Kapitel 50

8.4K 812 41
                                    

Fassunglos starre ich den 'Bösen' an, während alle Blicke auf mir liegen.
Was ist denn hier gerade los? Ich schaue zu Liam und seine Augen fixieren mich.
Was ist los?, frage ich ihn über meine Gedanken.
Liam zeigt keinerlei Reaktion, als er mir ganz ruhig antwortet.
Bei dir wirkt es nicht. Tu einfach so, als würde es wirken und warte am Meer auf mich. Ich komme nach.
Von wegen mich kann man kontrollieren wie jeden anderen auch!
Langsam setze ich einen Fuß vor den anderen und verlasse den Raum.
Ich verstecke mich hinter einem kleinen Felsen und hoffe einfach nur, dass man mich nicht sehen kann.
Nach wenigen Minuten nähern sich Schritte und ich blicke um den Felsen.
Aber es ist nur Liam.
Kaum sitzt er neben mir, bombardiere ich ihn mit Fragen.

"Wieso wirkt das Zeug bei mir nicht? Was soll ich jetzt machen? Und wie..."
"Grace! Ganz ruhig.", unterbricht er mich. "Du tust jetzt einfach das, was ich dir sage."
Ich verschränke die Arme vor der Brust.
"Nicht unbedingt.", zische ich leise und Liam grinst.
"Du bist so süß, wenn du wütend bist", murmelt er.
"Ich bin nicht wütend!", protestiere ich.
"Doch, aber das ist nicht wichtig", sagt Liam und sieht mir in die Augen. "Ich will, dass du jetzt gehst."
"Und dann? Ich würde verfolgt werden", stelle ich fest.
"Ganz einfach. Ich werde dich begleiten und wir werden Verstärkung holen. Dann können wir zusammen den 'Bösen' besiegen."
"Nicht schlecht, aber..." ich stocke "woher weiß ich, dass du auf meiner Seite bist?"

Liam grinst.
"Brauchst du einen Beweis?"
Er beugt sich zu mir und ich weiche reflexartig zurück.
Liams Augen weiten sich und er lehnt sich wieder nach hinten.
"Nein danke.", zische ich und will aufstehen, als mir einfällt, dass man mich dann sehen würde.
Nach ein paar Sekunden Stille höre ich Schritte und Stimmen. Sie rufen nach Liam.

Liam dreht sein Gesicht, nachdem er um den Felsen geschaut hat, zu mir und packt meine Hand. Ich jedoch will seine Hand aus meiner ziehen.
"Nein!", flüstert Liam und ich halte still.
Dann holt er einmal Luft und springt auf.
Ich will ihm schon zuzischen, was das soll, als er mich mit sich zieht und zum Meer rennt.
Die Stimmen werden lauter, aber ich schaue nicht zurück. Mein Blick wechselt zwischen dem Sand, der unter meinen Füßen aufwirbelt und dem Meer hin und her.

Liam erreicht vor mir das Wasser und ich weiß, was zu tun ist. Ich habe mich gerade mit dem Wasser verbunden, als ein Schuss ertönt und ein unaufhaltsamer Schmerz in meinem Rücken explodiert.
Ich schreie und winde mich, aber die Schmerzen hören nicht auf.
Ich kippe um, jedoch packen kräftige Arme mich und ziehen mich in das Wasser.
Vor lauter Schmerzen verschwimmt mein Blick. Ich höre ein seltsames Piepsen, das durch meinen Kopf dröhnt und für Kopfschmerzen sorgt.
"Grace, du bist im Wasser. Es kann dir helfen.", höre ich eine Stimme.

Ich will aber nicht! Ich will, dass diese Schmerzen verschwinden!
Ich will nichts machen!
Die Arme heben mich fest und ich merke, wie ich mich langsam entspanne und die Schmerzen überdeckt werden.
Nach wenigen Sekunden kann ich wieder sehen, aber das Piepsen bleibt.

Ich blicke hoch in den fast wolkenlosen Himmel, als Liam sich über mich beugt.
"Grace? Hörst du mich?"
Ich will etwas sagen, aber ich kann mich nicht mehr bewegen. Ich bin regelrecht erstarrt.
"Du musst deine Gabe beauftragen, dass sie uns zurück bringt. Also zurück nach Hause.", erklärt Liam mir.

Nach Hause!, befehle ich meiner ursprünglichen Gabe.
Ich spüre keine Veränderung, außer das Liam nach ein paar Sekunden meine Hand nimmt und wir in einen Strudel gerissen werden.
Wir wirbeln durch das Meer und sind viel schneller als ich überhaupt blinzeln kann. Denn keine paar Sekunden später werden wir an einen Strand gespült.
Ich krümme mich durch meine Schmerzen zusammen, während ich meinen Kopf anhebe und direkt auf die Mauer schaue.
Seufzend lege ich ihn wieder ab, aber Liam will mir keine Ruhe gönnen.
"Komm, Grace, weiter!", sagt er und hebt mich hoch. Ich schaue in den Himmel, der sich langsam rot färbt, während die Sonne untergeht.
Rot wie mein Blut, das immer noch aus meiner Wunde fließt.
Als Liam sich der Mauer nähert, überholen mich die Schmerzen und ich werde ohnmächtig.

"Ja, bestimmt! Aber so wie ich das jetzt gehört habe, ist sie nicht freiwillig mitgegangen!", brüllt eine Stimme und ich runzele die Stirn, weil es so laut ist.
Langsam öffne ich die Augen und versuche meine Orientierung wiederzufinden.
Zuerst sehe ich Renée, die sich über mich gebeugt hat, aber gerade nach hinten schaut.
"Könnt ihr Idioten auch mal leiser sein? Kein Wunder, dass ihr Vater uns rausgeworfen hat.", zischt sie und mir tut es echt gut, ihre Stimme wiederzuhören.
Ich strecke meine Hand nach ihrem Arm aus und Renée zuckt zusammen, als ich ihn berühre. Sofort dreht sie sich zu mir um und bringt ein Lächeln aufs Gesicht.
"Oh mein Gott, Grace.", flüstert sie und streckt eine Hand nach mir aus, während ihr eine Träne über die Wange fließt.
Vorsichtig streicht sie mir über die Haare und lässt ihr Hand dann auf meiner Schulter liegen.

Langsam drehe ich meinen Kopf um zu erkennen, wo ich bin und was eigentlich los ist.
Sofort fällt mir Renées Schreibtisch ins Auge und ihr Bett, auf dem ich liege.
Keine sieben Meter vom Bett entfernt steht Liam und streitet sich mit Lukas.
Sofort breitet sich ein unbeschreiblich schönes Gefühl in mir aus. Ich weiß aber nicht, wegen wem von den Beiden.

"Ich habe es dir jetzt schon ungefähr tausend Mal erklärt!", zischt Liam.
"Ich kann aber einfach nicht verstehen, wieso man so etwas macht", antwortet Lukas ein wenig bissig. "Ich glaube ja, dass du sie bloß für dich wolltest und nicht akzeptiert hast, dass sie mir ziemlich sicher gehört."
Ich gehöre niemandem, denke ich, während Liams Hände sich zu Fäusten ballen.

Durch Renées Kopfschütteln zieht sie wieder meine Aufmerksamkeit auf sich.
"So geht das jetzt schon mehrere Stunden. Diese Idioten sind so furchtbar!", murmelt sie, als Liam und Lukas aufeinander losgehen.
Ich will mich aufsetzen, aber Renée drückt mich zurück auf das Bett.
"Nicht bewegen", sagt sie. "Die Kugel wurde schon entfernt von dem nächstbesten Arzt. Er hat gesagt, dass du dich so wenig wie möglich bewegen sollst."
Renée wischt sich eine Träne weg.
"Ach so und im Krankenhaus wurden wir wieder weggeschickt, weil sie doch ohne Karte nicht genommen haben und wir nicht wussten, wo du sie hast. Ich habe der dummen Frau an der Rezeption dann mal schön meine Meinung gesagt, aber danach hat sie uns erst recht nicht reingelassen."
Ich lächele, aber ein Knall entfernt mir wieder das Lächeln aus dem Gesicht.
Ich schaue, genauso wie Renée, zu Liam und Lukas, die sich gegenseitig verprügeln.

"Die sind so behindert!", murmelt Renée und ich stehe auf. Sofort schießt ein Schmerz durch meinen Rücken und ich presse die Lippen aufeinander, um nicht laut zu schreien. Aber ein Wimmern dringt doch aus meinem Mund.
Renée drückt mich sofort wieder auf das Bett und Liam und Lukas unterbrechen ihren mittlerweile brutalen Streit.
Beide Augenpaare schauen zu mir, dann lassen sie voneinander ab und kommen zu mir gestürzt.

Die zehnte GabeOn viuen les histories. Descobreix ara