Prolog

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Alec:

Liebe ist eine seltsame Sache.

Es gibt Leute, die behaupten, sie seien komplett zufrieden mit sich und ihrem Leben, auch ohne eine Person, die sie lieben und von der sie geliebt werden.

Ich war immer der, der wusste, dass irgendetwas in seinem Leben fehlt, aber nie wirklich, was dieses Etwas war.

Wie denn auch? Ich bin 20 Jahre alt. Wer kommt da schon auf die Idee, sich nach Liebe zu sehnen?

Irgendwann ändert sich das alles dann. Man beginnt, sich nicht mehr nach Liebe zu sehnen, sondern nach einer bestimmten Person.

Einer Person, die Gefühle in einem auslöst, von denen man keine Ahnung hatte, dass man dazu in der Lage ist, diese zu empfinden.

Man versteht, was andere damit meinen, wenn sie erzählen, dass sie total aufgeregt sind, wenn ihr Crush in der Nähe ist. Man kann dieses Flattern im Bauch nachvollziehen, das nur durch seinen Blick ausgelöst wird. Man erkennt sich selbst nicht wieder, wenn man bei ihm ist, weil man nie so sehr dazu in der Lage war, einfach mal alles abzulegen und nur man selbst zu sein.

Man lernt, was es bedeutet, wirklich zu vermissen. Man lernt Enttäuschung auf einer ganz anderen Ebene kennen. Man weint Tränen, die bis dahin niemals so schmerzhaft waren.

Ich bin gerade an einem Punkt, wo ich bereue. Bereue, diese Gefühle zugelassen zu haben.

Klar konnte ich nicht wissen, was mit ihm los ist, aber jetzt hinterher, fühle ich mich so, als hätte mir klar sein müssen, dass etwas mit ihm nicht stimmt.

Für alles habe ich Ausreden gefunden. Seine Art, sein Aussehen, sein Verhalten... Vielleicht habe ich die Wahrheit einfach verdrängt. Die Wahrheit, dass ich mich in einen Drogenabhängigen verliebt habe.

Ich hab noch nie mit jemandem darüber geredet.

Meine Freunde machen sich manchmal darüber lustig, weil sie sich einbilden zu wissen, was da zwischen Dave und mir war. 

Ich weiß, sie meinen es nicht böse, aber sie haben keine Ahnung, wie sehr sie mich dadurch verletzen und wie mich das alles mitnimmt.

Zwei Jahre geht es mir jetzt schon so.

Ich habe so viele Veränderungen durchgemacht, ich hab die Schule abgeschlossen, ich bin auf die Uni gegangen, ich habe neue Leute kennengelernt und so weiter, aber an meinen Gefühlen für Dave hat sich nichts geändert. Und das, obwohl ich ihn, seit er sich hat in die Klinik einweisen lassen, nicht mehr wiedergesehen habe.

Er durfte ein halbes Jahr lang keinen Kontakt zur Außenwelt haben, musste sein Handy abgeben und alles, das ihn irgendwie mit etwas außerhalb der Einrichtung verbinden kann. Das war seine Probezeit. Wenn man in dieser Zeit rückfällig wird oder etwas anstellt, wird man aus der Klinik geworfen und muss sich so dem Entzug alleine stellen. Die meisten, denen das passiert, sterben daran. Sie sehen keine Hoffnung mehr, denken es ist keiner da, der ihnen hilft, oder sie seien es nicht wert, dass ihnen geholfen wird.

Dave hat aber solange durchgehalten.

Nach 6 Monaten hat er die erste Kontaktaufnahme nach draußen machen dürfen. 

Er hat Noah angerufen.

Er hat ihm erzählt, wie schwer vor allem die ersten Wochen für ihn waren, aber dass er sich gut eingelebt hat. Er hat erzählt, welche Therapien er besucht und wie sehr es ihm hilft. Er hat erzählt, dass er ihn vermisst... Über mich hat er dabei kein Wort verloren.

Immer wieder habe ich gehofft, Dave meldet sich bei mir.

Dass sein erster Anruf nicht mir galt, war irgendwie klar, das verstehe ich, aber nach ein paar Monaten war ich dann langsam sehr enttäuscht, weil ich dachte, er hätte mich vergessen.

Ich war allgemein sehr unzufrieden mit meinem Leben und mir selbst. 

Die Hoffnung, Dave würde sich bei mir melden und ein bisschen mit mir plauschen – und wenn es nur über das Wetter ist – war wie ein kleiner Lichtstrahl in der Dunkelheit. Aber mit der Zeit ist dieser erloschen.

Einmal war ich zufällig gerade mit Noah und Cameron im Fitnessstudio, als Dave gerade angerufen hat. Lasst mich euch mal erzählen, wie das so abgelaufen ist:

„Das ist Dave!" Total aufgeregt rannte Noah zu seinem Handy, das er auf der Bank an der Seite des Raumes abgelegt hatte und nahm freudig ab. „Hallo, großer Bruder!"

Er strahlte dabei förmlich.

Cam stoppte sein Training und setzte sich zu Noah, um mitzuhören.

Ich stand dumm vor ihnen herum, weil ich nicht wusste, was ich jetzt machen sollte.

„Jaja, klar. Ich bin gerade trainieren." Noah unterhielt sich mit Dave, ich konnte nur Gesprächsfetzen aufschnappen. „Mit Cameron und Alec... Ja, er steht vor mir und guckt ganz seltsam" Noah musterte mich und zuckte dann mit den Schultern. „Ich glaube, er ist deprimiert, weil er fett geworden ist"

Wie immer, wenn ich sprachlos war, klappte mein Mund einfach auf und ich war wie eingefroren. Noah war so ein Arschloch.

„Ansonsten geht's ihm denke ich ganz gut. Er hat halt Schwierigkeiten, durch Türen durchzukommen und darf nicht mehr in Fahrstühlen fahren, weil die sonst abstürzen würden..."

„Noah!" Mein Schrei klang mehr wie ein Kreischen.

Noah begann zu lachen. „Ich mach doch nur Spaß, Dave weiß, dass ich das nicht ernst meine."

Klar, für ihn war es Spaß und ich bekam fast eine Panikattake.

Ich wollte nicht, dass Dave ein anderes Bild von mir bekam als zuvor. Ich hatte nämlich gedacht, er würde mich so mögen, aber da hatte ich mich wohl geirrt.

Es schien irgendetwas in meinem Frühstück gewesen zu sein, denn ich war ganz mutig und hielt Noah meine Hand hin. „Gib mir das Handy, ich will mit Dave reden"

Noah schaute mich überrascht an, hörte Dave zu, wie er irgendetwas sagte, nickte dann verstehend, meinte: „Mhm, bis dann, hab dich lieb", ehe er auflegte.

„Sorry, aber er musste zur Therapie. Nächstes Mal" Noah lächelte mich aufmunternd an.

Wir wussten alle, dass er nicht die Wahrheit sagte, aber dies einfach zu ignorieren, tat weniger weh, bildete ich mir ein.

Ich versuchte noch ein paar Mal, das Telefon zu bekommen, wenn Dave anrief, auch Zuhause. Selbst bei meinen Eltern meldete er sich, um zu fragen, wie es mit Amy lief.

Einmal hatte ich sogar abgenommen. Wollt ihr wissen, was er gesagt hat?

„Oh hei. Ich wollte eigentlich mit deinen Eltern reden... Aber so viel Zeit hab ich eh nicht, muss gleich los, also bis dann"

Unauffällig oder?

Was ich daran festgestellt habe? Er vermisst mich nicht halb so sehr wie ich ihn.

Er hat mir ja schon damals im Krankenhaus gesagt, ich soll ihn einfach vergessen. Ich dachte, er hat das gesagt, weil er mich vielleicht schützen wollte, aber heute denke ich anders darüber. Heute weiß ich, dass er meine Gefühle nie erwidert hat. Und wenn doch, dann nur, weil er high war.

Und das bringt mich, einen Jurastudenten, zu dem Entschluss, dass Liebe eine menschenunwürdige Ungerechtigkeit ist, die man abschaffen sollte.

Das Herz Der Dunkelheit (Manxman)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt