Kapitel 48

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Mir ist klar, dass ich alleine weder etwas zerstören kann, noch den 'Bösen' umbringen kann. Dazu brauche ich Unterstützung und ich weiß auch schon genau wen.

Der Wache packt mich am Arm und ich lasse mich von ihm mitziehen, bis wir zu der Treppe kommen, die nach unten zu den Zellen führt.
Ich schaue zum Wasser und auch kurz in den Kopf des Wachen, der mich festhält, aber er hält mich für ganz vernünftig und hat auch keinerlei Verdacht, dass ich jetzt abhauen will.
Naja, nicht jetzt, aber wenn ich in der Zelle bin.

Der Wache schubst mich die Treppe runter und ich fliege fast über meine Beine, kann aber im letzten Moment verhindern, dass ich auf den Boden fliege.
Kaum stehe ich wieder ganz normal, zieht mich der Wache auch schon weiter durch ein paar Gänge, bevor es wieder runtergeht und es immer dunkler wird.
Sofort fällt mir Arianes Zelle auf, in der sie an der Wand sitzt und grinst, als sie mich sieht.

Der Wache schließt meine Zelle auf und will mich anketten.
Ich jedoch ramme ihm meinen Ellenbogen ins Gesicht und trete ihn kräftig mit meinem rechten Bein.
Ariane reagiert sofort und sprengt ihr Fessel in tausend Teile und verbiegt durch die Wärme des Feuers die Gitterstäbe der Zelle.
Als mich der Wache an den Haaren packt und mir ins Gesicht schlägt, schlägt Ariane ihm dafür kräftig in den Bauch, weshalb er kurz aufkeucht.
Diese unaufmerksame Sekunde benutze ich, um mich von ihm zu befreien, als Ariane schon wieder zuschlägt.
Der Wache taumelt kurz und ich nehme ein wenig Anlauf und springe von hinten auf ihn drauf. Dann schlinge ich meine Arme um seinen Hals und schneide ihm seine Möglichkeit zu atmen ab.

Seine Augen drehen sich nach ein paar Sekunden nach oben, bevor Ariane ihm einen Schlag verpasst und der Wache umkippt, aber noch ein lautstarkes "Hilfe!" rausbekommt.

Ariane schaut mich begeistert an und verschwendet dadurch wertvolle Sekunden.
Ich packe sie am Handgelenk und ziehe sie aus der Zelle zur Treppe.
Jedoch ertönen von oben schon Schritte, die die Treppe runtereilen.
"Scheiße!", zische ich und Ariane schaut sich nach einem Fluchtweg um, genauso wie ich.
Doch hier ist nichts, wodurch wir nach draußen kommen können.

Ich drehe meinen Kopf panisch nach allen Seiten, bis ich Ariane auf das Fenster aufmerksam mache.
Bevor sie mit ihrer Gabe damit etwas machen kann, stelle ich eine Verbindung zum Meer her und bitte das Wasser die Fensterscheibe kaputt zu machen.
Keine Sekunde später schießt ein gewaltiger Strahl durch die Scheibe und das Glas zerspringt.
Ich halte mir schützend eine Hand vors Gesicht, aber Ariane rennt schon zum Fenster.
Ich helfe ihr durch das Fenster, das echt hoch ist, zu klettern und stoße sie noch mit aller Kraft durch das Fenster, als Geschrei anfängt und mehrere Wachen und auch Liam angerannt kommen.

Ich schaue zu Ariane, die mir ihre Hand entgegen streckt und mir auch hochhelfen will.
Gerade will ich ihre Hand packen, als alles vor mir verschwimmt.
Ein paar Sekunden ist alles schwarz, dann sehe ich auf einmal einen Wald. Aber ich sehe ihn nicht nur. Ich stehe direkt in ihm.

"Grace!", ertönt ein lauter Schrei. Unverwechselbar ist es Arianes Stimme.
Sie wiederholt ihren Schrei und ich drehe mich zu allen Seiten um, aber ich kann nichts außer großen Bäumen sehen.
Ihre Schreie werden immer lauter und dann spüre ich, wie Hände meine Arme packen, während Arianes Geschrei verstummt.
Die Hände kann ich zwar nicht sehen, aber ich spüre, wie Haut auf meine Haut langt und es mag nur ein Hauch davon sein, aber ich bin ganz sicher, dass es so ist.

Ich versuche das komische Gefühl der Hände loszuwerden und fahre mir über meine Arme.
Doch die Hände bleiben.
"Was ist hier los?", flüstere ich und wiederhole es als Schrei.

Und dann macht es wortwörtlich 'Klick' in meinem Kopf.
Das ist nicht real!
Ich werde in eine andere Welt gezogen, damit ich nicht flüchte.
Um mich von dieser Vermutung zu überzeugen, knie ich mich hin und greife in das Gras, das ich zwar nach meinen Augen her berühre, es aber nicht spüren kann. Da ist nur Luft.

Ich bin gerade wieder aufgestanden, als mich die Hände zurückziehen.
Wenn mich jetzt jemand so alleine hier sehen würde, würde er nur lachen.
Wie das wohl aussehen würde? Ich stehe in einem Wald und werde wortwörtlich gelenkt und das durch Hände, die ich nicht mal sehen kann!
Das wäre ein amüsanter Anblick.

Plötzlich lässt eine Hand meinen Arm los, hält mich aber stattdessen am Hals fest.
Mein Kopf wird leicht zur Seite gelegt und dann spüre ich einen kleinen Stich im Hals.
Der Wald verschwindet vor meinen Augen und ich falle ins Nichts.
Ich falle einfach, aber ich sehe nichts, ich rieche nichts und ich höre nichts.
Und dann werde ich ohnmächtig und das Nichts verschwindet.

Mit einem Ruck wache ich auf.
Ich öffne die Augen und muss ein paar Mal blinzeln, bis ich mich an die Helligkeit gewöhnt habe.
Sofort schaue ich mich in den Raum um.
Ein großes Bett, auf dem ich übrigens liege, ein Schreibtisch und ein Stuhl. Sonst nur Regale.
Und ich weiß auch gleich, in welchem Zimmer ich mich befinde.
Als Liam das Zimmer betritt, weiß ich, dass ich richtig liege.

Er schaut zu mir, sieht, dass ich wach bin und kommt zu mir.
"Wieso hast du das gemacht?", fragt Liam und setzt sich auf die Bettkante, während ich mich aufsetze.
"Was?", frage ich und stelle mich unwissend.
Liam verdreht die Augen.
"Die Flucht, die übrigens nicht geklappt hat."
Mist. Und Ariane? Hat sie es geschafft?
"Und wieso hast du mich entführt?", kontere ich bissig und Liam schaut auf den Boden.
"Es ging nicht anders", flüstert er.
"Na schön." Ich schlage die Decke zurück. "Das mit der Flucht ging nicht anders."
Ich will aufstehen, aber Liam drückt mich zurück auf das Bett.
"Grace, ich weiß, dass es total dämlich war und ich hätte auch andere Möglichkeiten gehabt, aber in dem Moment habe ich nur darauf gehört, was mein Auftrag ist." Liam sieht mir fest in die Augen. "Und ich habe mich entschuldigt", fügt er noch hinzu.
"Das ändert nichts mehr", zische ich.
"Ich weiß aber einfach nicht, was mich da gelenkt hat", murmelt Liam.
"Dann bist du selber Schuld!", sage ich und spüre Wut in mir brodeln. "Du bist zu schwach, dich selber zu kontrollieren. Und du wolltest mit Training geben!"
"Ich habe dir Training gegeben", verbessert Liam mich.
"Idiot", zische ich und Liam grinst.

Und in genau diesem Moment drehe ich durch.
Mein Blick wird finster und Liams Grinsen verschwindet.
In mir dringt eine enorme Macht durch und ich versuche so gut wie ich kann diese Kraft zurückzustoßen, aber sie ist mächtiger. Es ist eine Mischung aus Wut und meinen Gaben.
Ich kämpfe gegen die Kraft, aber ich bin zu schwach.
Schon von Anfang an ist klar, dass sie gewinnt.

Verdammt, was ist jetzt?
Liams Gedanke rettet mich für eine kleine Sekunde an die Oberfläche, aber die Kraft drängt mich wieder runter. Das ist, wie wenn man nicht schwimmen kann und versucht an der Oberfläche zu bleiben, nur das meine Gaben mich auch noch runterziehen.

Und dann nimmt die Kraft mich ganz ein. Ich gehe unter und kann nur noch zuschauen, was die Kraft mit mir macht.

Die zehnte GabeWhere stories live. Discover now