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Ken:

Ein weiterer Tag, an dem beinahe nichts passiert ist, ist fast um. Ich habe heute geputzt, war auch schon einkaufen und bin dann zu Alec.

Gerade schließe ich die Tür zu meiner Wohnung auf und wundere mich, warum ich mehrere Stimmen höre, genauso wie Geschirr klappern.

Im Esszimmer liefert sich mir ein bisher noch unbekanntes Bild. Isak sitzt mit mir Fremden und ziemlich alten Menschen am Tisch, sie haben was zu essen, trinken teuer aussehenden Wein und scheinen sich prächtig zu unterhalten.

Ich will nicht stören, nur kurz Bescheid geben, dass ich da bin und setze daher mein charmantestes Lächeln auf. „Guten Abend zusammen"

Plötzlich ist es still und alle sehen zu mir.

„Ach ist er das? Wir haben schon so viel von dir gehört, Junge, komm setz dich zu uns!"

Einer der drei Männer holt einen Stuhl, den sie auf die Seite geschoben haben und deutet an, dass ich mich daraufsetzen soll. Unsicher tue ich es.

Zum Glück befindet er sich neben Isak, sodass ich mich nicht ganz so ausgeliefert fühle.

„Beruhigt euch bitte, das ist nicht Alec, sondern Ken. Ein Freund von ihm... Wir teilen uns die Wohnung"

„Ach er ist so hübsch, da dachte ich doch glatt, er könnte nur mit dir verwandt sein", kichert eine blonde Frau mit viel zu viel Lippenstift hysterisch.

„Oh ja, gute Gene hat er sicherlich, aber nicht von mir", lächelt Isak, bevor er einen großen Schluck aus seinem Glas nimmt und mir auf die Schulter klopft. „Das sind meine Partner aus der Kanzlei und ihre Angetrauten."

Er beugt sich zu mir und flüstert. „Ich konnte sie nicht abwimmeln, tut mir leid"

Ich nicke bloß und lächle Isak beruhigend an.

„Jetzt gebt dem Jungen doch mal was zu essen!", beschwert sich eine andere Frau. Wie es aussieht haben sie sich etwas zu Essen bestellt und wollen mir jetzt die Reste servieren. Wie nett.

„Danke, ich hab schon gegessen. Ich muss auf meine Linie achten"

Isak schüttelt den Kopf, wirkt aber irgendwie erleichtert, dass ich jetzt da bin, weshalb ich das Vorhaben, auf mein Zimmer zu verschwinden, verwerfe.

Sie nehmen vorherige Gespräche wieder auf, während ich nur still zuhöre.

„Wirklich schade, dass dein Sohn nicht mit uns hier sitzt" Bedauernd schaut einer der Typen Isak an.

Dieser lächelt gefälscht. „Ja, weißt du, Bob, mein Junge geht seinen eigenen Weg. Hätten wichtige Revolutionäre zum Beispiel im Konflikt der Sklaverei oder der Schwulenbewegungen das nicht gemacht, wäre die Welt nicht so wie wir sie heute kennen"

Ich bin ernsthaft beeindruckt davon, was Isak da sagt. Er hat aber durchaus recht. Nur bin ich wohl der einzige, der das so sieht.

„Na ob das so schlecht wäre", lacht die blonde Tussi wieder und ihre Kollegen stimmen ihr mit ein und beginnen geschmacklose Witze über Minderheiten zu reißen, die mir das Gefühl geben, dass ich hier mehr als am falschen Ort bin.

„Entschuldigung" ich lache unsicher und halte sie somit von ihrem Gegackere auf. „ich verstehe nicht ganz, was daran so lustig sein soll."

Alle sehen mich ganz verdutzt an, so als hätte die Modepuppe plötzlich das Sprechen gelernt. Es schockiert mich, dass sich diese Menschen für gebildet und gerecht halten und es wagen, über so etwas zu lachen.

„Ist okay, Ken, lass es", flüstert Isak mir zu, aber ich ignoriere es.

„So wie ich das sehe, haben Sie großes Glück, gerade hier an diesem Tisch zu sitzen als heterosexuelle weiße Leute mit gutem Bildungsstand. Aber, dass Sie über so einen Kommentar lachen, lässt mich ernsthaft an ihrer Menschlichkeit zweifeln. In welcher Welt würden Sie denn gerne Leben? Eine Welt in der für jeden von Ihnen hier ein Dunkelhäutiger stehen würde, der sie von vorn bis hinten bedienen müsste? Ja, das klingt doch schön. Ihr Leben wäre um so vieles einfacher und teuer sind solche Sklaven ja auch nicht... Aber gerade von Leuten wie ihnen, die Vertreter der Gerechtigkeit sein sollen, hätte ich schon erwartet, dass sie wenigstens einmal daran denken, dass es immer zwei Seiten einer Medaille gibt. Denn auf der anderen Seite, die Seite, die Leute wie sie, Leute, die andere unterdrücken wollen, nicht sehen, stehen Menschen, die wie Tiere behandelt werden, ausgenutzt und ausgebeutet..."

„Ken, das reicht..." Isak will mich wieder dazu bringen den Mund zu halten wohl auch, weil er bemerkt, wie mich das mitnimmt, aber ich drücke ihn weg und rede weiter.

„Ja und diese Schwulen erst. Verbrennen sollte man sie. Die... die denken doch an nichts Anderes als ans Ficken und verteilen dann ihre Seuchen überall. Wie soll man sich denn noch sicher fühlen, wenn solche Leute frei herumlaufen dürfen oder? Ja und den Frauen schnappen sie die Männer weg und selbst sind sie ja die größten Tunten. Eine Schande diese Leute. Sowas geht ihnen da durch den Kopf oder?" Ich schnaube abfällig und stehe auf. „Sie sollten sich schämen. Jeder einzelne von ihnen. Und jetzt möchte ich sie bitten, meine Wohnung zu verlassen. Über ihre homophoben und rassistischen Äußerungen können sie vor der Tür auch noch lachen."

Keiner der anwesenden bewegt sich, was mich natürlich herausfordert. „Ach das gute Essen... es sieht so lecker aus. Es interessiert sie bestimmt, dass ich einen dreier auf diesem Tisch hatte. Ja, mit zwei Typen." Ich nicke und grinse dabei teuflisch. „Geil war das, wie die mich gefickt haben. Beide gleichzeitig. Da hat nicht nur der Tisch einiges aushalten müssen. Wer weiß, wenn Sie Glück haben, sitzt vielleicht noch einer von ihnen auf einem eingetrockneten Spermafleck. Von wem kann ich ihnen aber nicht sagen..." Während ich das so schildere, packen sie endlich ihre Sachen zusammen, stehen auf und stürmten schon beinahe aus der Wohnung.

Freundlich winke ich ihnen hinterher. „Ach und erzählen sie doch von mir, wenn sie das nächste Mal über Schwuchteln herziehen!" Damit knalle ich die Tür zu und will das Chaos im Esszimmer aufräumen, aber komme nicht weit, da Isak mir den Weg versperrt.

Er schaut mich ganz böse an, aber ich erwidere seinen Blick nur enttäuscht.

Er ist einer von ihnen. Einer, der sich über Leute wie mich lustig macht. Dabei ist er selbst doch nicht besser und das macht ihn zu einer schlimmeren Person als all diese Leute zusammen. Klar hat er Angst. Das verstehe ich. Aber ich glaube auch, dass Angst dazu da ist, um sie zu überwinden und dann daran zu wachsen.

„Was sollte das?" Isak läuft mir nach und steht nur angespannt da, während ich aufräume.

„Was denn? Wo ist dein Jurastudium, wenn du es mal brauchst? Habe ich nicht das Recht zur freien Meinungsäußerung?" Provozierend sehe ich ihn an und balanciere dann die Teller in die Küche.

„Dir ist klar, dass du dich gerade lächerlich gemacht hast oder?" Er trinkt direkt aus der Weinflache und wischt sich dann mit dem Handrücken über den Mund, weil er zu gierig war.

„Was interessieren mich diese Leute?", schnaube ich.

„Ich arbeite mit denen, Ken! Ich muss ihnen ab sofort jeden Tag erklären, was für ein verzogener kleiner Scheißer du bist und warum ich mit sowas zusammenwohne"

„Sowas?" ich werfe das Besteck in die Spüle und stürme dann auf Isak zu. Ich reiße ihm die Weinflasche aus der Hand und packe ihn an dem Kragen seines überteuerten Anzugs.

„Vergiss nicht, dass du genauso eine dreckige Schwuchtel bist wie ich. Nur du hattest nie den Mumm, dazu zu stehen. Versteckt hast du dich, Jahrelang..."

„Hab ich nicht! Ich habe Lydia geliebt!"

„Das macht keinen Unterschied!", brülle ich zurück, nachdem er mich von sich weggestoßen hat. „Was denkst du, wo du jetzt wärst, wäre Lydia nie gewesen mh? Vielleicht wärst du auch ein super toller Anwalt, aber was hättest du von den Dingen, auf die es ankommt? Ohne sie und ohne Alec hättest du niemanden, der dich liebt, weil du so ein Arschloch bist, hörst du? Du bist ein feiges Arschloch! Und ohne Lydia wärst du ein Nichts!"

Ich weiß, dass ich das nicht sagen sollte.

Eigentlich sind das auch gar nicht meine Gedanken oder Überzeugungen, aber ich bin gerade so verdammt aufgewühlt und enttäuscht. Ich will ihm wehtun.

Aber stattdessen, tut er mir weh, indem ausholt und mir eine knallt, was sicherlich noch bis in den Himmel hallt.

Mein Mund bleibt offen stehen und sofort halte ich mir die pochende Wange.

„Du solltest aufpassen, wie du mit mir redest", zischt er unbekümmert, greift wieder nach seiner Flasche und geht dann einfach aus dem Raum.

Ich will ihm so vieles sagen, schreien, ihm hinterherrennen und ihm diese Flasche an den Kopf knallen, aber ich will auch den letzten Rest meiner Würde behalten, verlasse daher eilig die Wohnung und verschwinde ohne zu wissen, dass ich es dadurch nur noch schlimmer mache.

Das Herz Der Dunkelheit (Manxman)Where stories live. Discover now