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Alec:

4:37 Uhr.

Der Todeszeitpunkt meiner Mutter.

Nachdem die Ärzte uns grob die Umstände der Geburt und die Komplikationen dabei erklärt haben, ist mein Dad einfach gegangen.

Sobald er weg war, die Ärzte weg waren und ich glaubte, alleine zu sein, hatte ich einen Zusammenbruch.

Ich wollte nicht. Ich habe es auch nicht wirklich mitbekommen.

Ich erinnere mich noch daran, dass es sich so angefühlt hat, als würde mich jemand umarmen, ganz fest, sodass all meine Rippen brechen, meine Organe platzen und meine Lunge zusammenfällt.

Ich erinnre mich daran, geweint zu haben, geschluchzt zu haben, um mich geschlagen zu haben, Schmerzen gehabt zu haben, von denen ich keine Ahnung hatte, das ich sie jemals empfinden könnte.

Ich erinnre mich daran, nach meiner Mum gerufen zu haben.

Ich erinnre mich daran, gepackt worden zu sein und solange an eine Brust gepresst, bis ich aufgegeben habe, durch Schläge zu versuchen, um meine Mum zu kämpfen.

Ich erinnre mich daran, mich an seinem Shirt festgekrallt zu haben. Meine Beine haben nachgegeben und dann ist alles schwarz.

Das Nächste, was ich noch weiß, ist, dass ich im Krankenhausbett aufwachte, Dave neben mir auf einem Stuhl saß und meine Hand umklammert hat, als würde sie ihn davon abhalten, einen tödlich tiefen Abhang hinab zu fallen.

Er sah verweint aus, erschöpft, leidend, aber vor allem besorgt.

„Was ist passiert?", fragte ich ihn verwirrt, wunderte mich, wie ich von Camerons Wohnung hierhergekommen war.

Dave erzählte es mir.

Ich unterstellte ihm zu lügen, sprang aus dem Bett, riss mir die Nadel aus dem Arm und rannte wie ein irrer durch das Krankenhaus, rief dabei nach meiner Mum.

Krankenschwestern hielten mich auf, spritzten mir irgendetwas und alles wurde schwarz.

Jetzt bin ich zuhause. Naja, an dem Ort, ann dem ich aufgewachsen bin. Aber ohne meine Mum wäre das niemals mein Zuhause gewesen.

Ich hätte mich nie darauf gefreut, nach der Schule, hier her zu kommen, meiner Mum zu erzählen, was alles so passiert ist und Witze über den Stock in Dads Arsch zu reißen.

Ich hätte nie... hätte es vermutlich nie bis hierhin ausgehalten.

Und jetzt ist sie weg. Und sie kommt auch nicht mehr wieder.

Was waren eigentlich meine letzten Worte zu ihr? Keine Ahnung.

Es ist eine gefühlte Ewigkeit her, seit ich sie zuletzt gesehen habe. Immer, wenn sie mich angerufen hat, habe ich sie genervt weggedrückt oder abgewimmelt ohne sie sprechen zu lassen. Auf WhatsApp hab ich sie blockiert, weil sie mich zugespamt hat.

Ich bemerke erst jetzt, wie selbstverständlich das alles für mich war. Dass sie sich um mich kümmert und sich nach mir erkundigen will. Nie wieder wird das jetzt vorkommen.

Ich werde mir ab sofort meinen Tee selbst machen müssen.

Mich um mich selber kümmern. Mich selbst trösten.

Dad, Dave und ich sitzen auf dem Sofa, starren auf den Couchtisch und warten darauf aufzuwachen. Aufzuwachen aus diesem Alptraum. Aufgeweckt zu werden, von meiner Mum, die es zuerst durch ein zartes Streicheln versucht und schließlich zu allen Mitteln greift. Wasser, Bettdecke wegziehen, in den Po zwicken, Amy auf den Hals hetzen. Das hatten wir alles schon. Jedes Mal hätte ich dafür ausrasten können. Jetzt würde ich alles dafür tun, dass sie noch einmal versucht, mich wach zubekommen. Ich würde es genießen, wie sie mir durch die Haare streicht und mich als ihren Liebling bezeichnet. Ich würde sie in den Arm nehmen, ihr einen Kuss geben und ihr sagen, wie sehr ich sie liebe. Ich wäre ein guter Sohn.

Es wäre so schön, einfach die Zeit zurückdrehen zu können. Zu wissen, dass ich die Zeit nutzen muss. Nicht einfach abzuhauen und meine Eltern zu enttäuschen.

Was sie wohl zuletzt von mir gedacht hat, als sie diese Bilder von mir im Internet gesehen hat? Was sie wohl gefühlt hat, jedes Mal, wenn ich nicht mit ihr telefonieren wollte?

Ich kann das jetzt nicht.

Ich kann nicht akzeptieren, dass es das gewesen sein soll.

Ich habe ein Recht darauf, ihr zuerst zu beweisen, dass ich ein guter Sohn sein kann. Ich habe ein recht auf einen erinnerungswerten Abschied.

Ich habe... Ich habe keine Kraft mehr. Und wieder beginne ich zu weinen.

Mein Dad schaut vom Couchtisch zu mir, und trinkt seinen Scotch, während er mich kalt mustert.

Er stellt das Glas geräuschvoll auf den Tisch, steht auf und geht.

Ich weiß nicht, was ich fühlen soll. Wut, Scham, Enttäuschung...

Aber bevor ich darüber nachdenken kann, mir seinen viel zu teuren Alkohol zu schnappen und mich ins Koma zu saufen, egal wie ekelhaft ich dieses Zeug auch finde, werde ich zur Seite gezogen, an eine starke Brust, die mir nur allzu bekannt ist.

Daves Duft umhüllt uns, seine Wärme ist der komplette Gegensatz zu der Kälte meines Vaters.

Seine Arme um mich wirken, als wollen sie mich vor allem schlechten dieser Welt beschützen.

Sein Herzschlag beweist, dass er lebt. Dass er bei mir ist. Und der Kuss, den er mir gibt, auch wenn es nur auf die Stirn ist, beweist, dass er bei mir bleiben wird.


Das Herz Der Dunkelheit (Manxman)Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora