43.

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In Jakes Abwesenheit räumte ich meine Wohnung auf. Ausgerechnet heute, wo ich die Ablenkung mehr als gebrauchen könnte, hatte ich frei. Mia aber nicht und sie hielt mich halbstündlich auf dem Laufenden, wie schrecklich diese Touristen doch waren.

Ich putzte das Waschbecken in der Küche, räumte das Geschirr in die dafür vorgesehenen Schränke. Ich saugte die komplette Wohnung und bezog die Betten neu. Erst wollte ich die alten Bezüge einfach drauf lassen, aber sie waren verschwitzt und rochen nach Jake. Sollte er nicht zurückkommen, dann vernichtete ich den Beweis für seine Anwesenheit lieber gleich.

Meine Therapeutin hatte mir damals erklärt, dass ich ein Problem damit hatte, Menschen zu vertrauen - in Punkto 'bei mir zu bleiben'. Jake war der erste Junge, den ich an mich heran gelassen hatte, trotz der Zweifel, dass meine sexuelle Orientierung der Grund für meine Einsamkeit war.

Ich hatte in meiner Kindheit gelernt mich zu verschießen, da fremde Menschen mich nicht besser in ihre Familien aufgenommen hatten, wenn ich mich ihnen öffnete.
Und dann kam Jake und ich gab mich hin. Und er ließ mich fallen, er ließ mich zurück, allein, verlassen und innerlich leer gefegt.
Er war damals gegangen, weil ich ihm das Geld - die Möglichkeit, das Ticket raus - gegeben hatte. Ich tat es, weil ich Angst hatte ihn aufzuhalten, weil ich von Anfang an davon überzeugt war, dass eine Seele wie Jakes etwas Besseres wie mich verdient hat.

Und anstatt meine Selbstzweifel zu zerstreuen und bei mir zu bleiben, hatte er genau das gemacht, was ich von ihm wollte, was ich ihm feierlich zu Weihnachten geschenkt hatte; er verließ mich.

Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und ließ mich auf den Boden gleiten. Dort rollte ich mich zusammen und starrte vor mich hin. Wir hatten so viel Zeit verschenkt. Die Tränen sammelten sich in den Augenwinkeln, aber sie fielen nicht, sie liefen nicht über meine Wangen. Ich zwang mich dazu sie zurückzuhalten.
Mein Handy vibrierte und Mia ließ mich wissen, dass das Leben weiter ging.

Gerade zwei Italiener bedient.
Können die nicht wenigstens ein paar Vokabeln lernen, bevor sie in unsere Stadt kommen?!?!?!

Mia, beruhige dich.

ICH KANN NICHT!
Und außerdem hat mir dieses Ekel von Chef wieder gesagt, ich solle mir endlich meine Haare abschneiden lassen!

Wie lange musst du noch?

Zwei Stunden.

Die Arme. Ich legte mein Handy auf die Couch und lenkte mich weiter mit putzen ab. Jake rückte mehr und mehr in die Ferne meiner Gedankenwelt, während ich Staubsaugte und Fensterbänke abwischte.
Aber wo Jake nicht war, waren meine Eltern. Plötzlich musste ich mir vorstellen, wie sie aussahen, ob sie noch lebten, wo sie lebten. Ob sie noch an mich dachten oder hatten sie ihren Sohn Noah vergessen?

Diese Gedankengänge ließen sich nie ganz vertreiben. Sie waren ein Teil von mir. Manchmal dachte ich Monate nicht über sie nach und dann waren sie wieder da; Mom und Dad. Die zwei wichtigsten Menschen im Leben, die ich nie für mich hatte.

Ich war froh, als sich Jake wieder in den Vordergrund drängte. Ich saß vor dem Fernseher mit einem Bier und den Füßen auf dem kleinen Tisch.
Er klingelte an der Wohnungstür und ich sprang auf. Euphorie schoss in mir hoch. Er war zurückgekommen! Er war wirklich nur arbeiten. Ich riss die Tür auf und fiel ihm in die Arme.

Sie fingen mich auf und nahmen mich in Schutz vor der lauten Welt, die eben noch gedroht hatte, über mir zusammenzubrechen.
"Da bist du ja wieder."
Ich legte mein Kinn an seine Brust und schaute zu ihm auf, als wäre er mein Retter. Doch seine Augen waren trüb, er lächelte dennoch, aber ich bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte, dass etwas anders war.

Ich trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn. Jake senkte den Kopf und trat rasch ein. Ich wollte ihn zurückhalten, aber er war zu schnell.
"Hast du auch eins für mich?", fragte er mir kratziger Stimme und deutete auf das Bier auf dem Couchtisch.
"Klar."

Als ich es vor dem Älteren abstellte, hatte er sich bereits auf dem Sofa ausgestreckt.
"Wie war dein Tag?", versuchte ich es.
Jake wirkte abwesend.
"Okay."
Plötzlich redete er soviel wie ich.

Ich überlegte, ob ich weiter Fragen stellen sollte. Aber da roch ich es. Ein fremdes Parfum. Süßer als das, was Jake benutzte. Meine Augen weiteten sich und ich setzte mich mit kerzengeradem Kreuz auf, schaute ihn eindringlich von der Seite an, aber er schien es nicht zu bemerken. Seine blauen Augen klebten am flackernden Fernsehbild.

Meine Augen wanderten über seine Haare. Sie waren verwuschelt, fast so als hätte jemand seine Finger permanent durch sie fahrenlassen. Seine Augen waren klein, übermüdet, aber sie zeigten auch deutlich, dass er Alkohol konsumiert hatte.
Ich schluckte hart und blinzelte die Tränen beiseite, als ich einen roten Fleck unter seinem Halskragen bemerkte.

"Was ist das?"
Meine Finger hackten sich unter den teuren Stoff und zogen ihn beiseite. Ich ließ ihn los, schreckte zurück, als hätte ich mich an seiner fremd riechenden Haut verbrannt.
Seinen Hals, die Kuhle zwischen Schlüsselbein und Hals, die ich so sehr an ihm mochte, war von einem Knutschfleck markiert. Markiert.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich bis zur Tür gelaufen war, um Abstand zwischen Jake und mich zubringen.

Das süße Parfum war plötzlich überall. In jedem Winkel meiner Wohnung lauerte es auf mich und war mir bereits so tief in die Nase gekrochen, dass ich nichts anderes mehr riechen konnte.
Meine Hand wanderte an meinen Hals und drückte leicht zu. Ich schnürte mir selbst die Luft ab.

"Wo warst du? Bei deiner Freundin?"
Jake war inzwischen aufgestanden und baute sich vor mir auf. Ich wich zurück. Sein Pullover war völlig verrutscht und gab die Hälfte seiner muskulösen Schulter frei.
"Noah, es ist nicht das, wonach es aussieht!"
"Hast du hiervor wirklich nur die schlechten Liebesfilme geguckt?"
Ich warf die Arme in die Höhe und konnte nicht glauben, dass dieses Gespräch hier wirklich stattfand.

"Hör mir zu, Noah! Bitte! Bitte, ich -"
Seine blauen Augen wurden von Tränen geflutet, aber ich empfand nicht wie sonst Mitleid. In diesem Moment waren mir seine Gefühle völlig egal. Mir war auch egal, wie verloren er aussah.
"Nenne mir einen guten Grund, warum ich dir noch zuhören soll! Das da", ich deute auf seinen verdammten Hals, "sagt alles!"
"Du sollst die Wahrheit erfahren."

The Irish Boys {boyxboy} ✔Where stories live. Discover now