Kapitel 49

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Total außer Kontrolle greife ich Liam an und schleudere ihn gegen die Wand. So unvorbereitet wie er ist, kann er sich auch nicht dagegen wehren.
Ich schwinge meine Beine über den Bettrand und stürze mich auf Liam um ihm ein paar Mal kräftig ins Gesicht zu schlagen.
Dieser drückt mich von sich runter und stößt mich einen guten Meter von sich weg.
Ich rücke aber wieder nach vorne, während Liam mich anbrüllt, was das soll.

Ich will das doch auch nicht!, schreit mein untergrabenes Ich. Aber ich habe nicht mehr die Kontrolle über mich.
Irgendetwas hat mich eingenommen und macht mit meinem Körper, was es will.
Und schon wieder schießt meine Faust auf Liams Gesicht zu.
Dieser fängt sie geschickt ab und verdreht mir den Arm.
Ich öffne den Mund und schnappe nach Luft, da ich den Schmerz ganz normal spüre.

Sofort lässt Liam meinen Arm los, was bloß ein Fehler für ihn ist. Aber vermutlich hat er gemerkt, dass es mir wehtut.
Dafür bekommt er den Schmerz ab, da ich blitzschnell ein Buch aus dem Regal packe und damit auf ihn einschlage.
Zuerst hält Liam sich seine Hände abwehrend vor das Gesicht, aber nach ein paar Sekunden greift er nach meinem Fuß und reißt ihn mir vom Boden weg, sodass ich mit voller Wucht auf dem harten Boden lande.

Wütend stehe ich aber trotzdem auf, packe Liam am Nacken und drehe ihn um, während mein anderer Arm seinen Hals festklammert.
Mit dem einen Fuß zertrete ich die Scheibe und ich bestaune die Glasscherben, die auf den Boden fallen und dabei ein schönes Klirren von sich geben, während die Kraft Liam zu dem Fenster schiebt.

Kalter Wind vom Meer zieht direkt in das Zimmer und verbreitet eine Gänsehaut auf meiner Haut.
Liam steht jetzt direkt vor dem zersprungen Fenster und versucht meinem Griff zu entkommen. Aber sogar die Kraft ist stärker als er.
Und so kommt es, dass wir nicht die Aussicht geniesen, sondern die Kraft sich mit dem Wasser verbindet und Liam mit enormer Kraft aus dem Zimmer gezogen wird.
Er steuert direkt auf das dunkle Wasser zu, als er mitten in der Luft verharrt und einen Schutzschild um sich aufbaut.
Beeindruckt schaue ich zu, wie Liam sicher auf dem Boden aufkommt, während die Kraft noch wütender wird.
Aber anstatt sich weiter um Liam zu kümmern, stürze ich, also mein von der Kraft gelenkter Körper, aus dem Zimmer, direkt zu dem großen Raum, in dem auch der Thron des 'Bösen' steht zu.

Als ich mit Schwung die Tür aufreiße, wirbeln sogar für eine kleine Sekunde meine braunen Haare auf und ich blicke mich in dem Raum um.
Auf dem Thron sitzt niemand geringeres als der 'Böse' persönlich.
Er lehnt sich nach vorne und betrachtet mit rundem Rücken eine Karte, die ein Wache ihm hinhält.
Der 'Böse' schaut kurz hoch und macht eine Handbewegung, wo durch der Wache die Karte zusammenfaltet und aus dem Raum verschwindet.

"Grace, schön, dass du auch mal wieder wach bist", sagt er und lehnt sich zurück.
Die Betäubung hat ja echt lange gewirkt!
Gut, dass ich jetzt auch mal weiß, dass ich betäubt wurde.
Statt einer Antwort stürze ich mich regelrecht auf den 'Bösen', der sofort einen Schutzschild aufbaut.
Ich werde aber auch gleich von mehreren Wachen zurückgezogen.
Die drehen ja alle durch. Schon die siebte, die durch ihre Gabe hier durchdreht!
Na super, wenn ich jetzt für diesen Angriff in die Folterkammer gesteckt werde, dann werde ich die Schmerzen trotzdem spüren.

"Du kommst gerade passend. Ich wollte mit dir sprechen."
Ich stelle mich ein paar Meter von ihm weg.
"Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich nicht gerade darüber erfreut bin, dass Ariane die Flucht gelungen ist."
Na und? Ist ja dein Problem!, sage ich in Gedanken zu ihm.
Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.
"Natürlich ist das ein Problem! Und natürlich ist das auch ein Problem für mich. Aber wir alle wollen hier Onaria erobern, nicht nur ich."
Ich verdrehe die Augen.
"Sicher? Ich glaube, dass du sie mit irgendetwas auf deine Seite gezogen hast", erwidere ich, also eigentlich die Kraft.
Ich schaue bloß ganz gespannt zu und warte geradezu darauf, dass ich endlich in die Folterkammer gesteckt werde.
Ne, also ganz so ist es ja auch nicht. Immer noch versuche ich Kontrolle über meinen Körper zu bekommen, aber ich schaffe es noch nicht. Irgendwann muss die Kraft doch ausgenutzt oder müde sein!

"Das kann ich auch nicht verleugnen."
Ich schlucke. Liam wurde wahrscheinlich gegen seinen Willen auf die Seite des 'Bösen' gezogen, es sei denn er hat es freiwillig gemacht. So wie ich Liam aber kenne, hätte er bestimmt nicht ohne eine Drohung oder etwas desgleichen die Seiten gewechselt.

"Aber das ist ja auch unwichtig. Es geht jetzt nur darum, dass Ariane wieder hierher gebracht wird. Bei jedem von uns würde sie weglaufen, aber wenn jemand kommt, den sie mag und dem sie helfen würde, dann würde sie bestimmt schnell in eine Falle laufen. Und wer ist da besser geeignet als du?"
Der 'Böse' grinst mich an und die Kraft will sich schon wieder auf ihn stürzen, aber zwei Wachen heben mich schnell fest.

Mit schnellen Schritten betritt Liam den Raum und schaut sich in aller Seelenruhe um, bis sein Blick bei mir hängen bleibt.
"Was hast du mit ihr vor?", fragt Liam an den 'Bösen' gerichtet, schaut mir aber tief in die Augen.
"Ach, ich will sie nur auf unsere Seite bringen", kommt die Antwort und ich schrecke zusammen.
Der 'Böse' will, dass ich für ihn Ariane zurückbringe!
"Niemals!", zische ich und dränge mit einem Ruck die Kraft zurück. Mein Hass auf den 'Bösen' hat sich an die Oberfläche gearbeitet und die Kraft zurückgestoßen.
Ich habe wieder volle Kontrolle über meinen Körper.

"Sicher?", fragt der 'Böse' und grinst mich an, während ein Wache sich mir von hinten nähert.
Ich will mich umdrehen und sehen, warum der Wache mir so nah kommt, aber die zwei Wachen halten mich zu stark fest.
Und so spüre ich nach ein paar Sekunden Stille ein kleines Pieksen im Hals und realisiere, dass das Mittel ist, dass mich auf die Seite des 'Bösen' ziehen soll.
Ich trete wie wild um mich und versuche mich zu befreien, aber gegen zwei ausgewachsene Männer komme ich halt nicht an.

Ich warte reglos ein paar Sekunden, ob etwas passiert, aber ich werde nicht ohnmächtig oder spüre auch nicht irgendeine Art von Macht, die mich kontrolliert.
"Tja, Grace, du bist wie alle anderen auch so leicht zu steuern. Und jetzt hol mir Ariane!"

Die zehnte GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt