Kapitel 33

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Lange schaut Lukas zwischen mir und Liam hin und her, scheint aber nicht ganz zu glauben, was er da gerade sieht.
"Kessy, hierher", sagt er mit brüchiger Stimme. Die kleine Hündin gehorcht augenblicklich.
Mit einer kleinen Handbewegung durch Lukas wird sie dazu aufgefordert, sich hinzusetzen, was sie auch gut erzogen befolgt.
"Ich habe es vermutet. Aber ich war dumm genug, dir zu glauben, als du mir gesagt hast, dass es keinen anderen Jungen gibt", sagt Lukas und schüttelt leicht den Kopf.
"Das ist aber nicht so, wie du jetzt denkst", sage ich schnell, aber Lukas schüttelt bloß noch stärker den Kopf.
"Du hast mich angelogen und ich habe dir geglaubt."
Ich ziehe an meinem Arm, den Liam dieses Mal sogar loslässt.
"Da läuft aber nichts", versichere ich ihm.
Man, wenn der bloß wüsste, dass Liam und ich nicht mal Freunde sind, sondern bloß zwei Personen, die... ja, was sind wir denn?
Langsam laufe ich auf Lukas zu, während er versucht, seine Enttäuschung zu verdecken.
Ich sehe sogar fünfzehn Meter von ihm entfernt, dass seine blauen Augen einen feuchten Schimmer angenommen haben.
"Ich will dich nicht mehr sehen", sagt Lukas und dreht sich um.
"Lukas! Warte, bitte", flehe ich und er bleibt wirklich stehen.
Als er sich umdreht, spiegelt sich nur noch Wut in seinen Augen wieder.
"Wie lange soll ich mich noch von dir verarschen lassen? Ich habe keine Lust mehr, von dir blöd angemacht zu werden, wenn ich dir bloß helfen will. Und ich habe auch keine Lust mehr, bloß ein Ersatz zu sein, falls er nichts mehr von dir will."
Er zeigt mit einem Finger auf Liam, bevor er sich umdreht und mit Kessy davon läuft.
Ich schaue ihm nach und merke erst durch seine Worte, wie blöd ich mich ihm gegenüber verhalten habe und was ich alles falsch gemacht habe. Und eins weiß ich sicher. Lukas verzeiht einem gerne, aber dieses Mal wird er es nicht machen. Ich habe ihn tief im Herz verletzt und gekränkt und das wird er mir nicht so schnell verzeihen.
Auch als er schon längst nicht mehr zu sehen ist, schaue ich in die Richtung, in die er gelaufen ist. Eine Träne verlässt mein Auge, aber ich wische sie nicht weg.

Ich habe so viel falsch gemacht. Mein ganzes Leben ist aus der richtigen Spur geraten und scheint alles zu zerstören.
Mein bester Freund wird mir nicht verzeihen!
Wenn mir jemand das vor ein paar Monaten gesagt hätte, hätte ich ihn ausgelacht und gesagt, dass Lukas mir bis jetzt immer verziehen hat, wenn ich etwas Blödes gemacht habe, warum also einmal nicht?
Ich habe nie angenommen, dass ich ihn so stark verletzen kann. Dass er vielleicht schon mehr als Freundschaft zwischen uns haben will und auch schon mehr für mich empfindet.
Ich war so blind und zu beschäftigt mit meinen Problemen, dass ich Lukas vergessen habe und das, was wir irgendwann sein werden. Hätte ich ihn nur vergessen, wäre es noch relativ harmlos, aber ich musste ihn ja auch noch anlügen.
Lautlos weine ich und wünsche mir, dass ich die Zeit zurückdrehen könnte. Wie gerne hätte ich mein altes Leben zurück.

Auf einmal legen sich Arme von hinten um mich und Liam versucht mit mir zu reden. Aber ich nehme seine Worte nicht wahr, weil ich in meinen Gedanken vertieft bin.
Nur schwer kann ich aufhören zu weinen.
Dann löse ich mich aus Liams Armen und drehe mich zu ihm um.
"... soll ich mit ihm reden und das Missgeschick klären?", fragt Liam.
Ich schüttele den Kopf.
"Das muss ich regeln", sage ich, weiß aber, dass das schwer wird.
"Wenn du meinst", murmelt Liam und zuckt mit den Schultern.
"Ich gehe dann besser mal", sage ich und laufe weg.
"Grace?"
Ich drehe mich um.
"Es tut mir leid." Liam schiebt die Hände in seine Jackentasche. "Wäre ich nicht dagewesen, wäre das nicht passiert."
Da hat er Recht.
Statt etwas zu sagen, drehe ich mich um und laufe zügig nach Hause.

Mein Vater liegt in seinem Bett und schnarcht und auch ich lege mich gleich schlafen.
Aber wirklich gut schlafe ich nicht. Immer wieder wache ich auf.
Total fertig von der Nacht mache ich mich dann am nächsten Tag in die Schule auf.
Ich will gerade in das Gebäude, als Renée mich zur Seite zieht.

"Hey. Hab von der Sache mit Jack gehört", sagt sie und grinst. "Ich hätte mir ja denken können, dass du da etwas machen willst."
Ich zucke mit den Schultern. Jack ist mir gerade echt egal. Das einzige, was heute wichtig ist, ist, dass ich mit Lukas rede.
"Natürlich habe ich auch von Lukas heldenhaftem Eingreifen gehört. Er ist sooo süß!", sagt sie und klatscht zweimal in die Hände.
Ich verziehe meinen Mund zu einem schmalen Strich. Sie weiß ja auch nicht von gestern Abend.
"Und damit du nicht als Mädchen dastehst, das Hilfe benötigt hat, habe ich das Ganze gestern schon anders erzählt und ein paar Gerüchte verbreitet."
Sie lacht und schaut mich begeistert an.
"Jetzt sag", fordere ich sie neugierig auf.
"Das Ganze ist durch eine Wette entstanden. Da ihr beide größte Feinde seid, habt ihr nicht als Geschenk für den Gewinner mit Schokolade rumgemacht, sondern mit drei ordentlichen Schlägen."
"Wow, deine Kreativität ist echt traumhaft."
Renée lacht erneut und meine Besorgnis wegen dem Gespräch mit Lukas stellt sich durch ihr ansteckendes Lachen zuerst mal in den Hintergrund.
"So was erzähle ich doch gerne herum. Okay, aber jetzt zu der Wette. Du hast gewonnen und wolltest ihm dann vor der ganzen Schule ein paar knallen. Er wollte das natürlich nicht und wollte zurückschlagen, also hätte er die Wette zerstört, nur weil er nicht geschlagen werden wollte. Und ja, dann ist Lukas, der von der Wette gewusst hat, sauer geworden und wollte halt bloß Jacks Schlag verhindern."

"Was würde ich bloß ohne dich machen?", frage ich und bin so froh, dass Renée gleich danach gehandelt hat und Jack jetzt als Feigling dasteht.
"Kann ich dich fragen. Wer hätte ihm dann gezeigt, dass er ein Idiot ist?"
Renée zieht mich in die Schule und direkt zu den Schließfächern.
Während Renée in den Physikraum läuft, krame ich noch mein Mathebuch raus, als plötzlich ein Mädchen neben mir leicht gegen Renées Schließfach gedrückt wird.
Mein Blick huscht von dem Mädchen zu dem Jungen, der sie gegen das Schließfach drückt und seine Lippen auf ihre drückt. Diesen Jungen würde ich unter jedem Jungen Onarias erkennen. Lukas. Mein bester Freund küsst ein Mädchen direkt vor meinen Augen! Und da soll mir mal jemand sagen, dass das nicht Absicht ist!

Aber ich wäre nun mal nicht ich, wenn ich in so einer Situation nichts machen würde. Manche Mädchen, oder sogar die meisten, wären weinend aus dem Gebäude gerannt, aber Lukas sollte mich besser kennen. Weil wenn ich eins weiß, dann das so eine Nummer nichts bei mir bewirkt.
Ich verdrehe genervt die Augen, bevor ich die Schließfachtür weiteraufdrücke und ganz zufällig beiden einen Schlag mit der Tür verpasse.

Die zehnte GabeWhere stories live. Discover now