstaunlich.

Jai sah mich zufrieden an. Zumindest dachte ich, dass es die Emotion war, die sich auf seinem Gesicht abzeichnete. Das konnte man bei ihm nie genau wissen.
„Na dann, herzlichen Glückwunsch," sagte er und... zwinkerte er etwa?

Phoenix klopfte mir lobend auf die Schulter. „Ich glaub, es geht jetzt aufwärts für dich, ne?"
Lächelnd nickte ich. Hoffentlich war es so.

Heute Abend war die Stimmung auf jeden zum ersten Mal seit einiger Zeit ausgelassen, die Leute waren satt und glücklich und endlich war jemand mal stolz auf meine Arbeit.
Mehr und mehr hatte ich hier das Gefühl, ich musste etwas erreichen, musste mich für die Leute hier und das Lager einsetzen. Ich wollte aber auch mehr denn je besser wissen, was das für Ort war, an dem ich mich auf einmal so zuhause fühlte.

Nach dem Essen nahm Phoenix Violet zur Seite, um mit ihr zu reden.
Schadenfreude erfüllte mich und ich fühlte mich als erstes schlecht deswegen, doch dann dachte ich mir, dass es eigentlich gut war, dass es mal nicht nach ihrem Willen ging. So viel Schmerz hatte sie mir zugefügt, dass sie das Zehnfache zurück verdiente. Es ging dabei schon lange nicht mehr um Alec. Er war nur mein erster Freund gewesen, mehr nicht. Aber mit Violet würde ich lange zusammen leben müssen.
Sofern ich sie nicht in naher Zukunft den Bestien zum Fraß vorwarf.
Doch dass sie jemals die weiße Flagge schwenken würde, war extrem unwahrscheinlich, also würde ich das auch nicht tun.

Nach dem Essen war ich nach Odies Befehl alleine mit Abwaschen dran, was wahrscheinlich das Ende meiner Strafe war.
Im Halbdunkeln putzte und summte ich so vor mich hin, als auf einmal etwas in der Küche schepperte.

Blitzschnell fuhr ich herum und griff mir das nächstbeste Messer. Vorsichtig bewegte ich mich vorwärts, bis ich gegen eine Person stieß, die mich sofort packte und federleicht auf den Boden schmiss.
Ich keuchte auf, als die Luft schlagartig aus meiner Lunge wich.
Doch mein ausgebildetes Gehirn ließ mich nicht im Stich und ich hielt sofort das Messer meinem Angreifer entgegen.
Dieser trat ins Licht und gab sich zu erkennen.

„Jai," atmete ich erleichtert auf. „Ich hätte dich fast getötet!"
Er sah mich skeptisch an. „Mit einem Buttermesser, Quinn?"
Verwirrt sah ich in meine Hand. Tatsächlich hielt ich ein stumpfes, kleines Buttermesser.
„Tut mir leid für den Slam. Ich wusste nicht, dass jemand so spät noch abspült," sagte er und half mir auf.
„Schon gut. Ich hab mir einfach Zeit gelassen."
„Warst du in Gedanken versunken?"
„Ich bin einfach den heutigen Tag nochmal im Kopf durchgegangen. Ich bin von mir selbst überrascht. Ich dachte, Violet würde mal wieder glänzend da stehen und mit Lob überschüttet werden."
„Darf ich mal fragen, warum dich dieses Mädchen eigentlich so einschüchtert?"
Ich zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Sie hat einfach schon immer das bekommen, was sie wollte und ich eben nicht."
„Was denn so?"
„Gute Noten, die schönsten Klamotten, meinen Freund, Anerkennung... Soll ich noch weitermachen?"

Jai hob die Augenbrauen.

„Und nützen ihr hier welche von diesen Dingen etwas?"
„Naja...," druckste ich.
„Nein," beendete er bestimmt meinen Satz. „Du musst wirklich mal anfangen, an dich selbst zu glauben. Das macht einen ja wahnsinnig."

Ich lächelte schief.

„Ich verstehe nur nicht, wieso jemand so gegensätzliches zu mir an dem gleichen Ort landet. Wie kann es denn sein, dass so jemand eine Kraft hat? Sie ist einfach nicht zum Kämpfen und Überleben gedacht."
Jai nickte zustimmend. „Das frage ich mich ehrlich gesagt auch."
„Was denkst du? Ist es Zufall oder etwas anderes?"

Lange schaute er mich nachdenklich an.

„Wenn ich dir etwas zeige, versprichst du dann, es für dich zu behalten?," fragte er mit ernstem Ton.
„Klar, ich verspreche es," sagte ich nickend.
Er atmete aus. „Mach das hier fertig und komm dann mit mir mit."

Schnell wusch ich alles fertig ab, räumte auf und folgte dann Jai, der mich in die Zentrale führte.

TelepathyWhere stories live. Discover now