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Alec:

„Alter, du glaubst gar nicht, wie viele Angebote ich bekommen habe von Leuten, die mit mir das Zimmer tauschen wollten, um nachts über dich herzufallen"

Mit diesem Satz begrüßte Andy mich, als ich meine Tasche auf mein Bett warf.

Er lag im Bett, hatte einen ungepflegten Bart, zerzauste Haare und ehrlich gesagt muffelte es hier drinnen auch ziemlich. Aber wenigstens hatte er aufgeräumt, nachdem ich ihm geschrieben hatte, dass ich unterwegs war.

„Wieso hast du sie nicht angenommen?"

Auf Höflichkeitsfloskeln wie Begrüßungen oder so gab er nicht viel, also hatte ich mir das bei ihm auch abgewöhnt.

Ich öffnete erstmal das Fenster und die Tür, damit es durchziehen konnte und dann meinen Kleiderschrank.

Wow, der war ja noch ganz.

„Na weil ich dich mag. Du bist ein angenehmer Zimmergenosse, du räumst immer auf und du wäschst meine Wäsche mit. Manchmal erinnerst du mich an meine Mum... Naja, zumindest bevor sie mich rausgeworfen hat, weil ich ihr zu anstrengend wurde und volljährig war..."

Sein sinnloses Gerede brachte mich wirklich leicht zum Schmunzeln.

Ich unterhielt mich mit Andy, während ich meinen Schrank einräumte.

Er erzählte mir, was er die Ferien über gemacht hatte, wobei er sich an das meiste gar nicht erinnern konnte, weil er so zu gewesen war und erkundigte sich dann nach mir und wieso auf meinem Profil vergeben stand.

Mein Herz zog sich einmal krampfhaft zusammen und plötzlich war es nur noch wichtig für mich, das zu ändern.

Kurz danach schaute Andy mich verwirrt an.

Ich seufzte. „Hatte zwischendurch eine Beziehung, aber lief nicht so gut"

Naja, es war eigentlich hervorragend gelaufen, hätte Dave mich nicht belogen. Wer konnte schon wissen, bei was er noch alles gelogen hatte...

„Oh, sind deine Jungfrau-Zeiten dann auch endlich vorbei?", hakte Andy nach.

Ich schnaubte. „Nein, aber ich gebe dir Zeit bis zum Semesteranfang, das zu ändern. In vier Monaten bin ich 21, bis dahin kommt der richtige oder die richtige eh nicht mehr und ich will es jetzt einfach nur noch hinter mir haben"

„Gute Entscheidung, Bro. Ich scheiße morgen eh eine Party, mindestens die Hälfe die Leute da wollen dir an den Schwanz oder an den Arsch, also kannst dir da eine oder einen aussuchen"

Ich nickte, bezog mein Bett, zog dann die Tasche darunter und ließ mich darauf plumpsen. Die Matratze war gar nicht so schlecht wie ihr Ruf, zumindest nicht, wenn man die Nacht zuvor im Auto verbracht hatte.

Es war Mittag und Andys Schlafenszeit, weil er einen ganz seltsamen Schlafrhythmus hatte, also schnappte ich mir mein Handy und ging raus, um ihn nicht zu stören.

Es waren schon ziemlich viele meiner Kommilitonen da, ein paar grüßten mich, die die mich halt kannten, und die andern kümmerten sich um ihren Scheiß. Ich musste ziemlich weit laufen, um mein Ziel zu erreichen, nämlich den Park. Schon seit meiner ersten Woche hier hatte ich es mir angewöhnt, auf einen bestimmten Baum zu klettern, wenn ich Zeit für mich brauchte, und tat das jetzt auch. Als ich auf der perfekten Höhe saß und mich entspannt an den Baumstamm lehnte, schoss mir sofort der Gedanke in den Kopf, dass ich nun mit Dave hier sitzen könnte... Naja, wenn er mit seinem Knie hier hoch gekommen wäre...

Es drängte mich zu reden, wirklich zu reden, also rief ich Cameron an, in der Hoffnung, Noah war gerade überall, nur nicht bei ihm.

„Heiii", begrüßte mein bester Freund mich fröhlich.

„Hi" bei Andy hatte ich es nicht zeigen wollen, keinem hatte ich es zeigen wollen, aber jetzt und hier, konnte ich alle Masken mal ablegen und meinem besten Freund erzählen, wie scheiße es mir ging.

„Ist Noah gerade in der Nähe?", hakte ich aber vorher nach.

„Nö", meinte Cam. „Der ist gerade einkaufen, weil er den Kühlschrank leergefuttert hat"

„Okay, gut... ich wollte nämlich mit dir reden. Und zwar so, dass es unter uns bleibt"

„Ach endlich kommt das Vertrauensgespräch, auf das ich mich schon gefreut habe, seit ich dich und Dave shippe. Also wichtig ist Gleitgel und sofern du dir kein Sperma aus dem Arsch spülen willst, wären Kondome auch nicht schlecht..."

„Cameron, es geht nicht um Sex!"

Meine Güte, war ich froh, wenn ich das hinter mir hatte und nicht jeder dann automatisch davon ausging, ich bräuchte eine Aufklärung.

„Worum dann?" Cam klang verwirrt.

Ich lehnte meinen Kopf an den Baumstamm und seufzte leise. „Ich will einfach reden"

Jetzt war er da, mein bester Freund ohne seine Spinnereien, als er ernst fragte: „Wo bist du?"

„In der Uni..."

„Warte schnell"

Ich hörte ihn auf tasten tippen, also saß er wohl gerade am Laptop.

Etwas ungeduldig wartete ich, bis er sich wieder meldete.

„In zwei Stunden geht ein Flug in die Stadt deiner Uni... Soll ich ihn buchen?"

Es half so sehr zu wissen, dass er sofort alles stehen und liegen lassen würde, wenn ich ihn nur darum bat. „Ich weiß nicht... du kannst ja auch nichts an allem ändern", seufzte ich traurig.

„Aber ich kann dich in den Arm nehmen. Und denjenigen, der dafür sorgt, dass du so leidend klingst, verhauen. Ich muss nur meine Strumpfhosen und mein Cape finden, dann kann's losgehen"

Ich lachte leicht, aber trotzdem bildeten sich schon wieder Tränen in meinen Augen. Ich hatte echt zu viel geweint die letzte Zeit. Ich wollte, dass dieses Geheule und Gejammer meinerseits endlich ein Ende hatte.

Cameron konnte bestimmt dabei helfen, aber ein Telefongespräch würde dazu auch ausreichen.

Einerseits wollte ich meinen besten Freund echt gerne mal wieder in live und Farbe sehen, aber andererseits wollte ich nicht von ihm verlangen, bei sich zuhause jetzt alles hintenanzustellen, nur, weil ich eine Schulter zum ausheulen brauchte. Also erzählte ich ihm nur am Telefon von allem was passiert war. Er war richtig stolz auf mich, als ich ihm von den sexuellen Fortschritten berichtete, aber auch richtig sauer auf Dave, als ich zum Ende meiner Erzählung kam.

„Alter, wie kann er denn erwarten, dass du jetzt alles hinschmeißt, nur, weil er so ein paar Zettel rausholt? Ich will ihn grade so gerne schlagen... Aber andererseits versteh ich ihn auch irgendwie, er hat genau die Reaktion befürchtet, die du gezeigt hast... ich glaube aber auch, dass es bei diesem ganzen Thema weniger um Dave gehen sollte, als darum, was du jetzt machst. Du solltest aufhören, dabei an alle anderen zu denken und mal lieber überlegen, was dich glücklich machen würde: Jura oder Kunst. Und ich denke, wir wissen beide, was die Antwort ist..."

Klar wussten wir das. Aber das war nicht so einfach. Jetzt abzubrechen, nachdem ich das schon eineinhalb Jahre durchgezogen hatte und vor allem, nachdem ich fast 21 Jahre versucht hatte, in diese Rolle zu passen, war nichts, das ich einfach mal so machen konnte wie auf Knopfdruck.

Ich wusste ja nicht mal, ob ich das wirklich wollte. Was, wenn ich mein Studium abbrach, von dem ich wusste, dass ich nach dem Beenden eine sichere Arbeitsstelle hatte und eine glückliche Familie, und etwas anfing, das zwar meine Leidenschaft war, aber mir keine Sicherheit bieten konnte?

Ich hatte Angst. Mal wieder. Und ich hasste es.

Dave hatte recht. Er hätte mir die Zusage niemals geben sollen. Er hätte das schon irgendwie ausgleichen können, was mich in meinem Leben unglücklich gemacht hätte, wenn wir nur weiterhin zusammen gewesen wären. Aber so und jetzt hatte ich ehrlich gesagt auch gar keine Kraft mehr, irgendetwas zu tun. Am liebsten wollte ich alles einfach vergessen und dafür stürzte ich mich in Abenteuer, von denen ich wusste, dass ich sie bereuen würde.


Das Herz Der Dunkelheit (Manxman)Where stories live. Discover now