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Alec:

Ich hatte mein Wort gehalten und Dave die Zeit seines Weinens über nicht losgelassen.

 Nachdem er sich beruhigt hatte, hatte er mich allerdings schwach gebeten, ihn alleine zu lassen. 

Widersprechen hatte ich schlecht können, also hatte ich es getan. 

Das war jetzt zwei Tage her. 

Wir hatten wieder weitergemacht wie zuvor, nur dass er die Zimmertür nicht mehr abgesperrt hatte und ich ihm das Essen und Trinken reingebracht hatte. 

Die Zettel waren aber trotzdem nicht ausgeblieben, nur dass er mich jetzt nicht mehr beleidigte, sondern wir schriftlich philosophierten. 

Jedes Mal, wenn ich ins Zimmer kam, klopfte ich vorher an, irgendwie in der Hoffnung, ihn bei irgendetwas zu unterbrechen, aber das tat ich nie. 

Er lag meistens einfach nur im Bett herum und sah nachdenklich irgendwo hin. Mit ihm zu sprechen hatte ich aufgegeben. Von mir war jetzt genug gekommen, ich war weit genug auf ihn zugelaufen, noch mehr würde ihn nur noch weiter zurückdrängen. 

Täglich musste ich Noah Bericht erstatten, wie und ob es überhaupt voran ging mit Dave, doch wirklich etwas zu berichten hatte ich nicht. 

Gestern hatte ich ihn zumindest Musik machen hören. 

Zuerst hatte ich es als Hoffnungsschimmer am Horizont gesehen, aber der Text hatte mich abgeschreckt. Allein seine Traurige Stimme hätte ja schon gereicht, aber Sätze wie: „I'm never gonna let you close to me, even though you mean the most to me" „Baby, we don't stand a chance, it's sad, but it's traue" „i just want you to be happy and be who you are" „Don't hold me, cause i am falling back down and i wouldn't wanna see you hit the ground" „and the dark surrounds your heart and you're in free fall, you must let go of me. Cause if you keep me, you will lose it all, so darling, darling, please, please don't hold me..."

Es war schwer, ihm bei alle dem einfach nur zuzuhören und auf einen einzigen Satz zu hoffen, der mir den Anlass dazu geben könnte, endlich aufgeben zu wollen. 

Aber das passierte nicht. 

Je mehr er durch dieses Lied von sich Preis gegeben hatte, desto entschlossener war ich geworden, ihm zu beweisen, dass ich das konnte. Dass ich für ihn da sein konnte. Dass ich ihn retten konnte. Dass Liebe ausreichen konnte. Irgendwie.

Die ganze Nacht hatte ich darüber nachgedacht. Ich wusste, die meisten seiner dunklen Gedanken und Ängste kamen gerade zur Geltung, weil die Wirkung seiner Antidepressiva wieder einsetzen musste, aber das änderte leider nichts daran, dass diese Medikamente nur die Symptome verschwinden lassen konnten, nicht die Ursachen.

 Ich fand es gut, dass er nach wie vor in Therapie ging, aber ich hatte auch die Befürchtung, das würde nicht ausreichen. 

Dave brauchte mich, davon war ich überzeugt. 

Ich war nicht hier, um mich als Messias aufzuspielen, weil ich Mitleid hatte oder nichts Besseres zu tun, nein, ich war hier, weil Daves Wohlbefinden auch mein eigenes bedeutete. 

Vielleicht wirkte das egoistisch und vielleicht war es das auch, nachdem er mich so oft gebeten hatte zu gehen, aber vielleicht waren diese Tage -die schlimmsten für mich, die ich bisher erlebt hatte - das, was beweisen würde, wie stark unsere Bindung war. 

In der fünften Nacht, die ich in diesem Haus verbrachte, lag ich nachts wieder auf dem Sofa. Ich konnte mal wieder nicht schlafen, aber ich versuchte es zumindest. 

Ich hörte Schritte, weil es komplett ruhig war und man nur stumm das Rauschen des Meeres vernehmen konnte.

 Sie näherten sich mir an. 

Es war möglicherweise falsch, sich jetzt extra schlafend zu stellen, damit ich spionieren konnte, was Dave vorhatte, aber trotzdem tat ich es. Ich war immerhin auch nur menschlich. 

Was er dann tat, schockierte mich beinahe. Er setzte sich zu mir, zog die Decke, die ich auf den Beinen hatte, zu meinem Oberkörper hoch und seufzte leise, als er sich vor dem Sofa auf dem Boden niederließ und den Kopf dabei vor meinem auf das Sofa legte.

„Du hast was viel besseres verdient als mich", flüsterte er, legte seine Hand auf meinen Kopf, wohl in der Überzeugung, ich würde schlafen und strich sanft mit dem Daumen über meinen Haaransatz.

Ich musste mir wirklich Mühe geben, meinen Gesichtsausdruck zu beherrschen und meine Atmung flach zu halten in Anbetracht dessen, wie schnell mein Herz gerade schlug.

„Ich weiß nicht, wie das mit uns funktionieren soll", meinte er weiter, klang sehr leidend dabei. 

„Ich sollte einfach abhauen und mich nie wieder melden. Dann würdest du mich endlich hassen, könntest mich vergessen und weitermachen. Jemanden finden, der dich verdient hat. Jemanden, der dir nicht in leeren Worten verspricht, dich glücklich machen zu können. Ich will es ja, ich will es wirklich. Du bist der einzige, bei dem mich der Gedanke daran, für immer dir zu gehören, nicht abschreckt. Dir zu vertrauen. Mich dir zu zeigen. Aber ich hab schon so viel falsch gemacht, ich will dich, dein Lächeln, dein Herz nicht auch noch auf dem Gewissen haben. Dafür liebe ich dich zu sehr"

Er sprach ohnehin schon leise, aber den letzten Satz konnte man nicht mal mehr geflüstert nennen. 

Danach war es still, er seufzte bloß und machte mit den Streicheleinheiten seines Daumes weiter. Ich war am überlegen, ob ich ihm jetzt gestehen sollte, dass ich wach war, aber hatte zu große Angst, das er sauer sein würde, weil ich ihn schon wieder verarscht hatte, oder einfach vergessen sollte, was er gesagt hatte, da es nicht für meine Ohren bestimmt gewesen war.

Die Entscheidung nahm mir mein Zwerchfell ab, indem es sich krafthaft zusammen zog und ich ein Hicksen von mir gab. 

Fuck.

Schlafende haben keinen Schluckauf.

In böser Erwartung, biss ich mir auf die Lippe und öffnete zaghaft die Augen, da alles andere jetzt sinnlos war und nur zu noch mehr Problemen führen würde.

Daves zarte Bewegungen hatten sich eingestellt, er sah mich fassungslos an.

„Wie lange bist du schon wach?"

„Die ganze Zeit?" Ich lächelte schief, sah ihn entschuldigend an.

Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Und einer wie du sieht aus wie ein Engel, wenn er schläft. Die Täuschung pur"

Ich könnte schwören, knallrot zu werden, selbst wenn es in dem Moment nichts gab, das mich zum Erröten bringen sollte. 

Wieder hickste ich. 

Seltsamerweise ließ Dave das irgendwie erweichen, er atmete tief durch und schaute mich resigniert an. „Leugnen ist wohl zwecklos, mh?"

Das brachte mich zum Lächeln. „Total"

Man sah ihm an, dass er eigentlich gar nicht die Kraft dazu hatte, aber dennoch erwiderte er das Lächeln leicht. „Und was sagst du dazu?"

„Dass du ein Vollidiot bist"

Das kam wohl so unerwartet für ihn, dass er kurz richtig geschockt aussah, bevor er leicht schmunzelte. „Da kann ich dir nicht widersprechen."

„Aber du bist mein Vollidiot"

Ich bewegte meinen Kopf zu seinem, um meine Lippen auf seine Stirn zu legen, die gerade die perfekte Position dafür hatte.

Obwohl es nur eine Kleinigkeit war, erfüllte es mich mit purem Glück, dass ich in seinem Blick einen Ausdruck erkannte. 

Bisher war nur eine unergründliche Leere in seinen viel zu dunklen Augen vorzufinden gewesen, aber nun, nun wusste ich, dass er nicht nur eine leblose Hülle war, sondern nach wie vor mein Dave. Dass er lebte und vor allem leben wollte. 


Das Herz Der Dunkelheit (Manxman)Where stories live. Discover now