Kapitel 10

11.8K 1.1K 51
                                    

Schockiert schaue ich ihnen nach, bis ich merke, wie jemand an meiner Schulter rüttelt.
Ich drehe meinen Kopf und schaue in grüne Augen, die so aussehen, als wären sie aus meiner Zeichnung gesprungen.
Schnell stehe ich auf, befreie mich aus seinen Armen und laufe einige Schritte von ihm weg.

"Ich wollte dich nicht...", fängt er an, doch ich unterbreche ihn.
"Was willst du?"
Verwirrt schauen mich die grünen Augen an.
"Ich habe gesehen, was sie gemacht haben und wollte nur helfen."
Helfen. Das Wort ist schön. Und genau passend für mich.
"Schon zu spät, aber du kannst mir auch anders helfen.", sage ich und drücke ihm die neuen Lampen in die Hand.

Sprachlos schaut er mich an.
"Danke.", sage ich und steige wieder auf den Tisch.
"Und wenn ich keine Zeit habe?"
Ist das sein Ernst?
Ich schaue auf ihn runter und lächle ihn an.
"Ach wirklich, ist das dein einziges Problem? So weit ich informiert bin, besteht deine Zeit nur darin, mit dem Auto durch die Gegend zu fahren und gewisse Leute zu belästigen."
Ich greife wieder zu der Lampe über mir, wobei mein Blick kurz zu dem mittlerweile menschenleeren Gang fällt.

"Hab ich dich etwa belästigt?", fragt er und hält mir die neue Lampe hoch, die ich nehme und austausche.
"Ich sehe es als belästigen an", gebe ich zu.
"Und als was bezeichnest du dann das, was in der Nacht passiert ist?"

Sofort steigen in mir diese schlechten Gefühle hoch und ich drohe schon das Gleichgewicht zu verlieren, doch ich fange mich noch im letzten Moment.
"Tut mir lei...", will er schon sagen.
"Als Fast-Raub", sage ich schell.
"Da hast du Recht", sagt er nur und schweigt.
Ich verharre in meiner Bewegung und warte darauf, dass da noch mehr kommt, doch er schweigt.

"Was ist mit deiner Unterstützung? Krank?", lenkt er stattdessen auf ein anderes Thema.
"Ja, beide krank."
Schnell schlage ich mir die Hand vor den Mund.
Der Junge weiß nichts von Lukas.
"Beide?", ist auch gleich seine nächste Frage.
"Ich meine, ja, sie ist krank", versuche ich mich rauszureden und steige vom Tisch, doch der Junge kommt auf mich zu.
Ich weiche seinem Blick aus, als er immer näher kommt.
"Nein, du meinst beide krank", stellt er fest und steht jetzt ganz dicht vor mir.
Schnell drehe ich mich um und laufe auf ein Klassenzimmer zu, in dem wir noch nicht waren.
Kaum mache ich den Lichtschalter an, steht er wieder hinter mir.
"Also? Wer ist Nummer Zwei?"

Aus irgendeinem Grund will ich ihm nicht von Lukas erzählen und sage deshalb, dass es eine andere Freundin ist.
Der Grünäugige schaut mich an und schüttelt den Kopf.
"Du kannst nicht lügen."
"Na dann halt nicht."
Ich will nach der Lampe greifen, die er mir hinhält, doch er packt meinen Arm.
"Oh ne!", sage ich und verdrehe die Augen. "Was ist jetzt?"
"Wer ist Beide?", fragt der Junge und schaut mir unverwandt in die Augen.

"Niemand."
Statt irgendwas zu sagen zieht er mich zu sich an den Rand des Tisches.
"Lass das!", fauche ich ihn an.
"Und wenn nicht?"
"Okay, du hast gewonnen. Beide sind meine Freundin und ein Freund", sage ich leise und starre auf den Boden, dem ich gefährlich nah bin.
"Und wer ist 'ein Freund'?"
"Ich habs dir doch gesagt! Also kannst du mich jetzt loslassen?"
"Ich will es aber ganz wissen", sagt er und durchbohrt mich mit seinem Blick.
"Nein."
"Wie lange wollen wir noch so dastehen?"
"So lange, bis dein Arm müde wird", sage ich lächelnd und zeige auf seinen Arm.
"Ich glaube nicht, dass du lange so da stehen kannst."
Er hat Recht. Ich stehe leicht nach vorne gebeugt, weil er mich so nach vorne zieht.

Ich ziehe mein Knie nach oben und versuche damit an seinen Arm zu kommen.
Ich trete auf ihn und sofort lässt der Junge los.
Er will den Arm wegziehen, doch ich halte ihn schnell fest.
Fragend schaut er mich an.
"Denkst du ich will nichts wissen?"
Ich kann mir ein Lächeln echt nicht mehr verkneifen. "Wie heißt denn eigentlich du?"

"Denkst du ernsthaft, dass ich mich nicht befreien kann?"
Er zieht leicht an dem Arm und ich fliege dadurch vom Tisch.
Ich sehe schon den Boden, als der Junge die Sicht auf den Boden versperrt und ich einfach in seinen Armen lande.
"So schwer bist du gar nicht", ist das einzige, was er dazu sagt.
Schnell befreie ich mich aus der 'Umarmung' und laufe aus dem Raum.

Ich höre seine Schritte hinter mir, doch ich drehe mich nicht um.
"Grace, jetzt warte! Bitte."
Es ist das erste Mal, dass er meinen Namen ausspricht und ich bleibe wie angewurzelt stehen.
Doch als er vor mir steht, schaltet sich mein Gehirn wieder ein und ich laufe an ihm vorbei in den Hausmeisterraum und stelle die Sachen dort ab.

Ich drehe mich um und will wieder gehen, doch mein Weg ist von einem Jungen mit grünen Augen versperrt.
"Es tut mir leid, wirklich. Ich wollte das nicht."
Total hilflos steht er vor mir und weiß nicht, was er noch sagen soll, also schnappe ich mir meine Tasche und will an ihm vorbei, doch er hält mich zurück.
Lange starre ich ihn an und muss den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die grünen Augen schauen zu können.
"Lass mich einfach mal in Ruhe", sage ich und er zieht den Arm weg, so dass mein Weg frei wird.
Ich bin gerade zwei Schritte gelaufen, als er "Liam." sagt.
Kurz bleibe ich stehen, zumindest bis mein super schlaues Gehirn es auch mal kapiert hat, dass er mir gerade seinen Namen gesagt hat.
Doch dann laufe ich schnell aus der Schule.

Die zehnte GabeWhere stories live. Discover now