Kapitel 53

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Das Kratzen des Bleistiftes ertönt, als Ariane das Gebäude aufzeichnet.
"Was bringt uns das Gebäude?", frage ich und Ariane verdreht die Augen.
"Angriff von allen Seiten.", murmelt sie und nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee. Sie nummeriert ein paar Seiten und dreht das Blatt zu mir.
"Wir brauchen fünf Leute. Mit uns. Also eigentlich drei.", sagt sie und tippt auf die fünf Zahlen.
"Hättest du jemanden?", frage ich und Ariane schüttelt den Kopf.
"Ich war so lange weg, dass meine Freunde bestimmt schon glauben, dass ich tot bin."
"Okay, Lukas und Renée werden wahrscheinlich mitmachen."
Ariane lehnt sich nach hinten und schaut aus dem Fenster.
Kopfschüttelnd beugt sie sich keine drei Sekunden später wieder über die Skizze.
"Die zwei streitenden Chaoten da draußen?", fragt sie und zieht eine Augenbraue hoch. "Welche Gaben haben sie?"
"Telekinese und Renée kann sich von einem Ort zum Anderen zaubern."
Ariane schmunzelt. "Nicht schlecht."
Ich nicke und Ariane tippt mit ihrem Finger auf eine Nummer.
"Wer ist der oder die Fünfte?"
Ich überlege fieberhaft.
"Was wäre die beste Gabe für die Person?"
"Eins der vier Elemente? Was weiß ich. Alles ist gut. Wärme, Kälte, Nebel, Wetter, Licht-"
"Licht?", hake ich nach.
Ariane nickt.
"Steven hat Licht."
Ariane schenkt mir ein Lächeln.
"Na also, dann sind wir fünf.", sagt sie und wirft den Stift auf die Skizze.

"Warte, ich weiß nicht, ob Steven mitmachen würde.", gebe ich zu. Würde er sein Leben riskieren für unseren Plan? Für ein Mädchen, dass er im Krankenhaus kennengelernt hat? Für ein Mädchen, dass er nicht mehr als 24 Stunden gesehen hat?
"Warum nicht? Er kann ja Nummer fünf sein, also die Person, die alles überwacht. Ziemlich simpel, aber halt vom Dach aus."
"Was soll das aber?", frage ich und Ariane stellt die Tasse auf den Tisch.
"Wenn es nicht so klappen sollte, wie wir jetzt geplant haben, dann kommt er am Schlechtesten von da oben weg."

"Wie wir jetzt geplant haben? Ich weiß nicht, welcher Plan die Skizze enthält.", gebe ich zu und Ariane schiebt die Skizze zu mir.
Dann aufeinmal kommt ihr regelrecht ein Geistesblitz und sie kritzelt noch eine Nummer auf das Blatt.
"Hast du den Typ mit den grünen Augen...ne, wahrscheinlich nicht, aber...och komm, blöde Idee.", sagt sie und streicht Nummer 6 durch.
"Was ist mit ihm?", hake ich nach. "Bräuchten wir ihn auch? Dann ist ja gut, dass wir ihn hier haben."
Ariane klappt der Mund auf.
"Perfekt. Das ist es!", ruft sie und versucht vergeblich ihre Füße still zu halten.
"Schön, dass ich nicht weiß, was du meinst, also könntest du mir jetzt bitte mal deinen Plan erklären?"

Ariane nickt und schreibt Nummer 6 neben Nummer 4.
"Also...", fängt sie an und tippt auf Nummer 1, "...Nummer 1 fängt an und verkleidet sich als Wache. Am Besten dafür wäre ein Junge. Vielleicht dein Freund da draußen. Er soll sich ganz normal verhalten, wie ein Wache eben. Stündlich gibt es einen Wechsel der Wachen. Wenn er also um zwölf Uhr hier beginnen würde...", sagt sie und tippt auf den Platz und dann in einer Reihenfolge auf ein paar Zimmer, "...wäre er um vier Uhr im Thronsaal."
Ich nicke. Mehrere Stunden unter Feinden ist aber echt schwer.

"Gut. Nummer 2 und 3 arbeiten zusammen. Hier ist das Zimmer der Wachen.", erzählt sie weiter und tippt auf ein etwas abgelegenes Zimmer. "Alle, die dort drin sind müssen entweder ohnmächtig oder tot sein. Also einfach nicht mehr einsatzbereit. Damit wäre über die Hälfte der Wachen schon mal weg. Ach, die Nummern sollten auch auf den Toiletten nachschauen, nicht das sie ein paar vergessen und wir dann nachher von denen angegriffen werden."
Bis jetzt ein ganz logischer Plan.
"Nummer 4 besorgt eine Geisel, aber die haben wir ja schon jetzt.", sagt Ariane und kritzelt grüne Augen neben Nummer 4.
"Also falls etwas nicht so ganz klappt, können wir sie immer noch erpressen. Tja, Nummer 3 hat dann eine besondere Rolle. Nummer 2 hilft Nummer 3 die persönliche Dienerin des 'Bösen' zu schnappen und dann warten wir bloß noch darauf, bis unser lieber Herr Ich-bin-der-Böse Durst bekommt. Und Nummer 5 schaut, dass alles klappt und überwacht potenzielle andere Gefahren, die es aber eigentlich nicht mehr geben sollte, nachdem die Mehrheit der Wachen nicht mehr einsatzbereit ist."

"Was ist mit den Wachen im Thronsaal?", frage ich und Ariane zuckt die Schultern.
"Also entweder sie ergeben sich oder wir müssen sie bekämpfen. Wir haben ja dann Nummer 1, Nummer 3 und Nummer 2 in dem Zimmer. Also Nummer 2 ist nicht direkt in dem Zimmer, sondern hinter der großen Holztür. Die kennst du ja, oder? Da sollte dann auch Nummer 4 sein. Mit der Geisel."
Ich überlege lange und betrachte die Skizze.
"Gut.", sage ich nach einer Weile.
"Echt?", fragt Ariane fast quietschend. "Ich wollte schon immer mal einen Plan entwerfen."
"Jetzt fehlt nur noch die Nummerzuteilung.", sage ich.
"Wen schlägst du für was vor?"
"Steven ist Nummer 5, Liam Nummer 6."

"Was ist mit Liam?"
Ariane und ich zucken beide zusammen und drehen uns um.
Hinter uns stehen Lukas und Renée.
Begeistert betrachtet Renée die Skizze.
"Ich kapier die nicht.", sagt sie nach ein paar Sekunden und zeigt auf das Gebäude.
"Ja, wir müssens euch ja auch noch erklären.", sage ich und Renée setzt sich neben mich.
Ariane erzählt fasziniert von ihrem Plan, nur ein bisschen ausführlicher, damit Renée und Lukas ihn auch gut verstehen.
"...und wir haben uns gedacht, dass du Nummer 1 bist.", sagt Ariane an Lukas gerichtet.

"Nein!", ruft Renée und zeigt auf sich. "Ich will den Wachen spielen."
"Okay, ganz ruhig. Dazu brauchst du aber eine Menge Nerven. Vier Stunden unter Feinden ist nicht einfach.", bedenkt Ariane.
"Sie schafft das.", verteidige ich Renée.
"Okay, wer ist Nummer 2?", lenkt Lukas wieder auf den Plan.
"Du", sagt Ariane und zeigt auf Lukas. "Du arbeitest mit Nummer 3 zusammen und hilfst ihr."
Lukas nickt.
"Jetzt sind noch Nummer 3 und 4 übrig", murmelt Renée und schaut zwischen mir und Ariane hin und her.
"Wer will was sein?", fragt Lukas.
"Drei.", sagen Ariane und ich wie aus einem Mund.
"Okay, wir losen", sagt Renée und schnappt sich schon einen Stift.
"Grace, bitte lass mich den 'Bösen' umbringen", fleht Ariane mich an.
Bei ihrem bettelndem Blick kann man nicht nein sagen, also gebe ich nach, woraufhin sich Ariane zu mir beugt und mich stürmisch umarmt. "Danke. Du weißt gar nicht, wie gerne ich das mache."
Seufzend schaue ich mir Nummer 4 an.
"Und ich muss auf Liam aufpassen?"

Renée grinst und stößt mich in die Seite. "Ach, Grace, sieh es so: Das ist deine Chance, dich an ihm zu rächen."
Verwirrt schaue ich sie an und runzele die Stirn. Ich kann mir nicht erklären weshalb, aber der Gedanke daran mich an ihm zu rächen, bereitet mir Unbehagen.
"Na ganz einfach. Du machst dich an ihn ran und dann nehmen wir ihn als Geisel."

Die zehnte GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt