58.

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Und dann ... dann hatte er zugeschlagen. Einfach so. Oder vielleicht, weil er sauer war. Oder, weil er Jake nicht hergeben wollte. Vielleicht auch, weil er es nicht geschafft hatte, mich im Hotel einzuschüchtern.
Denn eins wusste ich, Henry war ein egozentrisches Arschloch. Und zwar von der schlimmsten Sorte. Offensichtlich so schlimm, dass er Gewalt anwandte.

Mia verstand schnell, womit Jake sich Geld dazu verdiente. Sie war schockiert, das sah ich ihr an. Ich kannte sie lang genug, um zu wissen, dass sie zeitweise am liebsten aufgestanden und gegangen wäre.
Und ich wollte am liebsten nur noch weinen. Meine Augen waren auf Jakes geschwollenes Gesicht fixiert. Wenn ich nur ein wenig mehr Muskelmasse hätte, würde ich diesem Wixser Henry einen Besuch abstatten und ihm das Gleiche antun.

Seit einer Weile sitzen wir nun schon schweigend um den Tisch herum, vor uns die halbleeren Teller.
Ich fuhr mit dem Daumen über das braune Glas und versuchte an etwas anderes zu denken, an irgendetwas. Selbst die Atemübungen für zwischendurch, die mir meine Therapeutin immer nahegelegt hatte, schien ich vergessen zu haben.
Mia griff plötzlich nach meiner Hand.

"Ich glaube, ich sollte jetzt gehen", flüsterte sie.
Ich brachte nicht viel mehr als ein Nicken zustande. Noah hatte mal wieder eine Idee gehabt! Noah musste mal wieder enttäuscht werden! Denn immer, wenn sich dieser Depp Noah etwas Schönes überlegte oder sich auf etwas freute, wurde es im Keim erstickt.
Tränen brannten in meinen Augen, als ich meiner Freundin dabei zusah, wie sie sich im Flur ihre Jacke überwarf.

"Nun geh ihr schon nach, ich warte", riss mich Jake aus den Gedanken.
Fragend sah ich zu ihm auf und er nickte mir zu.
Mia hatte schon die Türklinke zur Wohnungstür in der Hand, als ich sie stoppte.
"Es tut mir so leid, Mia. Das hier ... Das hier sollte ein schöner Abend werden. Du solltest Jake endlich richtig kennenlernen und dann ... dann geht wieder alles den Bach runter. Es war eine blöde Idee, ich wollte dir nicht den Abend versauen, es tut mir -"

"Noah, halt die Klappe", waren ihre einzigen Worte, bevor sie mich in seine lange Umarmung zog.
Sie roch nach Bratfett und einem billigen Parfum. Sie roch nach Mia. Und manchmal vergaß ich, dass ich sie in meinem Leben hatte.
"Tut mir leid."
Als Antwort, schlug sie mir auf den Rücken.

Kurz bevor sie ging, sagte sie noch: "Ich hoffe, du weißt, dass ich euch nicht verurteile. Ich weiß, wie scheiße das Leben manchmal sein kann und das man eben manchmal die falschen Entscheidungen trifft. Wir holen das hier nach, wenn es ihm besser geht."

Jake hatte bereits den Tisch abgeräumt und saß auf dem kleinen Sofa. An seiner Nase klebte immer noch Blut, aber er schien nicht die Absicht zu haben, es sich abzuwaschen.
Ich berührte seine Schulter und er zuckte zusammen. Meine Hand entfernte sich schnell, ich entfernte mich. Ich verstand, dass er keine Nähe wollte. Doch ich verstand falsch. Gerade in diesem Moment brauchte mich Jake mehr denn je. Aber ich blieb auf Abstand, vielleicht aus dem einfachen Grund, weil ich die Nähe nicht ertragen konnte.

Seinen Körper zu berühren, bedeutete die blauen Flecken zu sehen, die Blutergüsse, sein blaues Auge. Und das alles erinnerte mich daran, dass dort draußen in der Welt Menschen wie Henry waren, die Menschen wie Jake schamlos ausnutzten.
Wir redeten kaum. Weil wir nicht wussten, was wir sagen sollten. Weil ich den Mund nicht aufmachen konnte, ohne das Jake bemerkt hätte, wie nah ich den Tränen war.

Dann war es Nacht. Das Licht einer Straßenlaterne fand seinen üblichen Weg durch mein Fenster und erhellte den Boden vor meinem Bett. Jake lag neben mir. Er war wach, dass konnte ich spüren. Und ich befand mich schon eine halbe Ewigkeit hier, flach in die Matratze gepresst, starrte ich die Decke an und formulierte Sätze, mit denen ich ein Gespräch beginnen konnte.

"Jake? Bist du wach."
Ein Brummen.
"Ich ..."
Ich presste die Augen zusammen. Ich wusste nicht, wie ich weitermachen sollte.
"Das mit heute -"
"Gestern", unterbracht mich der Älter.

"Was?"
"Es ist nach Mitternacht."
"Oh."
Ich starrte wieder ins Leere.
"Ist doch egal. Was ich sagen will, ist, dass ich für dich da bin, dass du dich nicht vor mir zu schämen brauchst. Ich, ich - du bist nicht allein."

Ich lauschte der surrenden Stille. Unten im Treppenhaus knallte eine Tür, dann war es wieder still.
"Das weiß ich, Noah."
Jakes Stimme war so warm, wie die Sonnenstrahlen auf den Weiden hinter der Farm. Ich seufzte bei der Erinnerung an das saftige, grüne Gras und den endlosen Himmel.
Neben mir richtete sich Jakes bereite Statur auf.

Ich spürte seinen Blick auf mir und zog mir die Decke bis zum Hals. Dennoch fühlte ich mich nackt.
"Das war nicht das erste Mal, dass ich so behandelt wurde. Glaub mir, es tut mir seelisch nicht mal halb so sehr weh, wie der Gedanke, dass du mich jetzt für einen niedrigen Menschen hältst, für ein-"
Seine Stimme brach ab und ich setzte sofort an, um ihm vom Gegenteil zu überzeugen, aber er legte mir einen Finger an die Lippen.

"Lass mich ausreden. Ich wurde schon oft ... so behandelt. Wenn ich etwas nicht machen wollte, wenn ein Kunde zu weit ging und ich mich wehrte. Aber bitte, bitte lösch dieses Bild aus deinem Kopf, dass ich wie ein armes, kleines Opfer auf dem Boden kauere und weine. Noah, ich wehre mich, verdammt nochmal! Ich schlage zurück, ich lasse mich nicht misshandeln. Henry hat seine Lektion gelernt und ich bin raus, okay? Ich habe noch bis Ende des Monats, dann läuft mein Vertrag bei der Agentur aus. Und bis dahin nehme ich keine unmoralischen Angebote mehr an, auch danach nicht. Nie! Wieder! Versprochen."

Sein Finger zeichnete die Konturen meiner Lippen nach. Er verweilte kurz in der Kuhle über meinem Kinn, bevor er kurz in meinen Mund tauchte. Eine Gänsehaut überkam mich.
Ich wollte etwas sagen, aber Jake sorgte dafür, dass ich schwieg.

"Ich habe verstanden, dass du für mich da bist und ich habe keine Angst mehr, dass du mich wegstößt."
Er lachte auf. "Mein Kleiner ist zu einem stolzen, schwulen Mann geworden."

Er küsste meine Nasenspitze. Das Prickeln in meiner Brust breitete sich auf meinen gesamten Körper aus, während ich unter ihm lag und ihn gewähren ließ.
"Aber, eines muss ich dir sagen Jake. Ich muss es dir sagen, sonst werde ich noch verrückt!"

Auch wenn es im Zimmer dunkel war, bildete ich mir ein, seine blauen Augen vor mir aufblitzen zu sehen.
"Ich liebe dich."

***
Olla!
Ich muss zugeben, dass ich durch meine nicht ganz freiwillige Pause, etwas raus gekommen bin.
Trotzdem möchte ich euch für das tolle Feedback danken, für die Votes und einfach alles - dafür, dass ihr hier seid! Danke.

Ich glaube, ich habe es geschafft ein Buch zu erschaffen, dass man um ein Uhr nachts anfängt zu lesen und erst gegen vier Uhr morgens wieder aufhört...
~I see you 3 a.m. readers ♡

Eure Lisa xoxo

The Irish Boys {boyxboy} ✔Where stories live. Discover now