Kapitel 12

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Während dem Unterricht versucht Lukas mich aufzuheitern und hat es nach sechs Stunden sogar geschafft.
Eigentlich war der Unterricht diese Woche völlig unnötig, da weder er noch ich aufgepasst haben und das zeigt sich auch an unseren Noten.
Statt einer Eins, steht eine große rote Drei auf dem Blatt und auch Lukas sieht nicht begeistert von seiner Note aus.
Während die anderen alle noch eine Stunde Gabentraining haben, laufe ich zu der Schule der 'Normalen', um meinen letzten Tag hinter mich zu bringen.
Ich habe jeden Freitag eine Stunde früher wie alle anderen aus, da ich noch nicht eine Gabe habe und das Training daher für mich unnötig ist.

Meine Hand greift nach dem grauen Türgriff und wenige Sekunden später stehe ich auf dem leeren Gang und frage mich, ob die alle noch Unterricht haben, oder ob die Schule schon längst um ist.
Also laufe ich zum Hausmeisterraum und schaue mir meine Aufgabe für heute an.
'Tagesaufgabe: Mülleimer leeren und in jedem Klassenzimmer Kreide auffüllen.'

Super! Und das ganz alleine.
Zuerst arbeite ich draußen und leere die Mülleimer, da ich mir nicht sicher bin, ob die hier schon aushaben und ich will nicht in ein volles Klassenzimmer laufen und dann ausgelacht werden.
Nach einer Stunde bin ich damit fertig und beschließe, doch mal nachzuschauen.
Ganz vorsichtig öffne ich eine große blaue Tür und blicke in einen leeren und unordentlichen Raum.
Überall liegen Plakate rum, die Tafel ist nicht geputzt, der Boden voll mit Müll und Papier und die meisten Stühle nicht aufgestellt.
Aber das ist ja zum Glück nicht meine Aufgabe.
Schnell lege ich Kreide auf den Lehrerpult neben den Sitzplan, der auf jedem Lehrerpult festgeklebt ist und verfahre so bei den anderen Zimmern.
Bei einem der letzten Klassenzimmer fällt mein Blick auf den Sitzplan und bleibt daran hängen.

In der letzten Reihe steht Liam und daneben nur Mädchennamen. In der ganzen Reihe ist er der einzige Junge und ich spüre einen Stich in mir, auch wenn ich nicht weiß, warum.
Ich brauche über eine Minute, bis ich den Blick losreißen kann und das Zimmer verlasse.

Ich weiß echt nicht wieso, aber es stimmt mich nicht gerade in gute Laune, wenn ich weiß, dass Liam auch zu den Jungs gehört, die gerne Mädchen um sich haben. Bestimmt hat er sich vorgenommen, dass ich eine besondere Errungenschaft für ihn bin und jetzt kann ich mir erklären, wieso er mir gestern geholfen hat.
Ich bin bloß ein Ziel für ihn.

Traurig und wütend zugleich lege ich die übrig gebliebene Kreide wieder zurück, schnappe mir die Tasche und laufe zügig zu Renée. Ich weiß ja nicht, wie lange sie braucht, um mich zu schminken.
Kaum drücke ich auf die Klingel, öffnet Renée mir die Tür.
"Na endlich! Ich dachte du kommst gar nicht mehr", sagt sie mit einem großen Lächeln auf dem Gesicht und zieht mich am Handgelenk durch das große Haus in ihr Zimmer, wo sie mich auf einem Stuhl platziert.
Auf dem kleinen Holztisch vor mir liegen Unmengen an Schminke und ich bin echt schockiert, wie viel sie hat.

"Also, ich habe mir den ganzen Tag überlegt, was am besten zu dir passt, aber ich finde, dass du es dir selber raussuchen sollst."
Renée hält mir Blätter mit verschiedenen Bildern entgegen.
Verwirrt schaue ich von ihr zu den Blättern.
"Ist das nicht ein wenig zu übertrieben?"
Renée schaut mich geschockt an.
"Grace, ich weiß nicht ob das schon in deinem Gehirn ist oder nicht, aber du hast in drei Stunden ein Date mit dem besten Jungen der Schule!"
Mein Blick senkt sich auf die Bilder und ich bin echt überfordert.
"Gehts nicht einfach ganz normal?", frage ich sie.
"Das ist langweilig."
"Aber es muss nicht gleich übertrieben sein", sage ich und zeige auf die Bilder.
"Okay, okay. Du hast gewonnen", sagt Renée und räumt die Bilder zur Seite.
"Aber dafür darf ich deine Haare so machen, wie ich will."
Ich nicke.
"Gut. Dann zieh mal das Kleid an, damit ich weiß, was dazu passt."
Während Renée Haarspray und noch viele andere Sachen holt, schlüpfe ich schnell in das Kleid.
Sie kommt von ihrem Schlafzimmer wieder in dieses Zimmer und bleibt stehen.
"Wieso passt dir das Kleid so spitze? Ich habe keins, das mir richtig gut steht", motzt sie herum und stellt eine Kiste voller Haarsachen neben mir ab.

Ganz vorsichtig kämmt sie mir die Haare und geht dann mit noch vielen komischen Sachen auf meine Haare los, von denen ich nicht weiß, wie sie heißen.
Nach einer Stunde präsentiert sie mir ganz begeistert ihr Ergebnis.
Und ich staune nicht schlecht.
Ich bin nicht übertrieben geschminkt und meine Haare sind offen.
Renée hat Locken reingemacht und mir eine Art Pony gemacht und ich glaube zuerst, dass sie mir wirklich eins geschnitten hat, aber in Wirklichkeit hat sie den Rest der Strähne unter den anderen Haaren versteckt und dort mit Klammern befestigt, die genau meine Haarfarbe haben.

"Wow", ist alles, was ich dazu sagen kann.
"Ich weiß."
Renée strahlt wie ein kleines Kind.
"Wenn er dich jetzt nicht küsst, dann weiß ich auch nicht mehr weiter."
"Ich wollte letztes Mal nicht, dass er mich..."
"Ich weiß. Und bitte lass es dieses Mal zu. Ich will wissen, ob er gut küssen kann. Ich will einfach alles wissen", sagt Renée.
Mit diesen Worten drückt sie mir meine Tasche in die Hand und schiebt mich zur Tür.
"Wenn bis heute Mitternacht kein Anruf von dir kommt, dann bin ich mir sicher, dass ihr schon eng umschlungen im Bett liegt."
Ich verziehe das Gesicht zu einer Grimasse und schlage ihr leicht auf den Arm.
"Danke", sage ich ernst und drehe mich zu ihr um.
"Habe ich doch gerne gemacht."
"Du bist echt toll."
"Du auch."
Ich drehe mich um und laufe weg, als Renée mir noch hinterherruft, dass ich spitze aussehe.
Mit einem Lächeln, das mir niemand nehmen kann, laufe ich nach Hause.

Die zehnte GabeWhere stories live. Discover now