61.

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"Du wusstest davon?"
"Ja, seit einiger Zeit."
Ich warf die Hände theatralisch in die Höhe. "Wieso hast du mir nichts davon gesagt?!"
"Ich glaube, wir hatten andere Probleme. Es ergab sich nie der richtige Zeitpunkt."
Jake fuhr sich über das Gesicht. Ich seufzte.

Natürlich war Eddy nicht mein Vater, ich hatte kein wirkliches Recht über seinen Zustand aufgeklärt zu werden, aber dennoch hatte ich einige Zeit mit ihnen zusammen gelebt. In einer Zeit, in der Jake uns allen den Rücken gekehrt hatte.
"Hör zu, es tut mir leid. Aber ... ich -"
"Schon gut", unterbreche ich ihn schließlich.

Wir saßen in seinem Auto und hatten London bereits vor geraumer Zeit verlassen und fuhren Richtung Norden. Weder wir, noch Jakes Familie hatten das Geld für Flugtickets, als fiel uns die Entscheidung nicht schwer, mit dem Auto hoch nach Irland zu fahren. Wir würden mit einer Fähre übersetzten.
In den frühen Morgenstunden waren wir losgefahren, hatten alles stehen und liegen lassen und mittlerweile war die Welt um uns herum wieder hell. Ich war wahnsinnig nervös an den Ort zurückzukehren, an dem ich zum allerersten Mal in meinem Leben so etwas wie Heimatgefühle empfunden hatte.

Knapp zwei Jahre war es her, dass ich die grüne Weite Irlands vor meinen Augen hatte, die gute, klare Luft in meinen Lungen und die warme Sonne im Nacken.
Ich blickte herüber zu Jake, der das Steuer umklammerte. Es war deutlich zusehen, dass er nicht bereit war zurückzukehren. Vielleicht aus dem Grund, weil er sich geschworen hatte, die Farm nie wieder zu betreten, aber vielleicht auch, weil er seinen sterbenden Vater nicht in die Augen schauen wollte.

Sein kleiner Bruder Patrick musste den Hof übernehmen, wenn es Jake nicht tat. Patrick war jetzt erst zwanzig. Vielleicht war es auch das, was Jake schwer im Magen lag.
Ich ließ meine Hand beruhigend auf seinem Oberschenkel auf- und abgleiten, verfehlte aber meine Wirkung, denn Jake sagte mit zusammengepressten Zähnen: "Wenn du mich hier im Auto geil machen willst, ist das, glaube ich, keine so gute Idee."
Ich zog meine Hand zurück und legte sie betroffen in meinen Schoß.

Wir schwiegen bis wir auf einer Schnellstraße umgeben von Feldern in stockenden Verkehr kamen.
"Freust du dich wenigstens ein bisschen?", fragte Jake mich und schaltete einen Gang runter.
"Ich komme mir sehr unmoralisch vor, wenn ich jetzt ehrlich antworte, immerhin stirbt dein Vater ... Aber ja. Ich freue mich."

Auch wenn ich es mir nicht immer zugestand, ich vermisste Irland. London war toll, aber die Unterschiede zwischen diesen beiden Orten glichen Tag und Nacht.
Etwas in meiner Brust zog sich schmerzlich zusammen, wenn ich an die weite Landschaft da oben dachte.
Jake und ich hatten jeweils zwei Wochen Urlaub. Das musste reichen, um sich von Eddy Walsh zu verabschieden und die Formalitäten zu klären.

Jake schwieg. Seitdem der Anruf kam, redete er so viel wie ich. Plötzlich hatte ich ungewollt seine Rolle übernommen und versuchte ab und an das Schweigen zu durchbrechen, aber Jake hing seinen Gedanken nach.
Ich wüsste nicht, was ich getan hätte, wenn ich erfahren hätte, dass einer meiner Elternteile im Streben lag.

Jakes blonde Haare waren in seinem Nacken zu einem kleinen Zopf zusammengefasst. Wann auch immer mein Blick darauf fiel, musste ich unwillkürlich schmunzeln und den Impuls unterdrücken, danach zu greifen.
So legten wir Kilometer um Kilometer zurück. Unser Schweigen untermalt von Jakes Pop-Alben. Ab und an summte ich mit. Jake beobachtete mich dann immer von der Seite.

Mir wurde warm, wenn sein Blick auf mich fiel. Ich versuchte alles, um ihm zu zeigen, dass ich für ihn da war, wie auch er immer für mich dagewesen war.
Aber ich glaube, er wusste das. Er sagte mir sogar, dass er es wusste.

"Sagen wir deinen Eltern eigentlich, dass ..."
"Ich glaube, erstmal nicht. Wenn sich der Anlass ergibt."
Unwohl rutschte ich in meinem Sitz hin und her. Es war nicht so, dass ich ständige Bestätigung brauchte, aber gegenüber seinen Eltern - seiner Familie - hätte ich sie schon gerne gehabt.

Die Sonne schien. Es waren große, weiße Wolken am Himmel und auch wenn wir aus einem nicht schönen Anlass in den Norden fuhren, genoss ich die Fahrt.
Jakes eingefallene Augen ruhten auf der Straße, wenn er mich nicht gerade beobachtete und ich ihm ein schüchternes Lächeln schenkte.
Wir begaben uns an den Ort zurück, an dem für uns alles angefangen hatte. An dem ich endlich akzeptierte, wer ich war und wen ich liebte. Denn ja, ich liebte den Jungen neben mir, und zwar sehr.

***
Ich würde soooo gerne mal so einen Roadtrip machen ... seufzt

WER VON EUCH WÄRE JETZT GERNE HINTEN AUF DER RÜCKBANK IN JAKES AUTO?!?! :D

The Irish Boys {boyxboy} ✔Where stories live. Discover now