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!Isak!

Ken benimmt sich seltsam.

Seit dem Morgen, an dem ich mir extra freigenommen habe, um darauf zu warten, dass er nach Hause kommt, ist er wie ausgewechselt. Er lacht nicht mehr, er tanzt nicht mehr durch die Küche und er macht auch keine sexuellen Anspielungen mehr. Er wirkt so weit weg mit seinen Gedanken und irgendwie trägt er eine Leere in seinem Blick, die es mir unmöglich macht, ihn lange anzusehen.

Eine Woche vergeht, in der wir nicht wirklich viel miteinander reden. Dass es ihm offensichtlich schlecht geht, nimmt mich ziemlich mit. Meine Arbeit leidet darunter und meine Kollegen lachen nur, dass es wohl an den Schwulenpartys liegt, die mein Mitbewohner nachts feiert. Schön wär's, aber leider wirkt er gerade so, als würde er nie wieder feiern wollen.

Ich vermisse den echten Ken. Den Ken, der mich immer ein wenig ablenken konnte. Der einzige, dem ich seit Lydia wieder nahe war. Dem ich nahe sein wollte.

Ich verstehe, dass er nichts als Freundschaft von mir will. Unser Sex war wirklich gut, aber er sucht mit Sicherheit nach etwas Beständigem und wir beide wissen, dass ich ihm das nicht bieten kann.

Ich weiß ja nicht mal, ob ich mir überhaupt selbst eingestehen kann und will, dass er mehr ist als nur mein Mitbewohner, der Kumpel meines Sohnes oder mein Freund.

Ich muss immer daran denken, was Lydia davon gehalten hätte. Sie mochte ihn, das weiß ich. Sie fand ihn lustig und sie nannte es eine Seltenheit, dass jemand so aufrichtig ist wie Ken. Aber sie meinte auch, dass er sich so leicht verwundbar macht und in ihm wohl auch nur ein kleiner Junge steckt, der versucht etwas zu kompensieren, das er von seiner Familie nie bekommen hat. Zum Spaß hat sie vorgeschlagen, wir könnten ihn doch adoptieren.

Bei dem Gedanken daran lächele ich, aber mir treten auch Tränen in die Augen.

Manchmal erinnert mich Ken an Lydia. Sie sind beide so ehrlich und aufrichtig. Sie können ruhig und lieb sein, aber auch leidenschaftlich und sehr beschützerisch bei Leuten, an denen ihnen etwas liegt.

Aber gerade deshalb habe ich Angst, dass ich versuche Lydia durch Ken zu ersetzen. Das hätte keiner von beiden verdient und funktionieren würde das sicherlich auch nicht.

Außerdem ist Ken Alecs guter Freund. Er wird mich nur noch mehr hassen, wenn er weiß, dass ich etwas für ihn übrig habe.

Und das wohl größte Hindernis ist der Altersunterschied. Ich bin 19 Jahre älter als Ken. Für ihn mag das keine große Sache sein, aber für mich ist es das. Jeden Moment könnte ihm ein jüngerer, ein schönerer und ein besserer Mann über den Weg laufen. Und ich würde wieder jemanden verlieren, den ich... Der mir was bedeutet.

Als ich heute von der Arbeit nach Hause komme, erwarte ich, dass es so ist wie sonst auch. Ken ruhig in seinem Zimmer und wenn wir uns über den Weg laufen, Smalltalk oder doofe Floskeln. Aber dem ist nicht so. Schon als ich im Flur meine Schuhe loswerde, höre ich ihn aus dem Wohnzimmer fluchen.

Ich stelle meine Aktentasche ab und öffne meinen Schal, während ich ins Wohnzimmer gehe und Ken mit gerunzelter Stirn mustere.

Er sitzt auf dem Sofa und sticht mit einem Küchenmesser auf ein Blatt Papier ein, als wolle er es ausweiden.

„Was machst du da?", frage ich ihn unsicher. Er kommt grade schon ein bisschen verrückt rüber.

„Dieser Wichser hat mich angezeigt!", brüllt er und hält mir den erstochenen Zettel hin.

„Ich bin mir sicher, dass dich kein Blatt Papier anzeigen kann..."

Ken schüttelt energisch den Kopf. „Matt! Er ist so ein Arschloch. 40.000 Euro will der von mir!"

„Was?!"

Der Zettel ist so zugerichtet, dass ich davon nichts mehr lesen kann, also setze ich mich zu Ken aufs Sofa und fordere ihn auf, mir alles zu erzählen.

„Ja letzte Woche bin ich ja nachts nochmal los und da habe ich ihn im Park getroffen und bin mit zu ihm... Dumme Entscheidung, ich weiß, immerhin ist er Camerons Ex und total das Arschloch, aber ich dachte zum ficken wird er schon taugen... Aber jetzt kommt so ein dummes Schreiben und da steht drin, dass er mich wegen Vergewaltigung angezeigt hat und 40.000 Schmerzensgeld verlangt, damit die Anklage fallen gelassen wird... Denkt der denn, man pumpt mir Sperma in den Arsch und Geld kommt wieder raus oder was? Schön wär's!"

„Hei, jetzt beruhige dich erstmal" ich drücke seine Schulter und schaue ihn beruhigend an.

„Du hast das nicht gemacht oder?" Natürlich bin ich mit sicher, aber nachfragen muss ich ja trotzdem.

„Nein, natürlich nicht! Als ob ich das nötig hätte!"

Ich nicke. Da hat er recht.

„Wie kommt er denn darauf, du könntest ihm mal schnell 40.000 hinlegen?"

Das schockiert mich schon ziemlich, immerhin hat Ken noch nie gearbeitet, sondern musste eher Studiengebühren bezahlen, die für Medizin nicht gerade günstig sind.

Ken schnaubt. „Weil meine Eltern reich sind. Meine Mum ist Ärztin und mein Dad Hotelier... Aber ich sehe keinen Cent mehr von denen, seit ich ausgezogen bin"

Ich seufze. „Okay, schon gut. Du wirst diesem Matt sowieso nichts bezahlen, für den Vergleich müsstest du dich nämlich schuldig bekennen und dann hättest du eine Vorstrafe als Sexualstraftäter..."

Ihm entgleisen völlig die Gesichtszüge und als ich bemerke, dass er gerade keinen juristischen Beistand braucht, sondern den eines Freundes, höre ich auf zu reden und nehme ihn in den Arm. „Hei, wir bekommen das schon hin. Ich übernehme den Fall, okay?"

„Ich kann dich aber gar nicht bezahlen", schnieft er.

Hoffentlich rotzt er mir jetzt nicht auf den Anzug, der ist von Armani...

„Musst du nicht, mir reicht es, wenn dieser Matt so richtig eins übergezogen bekommt"

„Danke... und Danke dass du mir einfach so glaubst"

Er denkt doch nicht, ich hätte auch nur eine Sekunde angenommen, er könnte sowas tun.

Eigentlich glaube ich echt nicht an das Gute, nicht nach allem, was ich erlebt habe, aber wenn ich Ken ansehe, kommt es mir so vor, als stünde ein Engel vor mir, in all seiner Reinheit und mit dem Herzen so groß, dass es einen in seiner Liebe ertränken könnte.

Jemand wie er tut keinem weh. Jemandem wie ihm wird wehgetan.

Das Herz Der Dunkelheit (Manxman)Where stories live. Discover now