62.

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An der Tankstelle, an der wir vorhin gehalten hatten, konnte man bereits die Meeresluft riechen. Ich saß am Steuer und bog gerade in den Hafen ein. Jetzt erstreckte sich die Nordsee vor uns. Eine Fähre lag bereits aufragend im Wasser. Am Himmel kreisten Möwen.

Glücklich reihte ich uns in die kleine Autoschlange vor dem Schiff ein. Nachdem das Geräusch des Motors verklungen war, wendete ich mich Jakes verspanntem Gesicht zu.
"Du willst nicht zurück, oder?", fragte ich schließlich.
"Ja und nein."
Er kniff sich zwischen die Augen. "Ich meine, dass hier ist meine Heimat. Aber hier sind auch eine Menge Erinnerungen, die ich am liebsten vergessen würde."

Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter.
"Auch das mit uns?"
"Nein! Natürlich nicht das mit uns. Wenn ich wieder auf der Farm sein werde, werde ich ihre Vorwürfe hören und ich werde Schuld spüren, wenn ich in ihre Augen blicke."
Ich verstand.

"Aber vielleicht bist du ja auch derjenige, der Vorwürfe hört, weil du derjenige bist, der sie sich macht. Du hast Scheiße gebaut Jake und dein Geld auf unschöne Art und Weise verdient. Ich glaube, das wirfst du dir vor und deine Familie erinnert dich indirekt an deine falschen Entscheidungen."
Jake schaute mich ungläubig an.
"Seit wann hast du denn einen Master in Psychologie?"
Ich antwortete mit einem Lachen.

Als wir auf der Fähre kurz davor waren unser Auto zu verlassen, setzte ich noch einmal an: "Bitte versuch mit der Vergangenheit abzuschließen. Wir sind hier, zusammen. Und auch wenn deine Familie nicht die ist, die du dir wünscht ... Sie sind immer noch deine Familie und sie lieben dich. Auf ihre Art. Das weiß ich."
Der Junge mit den blauen Augen starrte mich eine Zeit lang an, dann nickte er.
Ich glaubte, Tränen auf seinen Wangen zu sehen, aber er stieg zu schnell aus, sodass ich mir nicht sicher sein konnte.

Der Wind hier am Wasser hatte aufgefrischt und erinnerte mich daran, dass wir noch weit entfernt vom Sommer waren. Von Landesinneren zogen graue Wolken auf. Ich schaute über mir in den Himmel, schloss die Augen und füllte meine Lungen mit der salzigen Luft.
Ich hörte die Wellen an den Bauch des Schiffes schwappen, als sich Jake zu mir beugte und mein Ohr zwischen seine Zähne nahm.
Erschrocken keuchte ich auf, wollte ihn von mir drücken, aber Jake war zu stark.

Er presste mich gegen das Auto. Seine Hand fand die nackte Haut unter dem Pullover und seine Zunge spaltete meine Lippen.
Der Himmel über wurde immer grauer, bald würden die ersten Regentropfen fallen.
Ich stöhnte in seinen Mund, als er an meinen Haaren zog und mich gegen das Metall drückte.
"Ich brauche dich jetzt, Noah", raunte er zwischen zwei Kämpfen unserer Zungen hervor.
"Jake wir können nicht - nicht hier."

Es kostete mich eine Menge an Überwindung ihn von mir zu schieben und ins Innere der Fähre zu ziehen. Mir war sein Hintergedanke klar. Sobald wir auf der Farm ankamen, konnten wir nicht mehr so übereinander herfallen. Und wir hatten uns in der letzten Zeit schon selten geliebt. Unsere Körper verlangten schmerzlich nach dem anderen, aber ich hatte keine Lust, wegen Erregung öffentlichen Ärgernis vom Schiff zu fliegen. Noch waren wir sehr nah an der Küste Englands.

~

Jake fuhr die restliche Strecke hoch in den Norden. Mittlerweile war es später Nachmittag und Jake und ich hatten seit fast dreizehn Stunden nicht mehr geschlafen.
Doch als die Landschaft um uns immer wilder wurde, war ich schlagartig wieder wach. Ich konnte beinahe das Gras unter meinen Füßen spüren und das Summen der Bienen hören.

Die Straßen wurden schmaler, kurviger und dann passierten wir die letzte große Stadt vor der kleinen, irischen Farm, zu der wir unterwegs waren.
Mein Herz hüpfte in meiner Brust, als ich die ersten Straßen und Häuser der Umgebung wiedererkannte.
Auch auf Jakes Lippen lag ein kleines, beinahe friedliches Lächeln.

Ich griff nach seiner linken Hand und drückte sie kurz. Gleich waren wir wieder zu Hause. Gleich waren die irischen Jungen wieder auf ihrer kleinen Farm.
So viel war in den letzten Jahren passiert und irgendwie war es traurig, dass ein baldiger Todesfall uns erst wieder hierher zurückführte.

Und dann waren wir da. Das kleine weiße Haupthaus war zuerst auf der Erhöhung zwischen den Wiesen zusehen.
Es sah noch genauso aus wie früher. Tränen traten in meine Augen und ich verspürte keinerlei Drang sie fortzuwischen.
Links vom Haus tauchte der kleine Schuppen auf. Eines der Fenster wurde vernagelt.
Und rechts konnte ich die Scheune und den alten Hühnerstall erkennen.

Ich jubelte auf, Jake lächelte mich kurz an, aber ich sah, dass er meine Freude nicht teilen konnte.
Er parkte das Auto vor dem Hof.
Ich schaute mich nach den Feldern und Wiesen um. Alles war bereits grün und begann zu wachsen. Allerdings stand keiner der Traktoren der Familie Walsh auf dem Hof. Hatten sie etwa noch nicht angefangen ihre Felder zu bestellen?

Mit einer sehr langsamen Bewegung stellte Jake das Radio aus. Ich beobachtete seinen langen Finger dabei, wie er sich in den Knopf presste.
Es wurde still. Der Hof lag einsam und beinahe verlassen vor uns.
Die Hühnerschar war verschwunden, dass Tor der Scheune wirkte verwittert und beim zweiten Hinsehen bemerkte ich, dass eine der Spulen vom Tor aus der Bahn gerutscht war.

Aber das Wohnhaus hatte seinen Charme für mich nicht verloren. Die Fenster wirkten einladend, die weißen Gardinen strahlten in der Abendsonne. Es war jedoch nicht zu verkennen, dass wesentlich mehr Dreck in den Ecken lag.
Als meine Augen wieder zu Jake glitten, zog mich dieser an sich und gab mir einen langen, verzweifelten Kuss.
Ich wusste, was er von mir erwartete; erstmal waren wir kein Paar mehr.

Wir lösten uns voneinander. Unser Atem ging schwer, Jake Lippen waren geschwollen, sein Blick glasig.
Wir starrten auf den Hof und die grünen Hügel dahinter, dann stiegen wir mit einer unsichtbaren Last auf den Schultern aus.
Die Luft hier draußen war noch viel klarer und frischer, als unten am Hafen. Ich schloss meine Augen und blieb noch eine Weile neben dem Auto stehen, während Jake bereits mit schweren Schritten auf das Haus zuging.

Meine Füße erklommen die kleine Treppe hoch zur Haustür, so wie sie es zum ersten Mal vor mehr als drei Jahren taten, und stiegen über Laub, Dreck und abgefallenen Putz.
Die kleine Farm schien stückweit sich selbst überlassen worden zu sein. Allerdings fehlten mit Jakes und meiner Abwesenheit zwei Arbeitskräfte und ich hatte vor drei Jahren am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, wenn nur eine Arbeitskraft ausfällt.

Jake sah mich eine Weile lang an, dann hob der die Hand und klopfte dreimal. Im Haus bliebt es still. Wir sahen uns an, ich lächelte, ein befriedigendes Gefühl in meinem Bauch. Ich war zu Hause.
Jemand kam die Treppe herunter. Jake entfernte sich mit einem kleinen Schritt nach rechts von mir.

Mary öffnete die Tür und das erste, was sie ausrief, war mein Name.
"Was machst du denn hier? Oh Junge, ich freue mich dich zu sehen!"
Sie schloss mich in ihre starken Arme und empfing mich in ihrer gewohnten Geborgenheit. Plötzlich war es so, als wären kaum mehr als eine paar Monate vergangen, in denen wir uns nicht gesehen hatten.

***

And we are back home <3!

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xoxo L.

The Irish Boys {boyxboy} ✔Where stories live. Discover now